Berlin, BRD (Weltexpress). In Italien war am 16. September an ein schweres Kolonialverbrechen zu erinnern. An die Ermordung des legendären Senusitenführers Omar al-Mukhtar. „ Der Löwe der Wüste“ wurde an diesem Tag 1931 von Mussolinis Vizegouverneur der eroberten Kyrenaika (heute Libyen) General Graziani nach Gefangennahme vor 20.000 zusammengetriebenen Beduinen öffentlich gehängt.
Werfen wir einen Blick auf dieses blutige Kapitel kolonialer Expansion unter dem 1922 an die Macht gekommenen faschistischen Diktator Mussolini. Unter ihm konnte der Imperialismus, wie später auch in Deutschland, seine Expansionsziele unter günstigeren Voraussetzungen in Angriff nehmen. Darauf wies Togliatti im Kontext von „Faschismus und Krieg“ mehrfach hin und betonte, die Errichtung der faschistischen Diktatur habe den Kriegsplänen „ein spezifisches Gepräge und eine bestimmte Richtung“ verliehen.1 Hier ist einzufügen, dass noch bevor unter Hitler in Deutschland Konzentrationslager errichtet wurden, Mussolini diese barbarische Praxis der Unterdrückung des Volkswiderstandes bereits bei der Eroberung der Kyrenaika anwandte und dabei Völkermord beging.
Das faschistische Regime übernahm die früheren Expansionsziele des Großkapitals, erweiterte sie zum Kampf um die Neuaufteilung der Welt und ging mit äußerster Brutalität daran, sie zu verwirklichen. Im Rahmen seiner „Großitalien“-Pläne dehnte es zunächst die Einflusssphären auf dem Balkan aus. Nachdem Mussolini der albanischen Reaktion geholfen hatte, die Revolution niederzuschlagen, unterwarf er 1926 das Land seiner Vorherrschaft. Italien sicherte sich dadurch die alleinigen Rechte zur Erdölförderung. 1939 besetzte es Albanien und erklärte es zur Kolonie.
Nachdem 1925 die Eroberung Tripolitaniens und 1929 des Fessan vollendet worden war, folgte 1930 die Kyrenaika. Hier setzten die Nomaden des islamischen Senussi-Ordens, die der legendäre „Sohn des großen Zeltes“ genannte Stammesführer Omar Mukhtar anführte, sich erbittert zur Wehr. Als Gouverneur der Kolonie befahl General Badoglio darauf hin, die Rebellen „räumlich ganz klar und weit von der unterworfenen Bevölkerung (zu) trennen“, auch „wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zugrunde gehen müsste.“2 Zur Abschreckung der restlichen Einwohner wurden deren Ansiedlungen geplündert, Geiseln erschossen, Frauen vergewaltigt und die Heiligtümer der Nomaden geschändet. Der Historiker Eric Salerno schrieb, dass während der massiven Bombardements gegen die Zivilbevölkerung bereits in der Kyrenaika Giftgas eingesetzt wurde.3
Die verbliebenen Partisanen wurden erbarmungslos gejagt, ihre Anführer aus Flugzeugen in den Tod gestürzt. Am 11. September 1931 fiel Omar Mukhtar als einziger Überlebender einer zwölfköpfigen berittenen Partisanengruppe nach zweistündiger Verfolgung in die Hände der Italiener. Graziani ließ ihn am 16. September 1931 öffentlich aufhängen. 20.000 Menschen wurden zusammengetrieben, der Exekution zuzusehen. In die Kolonie schickte Rom etwa 110.000 Siedler, die den Arabern ihre Böden raubten, diese selbst in die Wüste trieben oder sie zwangen, sich auf Plantagen als billige Lohnsklaven zu verdingen. Zwischen 1923 und 1938/39 raubte das faschistische Italien den Libyern insgesamt 731.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen.4
Jetzt soll ein seit Jahrzehnten von allen Regierungen Italiens nicht zugelassener Film über die Verbrechen des italienischen Kolonialismus in Libyen endlich, zumindest für einen Tag, im Kino zu sehen sein. „ Der Löwe der Wüste “ unter der Regie von Mustafa Akkad mit Schauspielern vom Kaliber wie Anthony Quinn, Irene Papas und Oliver Reed, zeigt die Verbrechen des italienischen Kolonialismus in Libyen auf. Die Vorführung ist vorerst in neun Städten: Rom, Turin, Neapel, Mailand, Arezzo, Monza, Bologna, Modena und Pisa geplant. Die Veranstaltung wird im Rahmen der Initiativen zur Einrichtung eines Gedenktages für die Opfer des italienischen Kolonialismus gefördert und soll auf die Verantwortung Italiens während der Zeit der kolonialen Besatzung in Libyen, am Horn von Afrika und auf dem Balkan aufmerksam machen, heißt es in der Mitteilung des Vereins Un Ponte Per.
Die barbarischen Kolonialverbrechen wurden unter Mussolini mit der Eroberung Äthiopiens vom Oktober 1935 bis Mai 1936 fortgesetzt, bei der wieder dass Giftgas Yperit eingesetzt wurde. Während des Feldzuges fanden auf äthiopischer Seite etwa 275.000 Menschen den Tod, die meisten durch das Giftgas. 5
Am 1. Juni 1936 schloss der „Duce“ Äthiopien mit Eritrea und Italienisch Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der Missionspapst genannte Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern der koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf. Der Mailänder Kardinal Ildefonso Schuster feierte im Dom der Stadt in einer Messe die Heldentaten des italienischen Heeres, das in seiner Pflichterfüllung das „Licht der Zivilisation nach Äthiopien getragen“ habe. Der zum Marschall beförderte Graziani wurde Generalgouverneur der Kolonie.
Um den anhaltenden Widerstand zu zerschlagen, führten Abteilungen der Schwarzhemden „Strafexpeditionen“ durch. Der in Addis Abeba weilende Korrespondent des Mailänder „Corriere della Sera“ Ciro Poggiali schilderte erst 1971, was sich zutrug: „Alle Zivilisten, die sich in Addis Abeba befanden, hatten auf Grund der fehlenden militärischen oder polizeilichen Organisation, die Aufgabe der Rache übernommen, die in echter faschistischer SA-Manier 6 blitzschnell ausgeführt wurde. Mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnet liefen sie umher und erschlugen die Einheimischen, die sich noch auf der Straße befanden. (…) Nach kurzer Zeit sind die Straßen um die Hütten von Toten übersät. Ich sehe einen Busfahrer, der, nachdem er einen alten Neger mit einem Hammerschlag niedergemacht hat, ihm den Kopf mit einem Bajonett durchbohrt. Man muss nicht erwähnen, dass das Gemetzel sich gegen unwissende und unschuldige Menschen richtete.“7
Nach einem gegen sich erfolglosen Attentat befahl Generalgouverneur Graziani am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem nach äthiopischen Angaben allein in der Hauptstadt 30.000 Menschen zum Opfer fielen. 8 Etwa 1.000 Häuser wurden niedergebrannt. Graziani ordnete an, die äthiopische Intelligenz als einen potentiellen Oppositionsherd zu liquidieren. Unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Kadetten der Militärakademie von Addis Abeba wurden umgebracht. Nur auf den Verdacht hin, dass sie an dem Attentat beteiligt gewesen sein könnten, ließ der Generalgouverneur im Mai 1937 nahezu 300 Ordensbrüder des Klosters Debra Libanos erschießen. Unzählige Äthiopier sperrte das Kolonialregime in Konzentrationslager, wo die meisten elendiglich zu Grunde gingen. Insgesamt kamen unter der faschistischen Herrschaft etwa 750. 000 Äthiopier ums Leben.
In der Repubblica Sociale Italiano (RSI), die Mussolini nach seinem Sturz im Juli 1943 im Oktober des Jahres unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht proklamierte, wurde Graziani Kriegsminister. Nach der Niederlage des Faschismus 1945 stellte er sich den Amerikanern und wurde zunächst Kriegsgefangener. Auf der Kriegsverbrecherliste der United Nations War Crimes Commission wurde er als einer der größten italienischen Kriegsverbrecher aufgeführt. Sowohl das Kaiserreich Äthiopien als auch das Königreich Libyen forderten seine Auslieferung, die die USA verweigerten. 1950 wurde er von einem italienischen Gericht zu 19 Jahren Haft verurteilt, auf Betreiben der USA nach vier Monaten begnadigt. Er wurde Ehrenpräsident der 1946 als Movimento Sociale Italiano (MSI) wieder gegründeten faschistischen Partei Mussolinis, aus der 2012 die Partei Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, seit 2022 Ministerpräsidentin, hervorging. Im selben Jahr wurde im Geburtsort Grazianis in der Stadt Affile bei Rom für ihn ein Mausoleum errichtet.
Anmerkungen:
Zu den Ereignissen siehe auch das Buch des Autors „Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges“, Pahl Rugenstein Nachf., Bonn 2006.
1 Togliatti auf dem VII. Weltkongress der Komintern in; „Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale“. Berlin/DDR, 1960, S. 198 ff.
2 Dietmar Stübler: Geschichte Italiens 1789 bis zur Gegenwart, Berlin 1987, S. 140 f., Giorgio Rochat: La Repressione della Resistenze araba in Cirenaica, in: Il Movimento di Liberazione in Italia, Rom 1973, S. 162f.
3 Eric Salerno: Genocidio in Libia, Mailand 1979, S. 48.
4 Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika. Köln 2000, S. 113.
5 Schneider, S. 145
6 Im Text heißt es Squadrismus, der italienische Begriff für Terror der Sturmabteilungen
7 Giro Poggiali: Gli Appunti segreti del Inviati del “Corriere della Sera”, Mailand 1971, S. 182.
8 Schneider, S. 145.
Der am 5.9.2024 um 6:42 Uhr MEZ veröffentlichte Beitrag wurde um 11:57 Uhr vom Autor ergänzt.