Der Reichstagsbrand und die vergessene Unterwerfung

Berliner Polizisten in der Reichspräsidentenloge im Plenarsall des Reichstags nach dem Brand. Berlin im Februar 1933. © Bundesarchiv, Bild 102-14367 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Es wären nie Parteiverbote und Zensurmaßnahmen gewesen, die den Hitlerfaschismus verhindert hätten. Es hätte bürgerlichen Mut gebraucht anstelle von Unterordnung und Gehorsam. Ein Gut, das heute so rar zu sein scheint wie im Jahr 1933.

Es ist eigenartig, dass die wohl folgenreichste Handlung unter falscher Flagge in der deutschen Geschichte, die sich gerade erst wieder gejährt hat, so wenig Aufmerksamkeit erhält. Aber es macht auch Sinn, denn so, wie im heutigen Deutschland vom Hitlerfaschismus erzählt wird, ist das ein störendes Detail. Die Rede ist vom Reichstagsbrand.

Hitler war seit dem 30. Januar 1933 Reichskanzler. Doch was das bedeuten sollte, zeigte sich klar erst mit dem Reichstagsbrand und den Tagen, die darauf folgen sollten. Heute ist man solche Ereignisse schon fast gewöhnt, terroristische Anschläge, hinter denen sich der eine oder andere Geheimdienst verbirgt ‒ die Weimarer Republik war es noch nicht.

In der Nacht vom 27. zum 28. Februar brannte der Reichstag. Erst wenige Tage zuvor hatte Hermann Göring 50.000 Mitglieder von SA und SS in die Polizei übernommen. Am 28. Februar beginnt der blanke Terror: Insbesondere Abgeordnete und Funktionäre der KPD, die von den Nazis der Brandstiftung beschuldigt wird, landen in den Folterkellern ‒ die durchaus oft in den Polizeizentralen eingerichtet wurden, wie in der Münchner Ettstraße. Oder sie wurden gleich ermordet. „Auf der Flucht erschossen“ war damals eine stehende Wendung.

Notdürftig rechtlich gedeckt wurde das durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, die am 28. Februar erfolgte. „Zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ lautete die Begründung. Mit diesem Schritt wurden Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.

Die Verfassung der Weimarer Republik kannte deutlich klarere Grundrechte als das Grundgesetz, aber die zwölf Jahre ihrer Existenz sind immer wieder von Notverordnungen und Notstandsrecht geprägt, also eine Art Wechselbad zwischen größerer Freiheit und ihrem vollständigen Verschwinden. Schon vor dem 28. Februar war der Zustand wieder auf Einschränkung geschaltet ‒ am 5. Februar, also ganze fünf Tage nach dem Beginn von Hitlers Kanzlerschaft, erfolgte bereits eine Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes, in der die Bestimmungen für Versammlungen und die Presse deutlich verschärft wurden.

Die Einschränkungen, die darin bezogen auf Versammlungen gemacht wurden, sind im heutigen Deutschland der Normalzustand, und man kann sie in vielen Bundesländern im Versammlungsrecht wiederfinden. Und auch die Vorgaben zum Verbot von periodischen Druckschriften (also Zeitungen und Zeitschriften) enthalten vertraute Formulierungen, wie: „wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden“. Oder: wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden.

Erstaunlicherweise gilt in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung immer noch als strittig, wer den Reichstagsbrand gelegt hat, und sie tendiert sehr dazu, den Niederländer Marinus van der Lubbe, der im Reichstag festgenommen wurde, zum Alleintäter zu erklären. Allerdings wurde im Herbst 1933 mit ihm zusammen auch der Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion, Ernst Torgler, und drei bulgarische Kommunisten ‒ Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew ‒ angeklagt. Auf der Webseite des Deutschen Bundestags zum Reichstagsbrand heißt es nur: Doch die Anklage bricht zusammen, das Gericht spricht die Beschuldigten wegen Mangels an Beweisen frei.

In Wirklichkeit war dieser Prozess eine ungeheure Niederlage der Hitlerfaschisten. In den Monaten seit dem Brand war sämtlichen bei den Reichstagswahlen am 5. März gewählten Kommunisten das Mandat aberkannt worden (die meisten waren ohnehin verhaftet oder bereits im Exil). Dann wurde am 24. März das Ermächtigungsgesetz verabschiedet (mit den Stimmen des Zentrums übrigens). Am 2. Mai 1933 wurden, nach einer schmählichen Teilnahme des ADGB an den Maifeiern der Nazis, die Gewerkschaftshäuser gestürmt und im Sommer zuletzt auch die SPD verboten. Schon am 22. März war das erste KZ in Dachau eröffnet worden. Der Ort wurde deshalb gewählt, weil dort im Jahr 1919 die bayerische Rote Armee einen Sieg errungen hatte.

Der Reichstagsbrandprozess sollte all dem gegenüber dem Ausland einen Anstrich von Legitimität verleihen. Er begann mit einem großen Aufgebot internationaler Presse. Anfangs wurde die Verhandlung live im Rundfunk übertragen und sogar, per Lautsprecher, auf öffentlichen Plätzen wiedergegeben. Das endete aber bald, denn insbesondere einer der Angeklagten, Georgi Dimitroff, schaffte es, die Ankläger zu Angeklagten zu machen. Ja, die Anklage brach zusammen. Aber sie tat es auf eine Art und Weise, die die Täterschaft den Nazis zuwies. Bertolt Brecht (der übrigens Deutschland bereits am 28. Februar verlassen hatte) kommentierte das Ergebnis dieses Prozesses so:

„Dass er ihren Reichstag nicht in Brand gesetzt hat, das ist sicher
Aber nun, vor ihren Augen und ohne daß sie ihm in den Arm
Fallen können
Verbrennt er ihre ganze Justiz.“

Marinus van der Lubbe kann noch aus einem ganz anderen Grund nicht der Täter gewesen sein. Vor dem Reichstagsbrand ging eine Anweisung an die Polizeiführungen im Reich, zum Stichtag 26. Februar Listen besonders wichtiger Kommunisten und Gewerkschafter anzufertigen. Was bedeutet, zeitgerecht, um sie am 28. Februar, dem Faschingsdienstag, griffbereit in den Schubladen liegen zu haben. Diese Vorbereitungen in der Verwaltung sind rückblickend das stärkste Indiz für Vorabwissen.

Aber warum verschwinden diese ganzen Ereignisse aus der offiziellen deutschen Erzählung über den Hitlerfaschismus? So tief, dass eine meiner Töchter im Geschichtsunterricht tatsächlich erzählt bekam, die Kommunisten hätten den Reichstag angezündet, als hätte der Reichstagsbrandprozess nie stattgefunden?

Auch nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 25. März wären die Nazis noch aufzuhalten gewesen. Der Terror herrschte damals gewiss geografisch beschränkt auf die Arbeiterviertel und war in den gutbürgerlichen Straßen kaum wahrzunehmen, aber die SPD-Führung musste darüber Bescheid wissen. Dennoch setzte die sozialdemokratische Spitze des ADGB darauf, sich durch Kooperation irgendwie hindurchzumogeln, was sich in der Teilnahme am 1. Mai der Nazis zeigte, statt ihre Mitglieder zu Widerstandshandlungen aufzurufen ‒ obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits eigene Leute in den Konzentrationslagern saßen. Noch anpassungsbereiter war das bürgerliche Zentrum, das schließlich nicht einmal gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte.

Es gibt auf der Webseite des Vorwärts eine interessante Darstellung über die Berichterstattung der SPD-Parteizeitung am 28. Februar 1933. Nachts um zwei wurde die Redaktion des Vorwärts von der Polizei besetzt. Davor erschien eine andere Version der Titelseite, auf der ein Appell an das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, gewissermaßen der militärische Arm der SPD, geplant war. „Das Proletariat, zu stärkster Kraft gesammelt in der Eisernen Front, ist in der Tat der Block, an dem die Reaktion scheitern wird.“ Gleichzeitig deutete der Bericht über den Brand an, es könne sich um eine Tat der Nazis handeln.

In der zweiten Ausgabe wurde dieser Aufruf zum Widerstand gestrichen, und in einem abgedruckten Text einer Nachrichtenagentur wird auch der Bericht über den Brand geändert, mit einem Verweis auf kommunistische Helfershelfer, „die im Reichstag ein- und ausgehen“.

Der Autor dieses Textes vermutet, damit hätte die Parteizeitung vor einem Verbot geschützt werden sollen. Ein naheliegendes Argument ‒ es gibt Berichte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die den plötzlichen Schwenk der sozialdemokratischen Presse zur Kriegspropaganda genau auf die gleiche Weise begründen. Am Ende ist dieses zweite Nachgeben der zweite große historische Verrat der SPD an der deutschen Arbeiterbewegung und letztlich auch an der deutschen Nation. Denn wieder hätte sie es in der Hand gehabt, die Katastrophe zu verhindern, und wieder hat sie es nicht getan.

Und die bürgerlichen Parteien der Weimarer Zeit? Die richteten sich vor allem ein unter der neuen Herrschaft. Man war schließlich auch all die kleinen Schritte vor dem Ermächtigungsgesetz mitgegangen.

Neben dem Einknicken der Sozialdemokratie dürfte hier der zweite Grund dafür liegen, dass man weder darüber sprechen will, wie schnell und deutlich der Terrorcharakter der Naziherrschaft kenntlich war (schließlich sind die Kommunisten ja längst wieder die Bösen), noch darüber, wie lang der Zeitraum war, in dem es immer noch möglich gewesen wäre, die Entwicklung aufzuhalten. Es war letztlich nicht die politische Nebelwerferei der Hitlerfaschisten, die in Wirklichkeit für keine der beiden Positionen standen, die ihre Selbstbezeichnung als „Nationalsozialisten“ vorgaukelte. Es war die Bereitschaft zu Gehorsam und Unterwerfung, die die Strecke vom inszenierten Terror des Reichstagsbrands hin zu allgegenwärtigem Schrecken und Krieg planierte und leicht begehbar machte.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Der Reichstagsbrand und die vergessene Unterwerfung“ am 2.3.2025 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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