Mit Sätzen wie "Snowden als politischer Flüchtling im Riesenreich, das wäre ein gefundenes Fressen für Russlands antiamerikanische Propaganda" entblödet sich der Autor nicht, den föderalistischen Vielvölkerstaat zu einem Reich zu erklären. Journalisten müssen Putin nicht mögen oder Merkel, doch deswegen das föderalistische Deutschland zu einem Reich erklären, das können wohl nur Journalisten wie Löwenthal oder besser noch sein Gegenspieler in Berlin, Arthur Schnitzler, oder eben Bidder. Der Liliput unter den Berichterstattern formuliert wenig später unter dem Titel "US-Informant Snowden in Moskau gelandet: Der Kreml als Fluchthelfer": "Offiziell zeigte sich der Kreml überrascht von Snowdens Reiseplänen" und belegt das mit einem Zitat von Dmitri Peskow, Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin. "Man habe davon vorab keinerlei Kenntnis gehabt" wird Peskow zitiert und drangehängt wird diese Bemerkung: "Allzu glaubwürdig erscheint das nicht, schließlich gehört Aeroflot noch immer mehrheitlich dem russischen Staat."
Eigentümer von Bussen und Bahnen, Flugzeugen und Fahrgastschiffen wissen also immer und überall, wer mitfährt oder -fliegt? Vielleicht sollte der Spiegel-Journalist das Vermuten sein lassen und sich aufs Feststellen und Vermitteln von Fakten konzentrieren.
Snowden saß nämlich in der Aeroflot-Linienflugmaschine SU213, die am 23. Juni um 10:55 Ortszeit (04:55 MEZ) nach Moskau gestartet ist. Mit an Bord sollen laut WikiLeaks von heute (13:00 BST) Diplomaten und Rechtsberaten von WikiLeaks sein. Von chinesischen, russischen oder kubanischen Diplomaten schreibt WikiLeaks nichts, aber das kann ja noch kommen.
Planmäßig landete der Flieger um 17:14 (15:14 MEZ) am Moskauer Flughafen Sheremetyevo, wie RIA Novosti mitteilt, von wo es, wie die AFP meldete, nach Island oder Ecuador weitergehen könnte. Könnte. Klar ist, daß der Weiterflug noch nicht erfolgte und die nächsten Maschinen, in die sich der Whistleblower setzen könnte, auf der Fernstrecke nach Amerika noch nicht starten.
Bidder hingegen sieht Snowden im "Riesenreich" auf der Durch- und Weiterreise nach Kuba. "Der nächste Flieger nach Havanna verlässt Moskau erst Montag gegen 14 Uhr." Woher weiß der Spiegel-Mann ins Moskau das? Vermutlich glaubt er Reuters, denn die meldeten unter Berufung "auf eine Quelle bei der russischen Fluglinie Aeroflot", daß Snowden den Flug Moskau-Havanna gebucht habe. Übrigens sagt die WELTEXPRESS-Quelle, daß Snowden von der kubanischen Hauptstadt weiter nach Venezuela fliegen werde. Hinterher werden wir alle schlauer sein, auch Bidder.
Immerhin wissen wir, was Reuters mitteilte. "Auf dem Moskauer Flughafen", so die Nachrichtenagentur, "wird Snowden von einer Delegation aus dem Land empfangen, das ihm Asyl gewähren will". Wie wir erfuhren, fuhr der Whistleblower in einem Auto mit Diplomaten-Kennzeichen an Reuters-Mitarbeitern und unzähligen Journalisten vorbei. Der Aufklärer ließ diese Berichterstatter im Abseits stehen.
Immerhin ist allen Beteiligten klar, daß sich Hongkong nicht an das 1998 mit den USA vereinbarte Auslieferungsabkommen gehalten hat. Spiegel-Online informiert: "Die Behörden in Hongkong teilten mit, es habe keine juristische Basis dafür gegeben, Snowden festzuhalten. Das Auslieferungsgesuch der USA habe nicht in vollem Umfang den juristischen Anforderungen entsprochen." Kann sein, kann nicht sein. Hongkong jedenalls läßt feststellen, daß Snowden nicht zur Ausreise gedrängt sondern freiwillig weggeflohen sei, vermutlich, um dem überarbeiteten Auslieferungsgesuch der USA, daß früher oder später sicherlich juristisch korrekt gewesen wäre, zuvorzukommen.
Mit Material von AFP, Reuters, RIA Novosti, Spiegel-Online, WikiLeaks