Denn das ist aus europäischer Sicht die wohl typischste chinesische Sportart. Von Millionen groß und klein, alt und jung im Milliardenvolk betrieben…
Da ist es nicht verwunderlich, das sich der Autohersteller GAC Group aus Guangzhou – immerhin auch mit trendigen SUV-Modellen aufwartend – bereits das dritte Mal als Titelsponsor die World Tour Super Serie des Tischtennis-Weltverbandes ITTF begleitet. Präsentiert wird eine Tour-Station gegenwärtig bis zum Sonntag bei den 48. German Open in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Preisgeld insgesamt 200 000 Dollar. Gespielt wird jeweils Damen und Herren Einzel und Doppel sowie ein Wettbewerb der U 21. Angereist waren fast 400 Aktive aus 48 Ländern, die sich an mehr als 30 Platten, inklusive jener fürs Training, dem Ping Pong in Hochleistungsmodus hingeben.
Ein Wettbewerb der Superlative, den der Veranstalter schon mal in den Rang einer Mini-WM hochstufte. Auf alle Fälle gibt es neben dem Preisgeld auch wertvolle Ranglistenpunkte. Wichtig für die Teilnahme am Weltfinale im Januar in Dubai, wo die besten 16 (Einzel) bzw. 8 (Doppel) wetteifern.
Angestachelt durch Schlagzeilen wie "Der Dominator geht auf Drachenjagd" oder "Zweikampf Europa gegen Asien verspricht Spannung" im offiziellen Programmheft, setzen die lokalen Printmedien noch eins drauf: "Berlin erlebt Angriff auf China" heißt es da. Oder: "Wir können die Chinesen besiegen" bzw. "Wir können die Chinesen angreifen" und "Voll auf Angriff"!
Die Asse aus dem einstigen "Reich der Mitte" dominieren die Weltspitze seit Jahren. Holen fast unangefochten WM-Titel und Olympiasiege. Ob im Einzel oder mit den Mannschaften. Und lassen nur selten das oberste Treppchen aus. Wie für ein eingespieltes Männer-Doppel aus Taipeh (also Aktive mit chinesischen Wurzeln) bei der WM. Oder mal für jemand aus Korea, Singapur, Japan.
Europäer kommen selten zum Zuge, seitdem die schwedische Erfolgs-Generation um den Ausnahmekönner Jan-Ove Waldner sich vom Spitzensport aus Altersgründen verabschiedet hat.
Mittlerweile haben die Deutschen die Vormachtstellung in Europa übernommen. Wurden kürzlich mit beiden Teams Mannschafts-Europameister. Und feiern Dimitrij Ovtcharov als Nachfolger des Rekord-Kontinent-Champions Timo Boll. Was dem 32-jährigen Boll, der 12 Jahre lang in der Weltrangliste bester Deutscher war und nun als Sechster einen Position hinter dem dem 25-jährigen Ovtcharov rangiert, nicht gelang, erhoffen: sich die deutschen Fans und Medien nun vom neuen Heilsbringer.
Boll vermochte die Phalanx der Chinesen im Einzel bei den großen Ereignissen nie zu durchbrechen. Holte weder bei WM oder Olympia eine Medaille.
Ovtcharov hingegen, im Kindesalter aus der Ukraine mit seiner Familie (Vater sowjetischer TT-Meister) nach Deutschland gekommen, kehrte im Vorjahr aus London mit der Mannschafts-Bronzemedaille (wie Boll) und Bronze im Einzel zurück. Mit der DTB-Auswahl waren sie 2008 in Peking sogar Zweiter geworden und mussten sich der Übermacht aus dem Land der Drachen auch zweimal bei Mannschafts-WM-Titelkämpfen geschlagen geben.
Aufgepumpt im Selbstvertrauen nach dem EM-Doppel-Triumph erklärte der Hamelner Ovtcharov kürzlich, sein Ziel sei es, "2016 in Rio de Janeiro Olympiasieger im Einzel" zu werden. Was sich für einen, der zweifelsohne viel Talent aufweist, aber beispielsweise noch nie Deutscher Meister war, künftig als Bumerang herausstellen könnte.
Denn damit hat sich der junge Mann, der eigentlich nicht als Lautsprecher und abgehoben gilt, sehr früh und unnötig unter Druck gesetzt. Und besonders die Medien, die ihn nun vorschnell hochjubeln, werden sich an die Prognose erinnern, wenn die eine oder andere unausweichliche Niederlage zu vermelden ist…
Schon in Berlin wartet auf ihn mit dem an eins gesetzten Zhang Jike ein Prüfstein, der derzeit kaum härter sein könnte. Der 25-jährige Zhang ist zweifacher Weltmeister und Olympiasieger 2012 und selbstredendauch Mitgewinner in den Mannschaftswettbewerben. Allerdings war er an der Schulter verletzt. Hat pausieren müssen und so in der Weltrangliste hinter drei Landsleuten nur Platz vier inne. In Berlin wird er flankiert von jüngeren Mannschafts-Kollegen. Darunter der erst 16-jährige Jugend-Weltmeister Fan Zhendong, der vor kurzem in Polen als jüngster World-Tour-Gewinner aller Zeiten die Platte verließ…
Wie schwierig der Weg für die aktuelle deutsche Nummer eins aber allein bei den German Open werden könnte, verdeutlichte sein 4:2-Erfolg in der ersten Runde des 64-er Hauptfeldes am Freitag. Denn sein junger Kontrahent Jingkun Liang hat bereits das Leistungspotenzial für die erste Liga in China, taucht aber in der Rangliste nicht unter den Top 100 der Welt auf.
Bei ihrem Bemühen, Chinas Assen immer näher zu kommen, greift der Deutsche Tischtennis-Bund übrigens gern auf know-how des Rivalen zurück. Drei von acht offiziellen DTB-Trainern bei den German Open stammen aus China. Weitere sind in den Vereinen oder Landesverbänden tätig. Im Verband hat es kritische Stimmen gegeben, als für das sechsköpfige EM-Aufgebot der Frauen vier Spielerinnen nominiert wurde, die ihre Tischtennis-Ausbildung in China genossen haben. Da sehen manche Übungsleiter und Trainer ihre Bemühungen bei der Nachwuchsentwicklung im Lande konterkariert.
Der Olympiasieger, sechsfache Weltmeister und einstige Chinesenschreck Jan-Ove Waldner (48) zeigte sich stark beeindruckt vom aggressiven Angriffsstil Ovtcharovs, der im Gegensatz zum Feinmotoriker Boll Vor- und Rückhand härteste Schmetterschläge produziert. "Ich denke, er spielt augenbblicklich klar stärker als Boll", sagte der Schwede. Aber die besten Chinesen dürfte er bei Großereignissen auch (noch) nicht schlagen können.
Die German Open, eine Parade der Tischtennis-Weltelite – werden am Samstag von 10 bis 19.30 fortgesetzt bis zu den Viertelfinals im Einzel und zu den Halbfinals im Doppel. Sonntag gibt es von 10 bis 17 Uhr die Finals.