Natürlich, Humor und Tiefgang wie gewohnt, doch besonders, weil der Autor in seinen Geschichten alle Fäden seines Lebens, seiner Erfahrungen und literarischen Werke so zusammenführt, wie die Seile eines schwebenden Fallschirms an dem Fallschirmspringer münden. Den wird der Wind, der die sieben Kapitel in veränderten Auftritten eröffnungsbläst, in ebenso viele schöne Bilder des Lebens hineinsinken lassen. Und kaum gelandet, wird die vorgefundene Friedlichkeit zum Abenteuer, denn Leben will sich ausprobieren und das darf der kleine Fallschirmspringer dank der Offenheit seines Lehrers und seines Vaters auch – wenn er einem Stier vor die wutschnaubenden Hörner fällt, in einen Mädchenreigen, in eine Hochzeit, in eine Zirkusgesellschaft, in ein Rosenfeld… und wenn er dann diese Welt verlässt, in die er von dem schicksalhaften Wind hineingeweht wurde, dann hat sie sich verändert und auch der kleine Fallschirmspringer ist ein wenig erfahrungsgrößer geworden.
In seiner poetisch natürlichen und außergewöhnlich dichten Sprache vermag Albert Wendt die Spannung in einer stetigen Gegenläufigkeit der Lebensbewegung anzuleinen. Sieben Mal sinkt der kleine Fallschirmspringer, dem gewünschten Ziel entrückt und sich dagegen wehrend, vom Himmel zur Erde. Sehr viel öfter streckt er sich dem Himmel und seiner eigenen Größe wieder entgegen, wenn er dem Stier entweicht, von einem Großvater zum Ehrengast erkoren, von kräftigen Frauenhänden nach oben gehoben wird, wenn er die Kirchentreppen empor schreitet. Dem Schicksal stellt Albert Wendt immer ein selbstbestimmtes Handeln, der nach poetischen Ausschweifungen in einem Rosenfeld ernüchternden Realität des grauen Bürohochhauses immer eine vertrauende Hoffnung auf Veränderung gegenüber. Seine Schreibfeder holt die Fäden aus der Tiefe der Weltliteratur und fügt die Ablichtungen großer Wortmeister wie Samuel Beckett, Charles Dickens, Antoine De Saint-Exupery, Peter Hacks und G.W. F. Hegel in sein Märchengewebe ein. Ein Kinderbuch bleibt es allemal, gerade weil Albert Wendt den Anspruch hat, die Kinderseelen mit einer guten Sprachqualität zu nähren, freundlich und wärmend. Gerade weil dieses Gewebe von einer Seite zur anderen von Beziehungsfäden durchdrungen, sehr viel- und durchsichtig ist. Vater – Sohn, Lehrer- Schüler, Mutter – Sohn, und am Rande die Beobachter, die Nachbarn, die Bettler, die verloren gegangenes wieder aufheben – das macht stark, das hält, hält als Sicherungsnetz für weitere Abenteuer auf einem Drachen und als erste schüchterne Hängematte für eine sich neu entwickelnde Beziehung: Junge- Mädchen. Gegen dieses letzte Bild, in das er verweht wird, wehrt sich der kleine Fallschirmspringer nicht mehr, er nimmt sein Schicksal an, er landet in den schaukelnden Zweigen eines Apfelbaums. Wenn sein Berufskollege Hans Christian Andersen für seine Märchen befindet: „Die Kinder verstehen die Staffage, die Erwachsenen den tieferen Sinn.“, so bemerkt Albert Wendt für seine Kinderbücher: „Wer sich nicht in ein Kind versetzen kann, ist auf keinen Fall zu groß dafür.“
Albert Wendt: Der kleine Fallschirmspringer, Jungbrunnen, 80 Seiten, 12,95€ – Alter: 8 -108, ab dem 15.02.2013 im Buchhandel
als Hörspiel im MDR Figaro am Sonntag, den 17.02.2013 um 18.00 Uhr, mit Valery Tscheplanowa als Wirbelwind, Yusuf Baz als kleiner Fallschirmspringer, Jule Böwe als Mutter, sowie: Lea Draeger, Winfried Glatzeder, Reiner Heise, Jürgen Holtz, Ernst Jacobi, Klaus Manchen, Thomas Neumann, Jörg Schüttauf u.a.