Der letzte Gesamtkünstler und derjenige, der mit der Reform des Jugendstils auch eine Reform des Lebens beabsichtigte – Serie: „Joseph Maria Olbrich. Jugendstil und Secession“ im Museum Leopold in Wien (Teil 2/2)

Portrait, um 1901

Hier im ersten Raum funkeln auch glitzerndes Glas und poliertes Silber in einer Glasvitrine um die Wette, auch dies eine Vorbereitung auf das, was sich in den späteren Räumen ausbreitet und dazu führt, dass man die Vielfalt an Formen von Bestecken, von Gläsern, von Steingut, von Porzellan einfach nicht auf einen einzigen Entwerfer zurückführen mag. Aber so war es. Andererseits werden dann im Umkehrverfahren sein spezieller Sessel von 1899 denen von Hoffmann von 1905, Wagner von 1902, Koloman Moser von 1901 gegenübergestellt, wobei die Ähnlichkeiten genauso deutlich werden, wie die Abweichungen. Uns gefiel übrigens der von Wagner am besten!

Spannend auch die Pariser Weltausstellung von 1900, wo Joseph Maria Olbrich gleich zwei Ausstellungskomplexe gestaltete und sowohl Österreich wie auch das Großherzogtum Hessen vertrat. Heute kann man sich die Funktion der Weltausstellung für die Entwicklung des Kunstgewerbes, aber auch des Bauens überhaupt nicht mehr vorstellen. Es gibt nichts Vergleichbares heutzutage. Im Jahr 1900 fuhren fünfzig Millionen Besucher nach Paris, um das zu sehen, war sowohl rückwärtsgewandter Eklektizismus war wie zukunftsweisender Jugendstil. Zu letzterem trug Olbrich zwei Zimmer bei. Es gab das Wiener Zimmer, das mit einem Yachtsalon verglichen wurde, und das Darmstädter Zimmer, so wie es Olbrich für den Großherzog von Hessen und bei Rhein entworfen hatte, bauen ließ und wie es in den herzoglichen Räumen stand. Beide Zimmer unterschiedlich und beide hochinteressant. Seit dieser Weltausstellung stand auf einmal Darmstadt mit in der Riege der Jugendstilstädte, als die bisher Dresden, Berlin, München galten und zu denen jetzt auch Düsseldorf, Karlruhe Köln Leipzig und Stuttgart hinzukamen.

Deutschland war die neue Wirkungsstätte Olbrichs, denn der Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, an der Entwicklung neuer Kunst- und Lebensformen überaus interessiert, hatte sich in den Jguendstilstädten umgeschaut, war oft in Wien und setzte in Joseph Maria Olbrich seine ganzen Hoffnungen, seine Stadt zu einer Jugendstilstadt zu machen. So geschah es. Ein vorausschauender Potentat und ein richtiger Aristokrat, wie das im Jahr 1907 gemalte Ganzporträt von Franz von Stuck zeigt und das nicht nur wegen der zwei Rubinklunker an der rechten Hand, im Stil der Zeit an den zwei kleinsten Fingern, sondern die ganze stolze und aufrechte Haltung dieses Kerls, der mit kurzgeschnittenem Haar, Oberlippenbärtchen und Zweireiher unternehmungslustig und direkt uns aus blaugrauen Augen anblickt. Als Zwillingsseelen hat man ihn und Olbrich bezeichnet. Sicher ist, daß beide zusammen eine kleine Revolution in Darmstadt veranstalteten, wo die Bauausstellung ins Leben gerufen wurde und deshalb auch sschnell anderenorts dieser aus Wien importierte Jugendstil zum Blühen kam.

In Wien wird all das gezeigt, was schon in Darmstadt kaum glaublich war, wie Jahr für Jahr die Gebäude auf der Mathildenhöhe, die eigentlich Olbrichhöhe heißen müsste, entstanden, die bis heute deren Ruhm ausmachen und nicht nur zu Besuchern aus aller Welt führen, von denen manche den Namen Olbrich noch nie gehört haben, aber das Ensemble kennen, sondern nun auch zum Vorhaben geführt haben, die gesamte Mathildenhöhe, die weithin noch den Olbrichgeist atmet, in die Liste der Weltkulturerbestätten der Unesco aufnehmen zu lassen. Man glaubt in den letzten Räumen fast, Olbrich habe um sein frühes Ende gewusst. Rastlos arbeitet er, in Darmstadt sind die Aufgaben zu klein geworden, bzw. schon erfüllt. Das Rheinland wartet auf ihn, er baut in Düsseldorf das Kaufhaus Tietz, ein Juwel für die Branche, er baut in Köln, er baut und baut. Dann bekommen er und seine Frau im Juli das Töchterchen und am 8. August stirbt Olbrich überraschend an Leukämie.

Eine gute Idee des Leopoldmuseums, auch die kleinen Besucher in die Ausstellung einzuführen und auf deren Augenhöhe in Schrifttafeln zu erläutern, wie des Großherzogs Töchterchen Elisabeth nun die Wiener Kinder mit den Begebenheiten der Zeit vertraut macht. Das liest sich auch für Erwachsene interessant, nur wundert man sich, ist doch Elisabeth mit acht Jahren sehr früh in Rußland bei Onkelchen Zar verstorben. Herzig auch das Prinzessinnenhäuschen, das Olbrich für die Kleine in Schloß Wolfsgarten bei Langen 1902 baute, ein Spielhaus, wo die Einrichtung auf Puppenhöhe angelegt war, allerdings große Puppen, ging doch die Deckenhöhe bis 2, 15 Meter, die Sitzhöhe der Möbel war auf 41 Zentimeter beschränkt. Was man auch erst hier mitbekommt, ist, daß ein weltbekanntes Dekor für Küchengefäße, dieses gewissen gerade mit blauem Ornament, von Olbrich stammt. Es war die Wächtersbacher Keramik aus Hessen, die dieses Modell für Zimt, Kümmel, Lorbeer, Gewürze, Pfeffer, Essig, Mehl und Milchkännchen zur Massenproduktion führte. Jugendstil eben. Olbrich aber auch. Das war also einer, der in viel mehr drinnen steckt, als man weiß und sehr viel mehr bewegte, als man zuvor ahnte.

P.S.: Bitte lesen Sie den ersten Teil der Olbrich-Reise, die in Darmstadt begann und wo explizit auf die deutschen Bauten in Darmstadt und Düsseldorf und auf seine handwerklichen Arbeiten eingegangen wird, die auch in Wien ausgestellt sind.

Ausstellung: Bis 27. September 2010

Katalog: Das Leopold Museum gibt den im Verlag Hatje Cantz veröffentlichten Katalog mit verändertem Titel „Jugendstil und Secession“, neuer Umschlaggestaltung und einigen Zusätzen heraus. Schon für die Darmstädter Fassung schrieben wir: „Katalog: Joseph Maria Olbrich 1867 -1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne, hrsg. von Ralf Beil und Regina Stephan, Mathildenhöhe Darmstadt, Verlag Hatje Cantz 2010.

Daß dieser Ziegelstein und als Katalogbuch bezeichnete Band seine schwergewichtige Berechtigung hat, erkennt jeder, der in ihm herumblättert oder ernsthaft zu lesen und zu studieren anfängt. Es gibt in der Literatur nämlich nicht sehr viel zu diesem wichtigen Zeitgenossen der Moderne, der in allen angewandten Künsten zu Hause war. So ist man auch inhaltlich erschlagen, wenn man betrachtet, wieviel und wieviel Verschiedenes und doch aus einem Guß Joseph Maria Olbrich geschaffen hat. Kluge Worte gehen eine Verbindung ein mit schönen Bildern, die dem Text die visuelle Aussage zur Seite geben.

Hörbuch: Joseph Maria Olbrich, erschienen in der Reihe „Kunst zum Hören“ im Verlag Hatje Cantz. Dieses Buch ist für die Ausstellung in Darmstadt konzipiert. Aber, auch wenn die Reihenfolge in der Ausstellung im Museum Leopold eine andere ist, sind doch die Grundlagenwerke dieselben. Man kann also die 55 Titel, die auf der CD die einzelnen Werke vertiefen, sich auch in und nach Wien anhören – und sollte das tun.

Internet: www.leopoldmuseum.org

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005

Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.

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