Solche Tafeln setzen Andrea und Giovanni della Robbia 1495/1500 fort, aber auch die Porträts, die schon Luca in glasierter Keramik vorgab: die Büste einer jungen Dame und die eines Kindes, die Jesus als Knaben darstellt und aus dem Museum in Écouen/Frankreich stammt. Den sehr realistisch gezeichneten Condottieri hatte Andrea schon 1470 als Hochrelief im Rund gefertigt und auch hier sind die Farben neben dem Weiß der Figur auf Blau und Grün beschränkt. Das sind übrigens auch die Farben der maurischen Keramik, über die die Florentiner vom Glasieren des Tons erfuhren. Es gibt schöne Apostelköpfe und dann erstaunlich aufgelockerte, fast barocke Terrakottastatuen und wiederum auf länglichen Tafeln im Relief Anbetungen, ein beliebtes Sujet, das sich prächtig verkaufen ließ, eines hängt in Berlin, wo der weiße Engel mit dem gold-blau-purpurn gefiederten Flügel in Weiß der blau-purpurn gekleideten zukünftigen Gottesmutter die Lilien überreicht und ihr die Heilsbotschaft übermittel. Und man sieht auch die Taube, die gleich über das linke Ohr die Befruchtung vornehmen wird.
Die Ausstellung vermittelte sehr gut, wie noch Andrea in den Anfängen eine eigene Körpersprache entwickelt, wie aber zunehmend er sich selber kopiert. Das hat eine Massenproduktion – und dazu weitete sich die Manufaktur aus – so an sich, daß das gut Verkäufliche wieder gestaltet wird, erneut verkauft wird, wiederholt wird, bis man gleich mehrere Exemplare von einem Modell macht. Vor allem zeigte die Ausstellung, wie aus einer künstlerischen Idee, eine Familienidee als Geschäftsidee wurde, die auch die Nachfolgegenerationen in die gleiche Richtung zwängt. Nur hatte sich der Zeitgeschmack längst geändert und mit ihr auch die Produktion der Nachkommen. Das edle Weiß auf Blau wird Vergangenheit, sehr bunt kommen jetzt selbst die Madonnen daher und fast schon barocken die 65 cm hohen Skulpturen des Giovanni della Robbia von 1520, Judith mit dem abgeschlagenen Kopf des Holofernes, aus Florenz. Aus der Kunst ist industrielles Handwerk geworden und wir würden heute diese Gegenstände nicht in ein Skulpturenmuseum, sondern eines für Kunsthandwerk stecken. Und wir sind sicher, daß sie auch heute viel gekauft würden, gerade weil sie ästhetisch nicht mehr anspruchsvoll sind. Bunter Massengeschmack, dessen Mode aber vorüber ist.
Wir verlassen das Museum in Arezzo, dessen della Robbia-Ausstellung schon abgeräumt wurde und fahren zu dem Teil der Ausstellung, der entfernt auf dem Hügel La Verna in der Provinz Arezzo die Werke des Andrea della Robbia seit langem und eigentlich für die Ewigkeit bewahrt. Dies ist ein Kloster des Franziskanerordens, völlig abgeschieden und den Witterungen extrem ausgesetzt. Es war eine sehr gute Idee des Ordens, Andrea della Robbia mit der gesamten Ausschmückung der Kirchen und Klosterräumen mit glasierter Terrakotta zu beauftragen, deren Produkte bis heute nichts von ihrem strahlenden Oberflächenglanz verloren haben. Es fing an mit der Verkündigung von 1475 und der Anbetung von 1479. Die Verkündigung hängt als 210 x 210cm große Abbildung in einem Renaissancerahmen altarähnlich eingefaßt und die mit 240 x 180 cm noch höhere Anbetung zeigt eine Vielzahl von Himmelspersonal, vor allem aber eine demütige liebliche Madonna. Auch hier war Vasari der erste, der das ganze klösterliche Keramikprogramm dem Andrea della Robbia zuschrieb. Denn längst war das Wissen um den Künstler in dieser Einöde verloren gegangen. Giorgio Vasari also schrieb über die vielen Aufträge des Franziskanerordens an Andrea: „Ebenso stellte er für die Kirche und andere Orte des Felsens von Verna viele Tafeln her, die sich in dem verlassenen Ort, wo sich kein Gemälde auch nur wenige Jahre gehalten hätte, gut haben aufbewahren lassen.“
So sehen wir also in der Oberkirche noch heute eine Verkündigung, die uns strikt an Florentiner Vorbilder erinnert. Das doch spröde Material atmet diese liebliche Verhaltenheit, die Florenz zur Frühzeit der Renaissance auszeichnet. Schaut man den Engel Gabriel, der hier demütig kniend und nicht als dynamischer Himmelbote erscheint, genau an, dann erkennt man in seinen feinen Gesichtszügen den David des Andrea Verrocchio, als Vorbild also eine Skulptur, eine Anverwandlung, die Andrea della Robbia öfter verwandte, beispielsweise im Erzengel Michael, der heute im Metropolitan Museum in New York sein Schwert zückt und die Waage mit den Guten und den Bösen für Himmel und Hölle in der Hand hält.
La Verna war und ist eine Wallfahrtskirche und man kann das Keramikprogramm auch als ein dafür zugeschnittenes Bildprogramm sehen. Denn wichtiger noch als die Botschaft des Engels wird die Reaktion der Maria, der ’Gebenedeiten unter den Weibern’ sein. Und man muß sich vergegenwärtigen, daß solche Altarbilder auch für die Frommen, aber des Lesens Unkundigen gedacht waren. Dieses hier kann man auch auf weite Entfernung sehen und so seine Geschichte „lesen“. Maria hat im Heiligen Buch gelesen und legt demütig die Hand vor die Brust und sagt gleich, daß sie die Magd des Herrn sei und sein Wille geschehe. Die weißen Lilien mit den grünen Stengeln in der weißen Henkelvase teilen elegant das Bild, auf dessen rechter Seite, also der des Erzengels, Gottvater mit Putti, es sind die Cherubim, oben im Himmel das Geschehen verfolgt. Die ausgesandte Taube schwebt gerade über dem Lilienstrauß, der Blume, die die Unschuld Mariens symbolisiert. Ein einfaches Altarbild. Ein verständliches Altarbild. Ein schönes Altarbild. Andrea Pisano und Fra Angelico haben so demütige innigliche Madonnen gemalt.
Die Anbetung dagegen zeigt schon, wieviel Himmelspersonal Andrea auf so einem Altarbild aus Keramik unterbringt. Zwei mal zwei Engelspaare auf der mittleren Ebene und dasselbe weiter oben und Gottvater mit insgesamt weiteren sechs Cherubim, die sich oben auf dem Abschlußfries, dem Architrav, noch einmal fünffach wiederfinden. Auch hier die Taube in der Mitte des Bildes. Die Figuren der Maria und des im grünen, aufgestapeltem Laub liegenden Jesusknaben kommen einem bekannt vor. Sie ähneln der Anbetung des Filippo Lipp aus Berlin und so vielen anderen, die dem Zug der Zeit nach Inniglichkeit folgen. Eine weitere Anbetung hat Andrea geschaffen die heute im Bargello in Florenz zu sehen ist, die die Anbetung mit der Himmelkrönung vereint und einen dramatischeren Zuschnitt hat, weil das Knäblein verlangend der Mutter den Arm entgegenstreckt – oder ist es schon der Segensgestus für die Himmelkönigin?
Sie finden in La Verna noch in der Oberkirche die Heiligen Franziskus und Antonius Abbas und in Santa Maria degli Angeli die Madonna mit dem Gürtel sowie in der Capella delle Stimmate die Kreuzigunkszene, die in gewissem Sinne sein dortiges Hauptwerk ist, schon wegen der Maße 600 x 420 cm. Es scheint einem unwahrscheinlich, wie man ein so gewaltiges Terrakottawerk überhaupt hat brennen können. Eindrucksvoll . Es fällt bei diesem Werk, das die gesamte Wand einnimmt, die absolute Einhaltung der Symmetrie auf, die das viele Bildpersonal ordnet. Und es fällt auf, daß Andrea wohl alle gebräuchlichen Kreuzigungs- und -wiederauferstehungssymbole vereint: den Pelikan, den Totenschädel des Adam, die Sonne und den Mond direkt neben dem Kreuz. Und wenn man sich an etwas zu erinnern glaubt, dann ist es das Gemälde „Kreuzigung Mond“ von Raffael in der Nationalgalerie in London, das aber viel später entstand und ein Beweis ist, daß auch Künstler wie Rafael damals den Andrea delle Robbia und seine Werke kannten und als Vorbild nahmen.
Das letzte eigenständige Werk war die um 1490 entstandene Himmelfahrt über dem Hauptaltar, die heute einen neuen Standort hat und eine andere historische Herkunft. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir schauen uns all die anderen reichhaltigen Keramikaltäre und Darstellungen in La Verna an und staunen, wie perfekt die Schüler, die Werkstatt die künstlerischen Kenntnisse des Andrea umsetzten. Denn tatsächlich ist La Verna ein Gesamtkunstwerk geworden. Und geblieben. Weshalb sich auch heute ein Ausflug in diese einsame Gegend lohnt. Die Einheimischen wissen das eh und die Gläubigen auch. Denn hier in einer Felsenhöhle, zu der man hinabsteigen kann, soll 1224 der Heilige Franziskus seine Stigmata erhalten haben, denen nach er der neue Christus auf Erden war. Allerdings ein bescheidener Knecht seines Herrn, wovon in der Klosteranlage weitere Franziskuszyklen künden.
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Ausstellung: bis zum 7. Juni 2009
Katalog: I Della Robbia. Il dialogo tra le Arti nel Rinascimento, a cura di Giancarlo Gentilini con la collaborazione de Liletta Fornasari, Skira , Milano 2009
Der nur auf Italienisch erhältliche Katalog entwickelt die Kunst des Luca aus seinen Lehren bei Donatello und Brunelleschi und bettet das Madonnenbild des Luca in die Vorstellungen der Frührenaissance ein, die inniger und himmelwärtiger erscheinen, als die stärker realistischen Züge bei Andrea della Robbia. Weil diese Ausstellung im Zusammenholen so vieler Einzelstücke einzigartig ist, ist es auch der Katalog, der ein Kompendium für jeden sein wird, der sich überhaupt mit den Della Robbia beschäftigt. und das werden nach dieser Ausstellung in Arezzo sehr viel mehr sein als vorher.
Fiamma Domestici, Die Künstlerfamilie Della Robbia, Scala 1992
Schon heute freuen kann man sich auf die von Alessandro Nova herausgegebene „Edition Giorgio Vasari“ aus dem Wagenbach Verlag, wenn der Band „“Das Leben der toskanischen Bildhauer der ’ersten Generation’. Jacopo della Quercia, Nanni di Banco, Nicolí² Aretino, Luca della Robbia“ im Oktober 2010 erscheint. Vasari hat so treffende wie oft unverschämte Wertungen den jeweiligen Künstlern verpaßt, die um so interessanter werden, wenn man das Gesamtgeflecht erkennt, innerhalb dessen der Mann aus Arezzo, der sich als Florentiner fühlt, die Florentiner Künstler für ewig als die ganz Besonderen darstellen kann. Von daher sollte man die bisher 24bändige Ausgabe sofort erwerben, zu der im Oktober Michelangelo und Bandinelli stoßen. Vier Bände pro Jahr lassen sich auch vom Lesen her verkraften.
Mit freundlicher Unterstützung von Enit Deutschland, in Person ihres Direktors, Marco Montini, der Journalisten auch an die weiter entfernten Ausstellunksorte außerhalb von Arezzo brachte.