Der „Historische Kompromiss“ von Enrico Berlinguer mit den Christdemokraten im Italien der 70er Jahre – Chancen des Gelingens und Ursachen des Scheiterns

Enrico Berlinguer. Foto: unbekannter Autor

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vor 50 Jahren wurden in Italien durch den Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCI), Enrico Berlinguer, die Weichen für einen umstrittenen Entwicklungsweg gestellt. Für die „Compromesso storico“ (historischer Kompromiss) genannte Regierungszusammenarbeit mit der führenden Partei der Großbourgeoisie Democrazia Cristiana (DC). Seine bis dahin nur intern bekannten Pläne sickerten in der Öffentlichkeit durch, nachdem die DC im Mai 1974 zusammen mit der faschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) 1 im Referendum über das Divorzio (Ehescheidung) eine Niederlage erlitten hatte. Das Ehescheidungsgesetz war im Dezember 1970 mit den Stimmen aller Parteien, ausgenommen DC und MSI, vom Parlament mit 319 gegen 286 Stimmen verabschiedetet worden. In einem vom katholischen Klerus dagegen inszenierten Referendum erlitten DC und MSI mit 59,1 % „nein“ , was hieß, die zivile Ehescheidung beizubehalten, eine Abfuhr.

Bis dahin galt die von der IKP verbreitete Ansicht, Berlinguer habe mit dem Compromesso auf den faschistischen Putsch im September 1973 in Chile reagiert. Der IKP-Chef hatte jedoch bereits auf der ZK-Tagung im November 1971 erklärte, man müsse „aus der endemischen Krise der Regierungen des linken Zentrums herauskommen“, eine „Regierung der demokratischen Wende“ bilden und „die Überwindung der Klassenschranken anstreben“. Die PCI schlug der DC vor, an Mehrheiten „zur Lösung der einzelnen Probleme“ teilzunehmen. 2 Auf dem 13. Parteitag im März 1972 löste Berlinguer Luigi Longo als Generalsekretär ab. Für den schwerkranken Longo wurde das Amt des Parteivorsitzenden geschaffen. Die DC verfügte über keine Regierungsmehrheit und der Staatspräsident schrieb vorzeitige Neuwahlen aus. Berlinguer präzisierte nun, die „Demokratische Wende“ durch die Zusammenarbeit der drei großen „politischen Volkskräfte“, Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten, herbeizuführen. Gleichzeitig gab die Partei ihre Anti-NATO-Haltung auf und erklärte, den Beitritt zur EG zu unterstützen. Nach dem Sturz Allendes im September 1973 erklärte Berlinguer weiter „selbst wenn die Linksparteien und Linkskräfte 51 Prozent der Stimmen im Parlament erringen könnten (…), wäre es völlig illusorisch, anzunehmen, dass allein diese Tatsache den Fortbestand einer Regierung der Linksparteien und Linkskräfte garantieren würde.“ Eine „demokratische Erneuerung“ könne sich nur vollziehen, wenn sich Regierung und Parlament auf eine breite Mehrheit stützten, die stark genug sei, das Land vor einem reaktionärem Abenteuer, wie es in Chile stattfand, zu schützen. Berlinguer schlug dem linksliberalen DC-Vorsitzenden Aldo Moro nun offiziell einen Compromesso stòrico und die Zusammenarbeit auf Regierungsebene vor 3 Als die IKP 1976 bei den Parlamentswahlen von 27,1 % 1972 auf 34,4 % Stimmen anstieg und damit in der Abgeordnetenkammer knapp hinter DC (38,7) lag, trat der Kompromiss in sein konkretes Stadium. Den offiziellen Vorschlag unterbreitete Berlinguer, um den Symbolcharakter hervorzuheben, in Salerno, wo Togliatti 1944 die Konzeption der „Wende von Salerno“ vorgelegt hatte.

IKP in starker Position

Für die Verhandlungen befand sich die IKP in einer starken Position. Als zweitstärkste Fraktion belegte sie in der Abgeordnetenkammer 227 Sitze und stellte den Präsidenten, im Senat den Stellvertreter. Sieben Kommunisten leiteten Parlamentsausschüsse. In den Regionen beteiligte sich die Partei an fast der Hälfte der Regierungen. In allen Großstädten von Mailand über Rom bis nach Neapel verfügte sie über die Mehrheit in den Stadtparlamenten und regierte mit den Sozialisten zusammen. In 1.362 von 8.068 Städten stellte sie den Bürgermeister. Die Vertretung der IKP und der ISP auf der Ebene von den Gemeinden bis zu den Landesparlamenten entsprach 52,8 % der Wähler.4

NAO „Schutzschild“

Neben berechtigter Kritik an sozialistischen Deformierungen und dem unter Chruschtschow begonnenen Voluntarismus in der UdSSR sowie an der Führerrolle der KPdSU beteiligte sich die IKP an der bürgerlichen Propaganda gegen die Sowjetunion. Sie proklamierte auf der Grundlage der Anerkennung der „Spielregeln der bürgerlichen Demokratie“ und ihrer Integration in deren Parteiensystem einen eigenen „Weg zum Sozialismus“, übernahm das bürgerliche Staatsmodell, für das sie lediglich eine „demokratische Transformation“ forderte und anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft. Berlinguer erklärte, nicht nur die Bündnisverpflichtungen Italiens zu respektieren, sondern bekundete obendrein, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als „Schutzschild“ eines italienischen Weges zum Sozialismus.5

Nach den Wahlen 1976 half die IKP der DC über die schwere Regierungskrise hinweg, indem sie deren Kabinett im Parlament durch Stimmenthaltung stützte. Nach schwierigen Gesprächen, in die der als brillanter Redner bekannte Aldo Moro ohne Zweifel sein außergewöhnliches Geschick als Verhandlungsführer einbrachte, kam im Januar 1978 ein Regierungsabkommen zu Stande. Den von Berlinguer gewünschten Bezug auf das „Modell einer sozialistischen Gesellschaft“ lehnte Moro ab, da er Widerstand in seiner Partei befürchtete. Berlinguer war zunächst gegen Andreotti als Regierungschef, lenkte aber auf Drängen Moros, der hoffte, damit die Amerikaner zu beruhigen, ein. Am 8. März wurde das Programm von den Parteien des Verfassungsbogens 6mit Ausnahme der Liberalen Partei (PLI) gebilligt.7 Am 16. März stellte sich Andreotti mit einer DC-Minderheitsregierung zur Vertrauensabstimmung im Parlament. Noch vor der Eröffnung der Sitzung wurde Moro entführt. Andreotti erhielt ohne Debatte mit den Stimmen der IKP und aller anderen Parteien des Arco costituzionale das Vertrauen ausgesprochen. Obwohl noch nicht im Kabinett vertreten, erhielt die IKP ein Mitspracherecht in der Regierungspolitik. Für einen späteren Zeitpunkt war der direkte Eintritt in die Regierung vorgesehen.8 Zur selben Zeit wurde auf dem Kapitol durch Stimmenthaltung der DC der Kommunist Giulio Argan zum Bürgermeister von Rom gewählt.

Vor dem Hintergrund faschistischer Putschversuche

Die Regierungszusammenarbeit der Kommunisten mit der großbürgerlichen DC ist bis heute umstritten. War es berechtigt, angesichts der realen Gefahr, dass ein faschistischer Putsch ein entsprechendes Regime wie 1967 in Griechenland an die Macht bringen konnte, ein Regierungsbündnis zu bilden? Welche Chancen des Gelingens gab es? Wo liegen die Ursachen des Scheiterns?

Dem Vorschlag Berlinguers waren mehrere faschistische Putschversuche vorausgegangen. Bereits nach der Bildung der Mitte-Links-Regierung 1963 unter Moro, die die 1947 mit den Kommunisten aus der Regierung vertriebenen Sozialisten wieder aufnahm, hatten diese Kräfte einen Umsturz geplant.
Im Dezember 1970 hatte der damalige Vorsitzende der MSI-Partei, Valerio Borghese, wegen 800fachen Mordes an Partisanen als Kriegsverbrecher verurteilt, aber schon nach kurzer Zeit begnadigt, unter dem Code „Tora Tora“ einen Militärputsch zur Errichtung eines faschistischen Regimes auslösen wollen. In den Umsturz waren etwa 400 hohe Militärs, darunter zahlreiche Generale und Truppenkommandeure, eingeweiht. 9 Die Chefs von drei Panzerdivisionen hatten zugesagt, Borghese zu unterstützen. Der Generalstab des Heeres erteilte den Befehlshabern der Militärbezirke vor dem geplanten Unternehmen Order, ihre Truppen für evtl. Operationen bereitzuhalten. Aus den NATO-Stäben erhielt Borghese Rückendeckung durch den Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte Südeuropa, Admiral Birindelli. „Angesichts der Schwäche der italienischen Demokratie und der geringen politischen Stabilität in diesem Land“ war der stellvertretende Generalsekretär der NATO Joerg Kastl aus der Bundesrepublik dafür, dass „die Kräfte der NATO auf dem italienischen Territorium durch zusätzliche Einheiten verstärkt werden sollten“. Er empfahl, eine Eingreifdivision nach Italien zu verlegen. 10

Eine „chilenische Lösung“ für Italien

Nach dem Putsch Pinochets in Chile im September 1973, der die Regierung des Sozialisten Salvador Allende stürzte, versuchte das MSI bereits im Dezember 1973 und dann nochmals im Frühjahr 1974 einen neuen faschistischen Umsturz. Beide Operationen erhielten als Decknamen das NATO-Symbol der „Windrose“. Es gelang antifaschistischen und demokratischen Kräften, die Pläne zu enthüllen, bevor sie in Gang gesetzt werden konnten. Wenigstens 15 Generäle und Dutzende weitere hohe Offiziere befanden sich auch diesmal unter den Putschisten.
Auf sicher gestellten Mordlisten standen 1.617 Namen, darunter Enrico Berlinguer und Luigi Longo (IKP), Sandro Pertini, Präsident der Abgeordnetenkammer, und Francesco De Martini (ISP), die Künstler und Schriftsteller Alberto Moravia und Pier Paolo Pasolini. Im Falle des bei einem derartigen Blutbad zu erwartenden Widerstands der Arbeiter sollten Armee und Polizei gegen die „rote Gefahr“ vorgehen. Am 31. Oktober 1974 wurde der Chef des Geheimdienstes SID, Vitorio Miceli, verhaftet und, wie der „Paese Sera“ am 1. November 1974 berichtete, beschuldigt, „zusammen mit anderen Personen eine Geheimorganisation von Militär und Zivilpersonen mit dem Ziel gegründet zu haben, einen bewaffneten Staatsstreich auszulösen“, um „die Beseitigung der gegenwärtigen Staatsordnung und der Regierung Italiens unter Verwendung eines Teils der Streitkräfte“ herbeizuführen. Einer Forderung von US-Außenminister Henry Kissinger folgend wurde Miceli aus der Untersuchungshaft entlassen, obwohl es, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ am 2. Mai 1975 schrieb, dem „prominenten General“ nicht gelungen war, „die Anschuldigungen Punkt für Punkt zu widerlegen“.

Admiral Birindelli wollte neuer „Duce“ werden

Welcher Geist das Bild der Offiziere, die die Faschisten unterstützten, prägte, zeigt ein Blick auf den langjährigen Befehlshaber der NATO-Seestreitkräfte Europa Süd, Admiral Birindelli. Der frühere Offizier des „Duce“ bekannte sich zu seiner Vergangenheit und erklärte: „Ich glaube an die faschistischen Ideale. Ich bekenne mich dazu und ich bereue nichts.“ Er verherrlichte die Militärjunta in Griechenland und begrüßte den Sturz Allendes in Chile. Wenn er als neuer „Duce“ an die Macht komme, werde er diese „mit großer Härte“ gebrauchen. 11 Birindelli und Miceli waren keine Einzelfälle. Die Untersuchung in Sachen „Windrose“ offenbarte, dass die Armee und ihr Geheimdienst regelrecht faschistisch unterwandert waren. Die Ergebnisse der Ermittlungen zogen jedoch keine Konsequenzen nach sich.

Das zeigte auch der MSI-Parteitag im Januar 1977 in Rom, auf dem sich MSI-Führer Giorgio Almirante in wüsten antikommunistischen Ausfällen erging und den DC-Vorsitzenden Moro einen Filokommunisten nannte, der das Land den Roten ausliefere. Als er Pinochet zu feiern begann, brachen die 1.200 Teilnehmer in frenetischen Beifall aus, sprangen von den Plätzen, rissen den rechten Arm zum Führergruß empor, schrien das „Eja, eja alala“, mit dem Mussolini sich einst begrüßen ließ, und skandierten „Pinochet, Pinochet“. Es dauerte Minuten, bis die tobende Menge einhielt und Almirante, immer wieder von tosendem Beifall unterbrochen, weiter sprach und eine „chilenische Lösung“ für Italien forderte und zum Studium der Erfahrungen Pinochets aufrief.12 Juristische Reaktionen auf diese verfassungswidrigen Vorgänge gab es nicht.

Der „Allende“ Italiens

Zur Abwehr der faschistischen Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, entsprach also durchaus der politischen Situation. Dabei war auch Berlinguers Bündnispartner Aldo Moro in Betracht zu ziehen. Der 1916 in der Kleinstadt Maglie im südlichen Apulien geborene Moro war der führende Repräsentant der Linken Strömung in der DC. 13 Er kam aus den einfachen Verhältnissen einer ländlichen Pädagogenfamilie. Der Vater war Schulinspektor, die Mutter Elementarschullehrerin. Der sehr begabte Schüler studierte Jura an der Universität von Bari, an der er anschließend promovierte, sich habilitierte und später eine Professur für Strafrecht innehatte. Seit 1943 gehörte er der DC an. In Moros Bewusstsein war das einheitliche nationale Handeln der Resistenza gegen das Besatzungsregime Hitlerdeutschlands, das im April 1944 in der Bildung einer antifaschistischen Einheitsregierung, die von den Kommunisten und Sozialisten bis zu großbürgerlichen Kreisen und Monarchisten reichte, gipfelte, lebendig. Davon ausgehend ging es Moro während seiner Regierungszeit und als DC-Vorsitzender darum, seiner Partei und damit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem, das sie verkörperte, eine stabile Regierungsmehrheit zu verschaffen. Das hielt er nur durch die Einbeziehung zunächst der Sozialisten und später der Kommunisten für möglich. 1946 in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt, gehörte er danach bis zu seinem Tod ununterbrochen der Abgeordnetenkammer an. Er stand fünfmal der Regierung vor, wurde 1948 das erste Mal zum Staatssekretär ernannt, danach mehrmals zum Außenminister und Chef anderer Kabinettsressorts. Für die 1979 anstehenden Präsidentenwahlen galt er als aussichtsreichster Kandidat seiner Partei. Als Gegner der NATO blieb er am 27. März 1949 demonstrativ der Parlamentssitzung fern, die den Beitritt zu dem Pakt beschloss. Alcide de Gasperi schloss ihn deswegen aus dem Kabinett aus. Viele Politiker hielten seine Karriere für beendet. Die DC bezahlte jedoch bei den Parlamentswahlen 1953 den pro-atlantischen Kurs de Gasperis mit einer schweren Niederlage. Von 48,5 % (1948) sackte sie auf 40,1 ab. Während de Gasperi abdankte, kehrte Moro in die Politik zurück und 1955 in die Regierung.
Als Moro 1963 den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt, setzte er seine erste Apertura à Sinistra (Öffnung nach links) durch und nahm die zusammen mit den Kommunisten 1947 aus der Regierung vertriebenen Sozialisten wieder in die Regierung auf. Nun wollte Moro auch die Kommunisten in die Regierungszusammenarbeit einzubeziehen. Gegen die von 12,6 Millionen Italienern gewählte IKP konnte das Land, so Moros Meinung, nicht mehr regiert werden. Wie in der Außen- und Außenwirtschaftspolitik war Moro auch in der Innenpolitik ein entschiedener Gegner der massiven Einmischung Washingtons in die italienischen Angelegenheiten und trat für die Wiederherstellung der nach 1945 verlorengegangenen nationalen Souveränität ein. Eine der gemeinsamen Interessenlinien mit Berlinguer war, die italienischen Entscheidungen in der IKP unabhängig von Moskau zu treffen und die in der DC und damit in der italienischen Politik unabhängig von Washington.14 Seitens der IKP sah Moro, ausgehend von deren ideologischen Wandlungen und der Abkehr von Moskau, keine Gefahr einer „kommunistischen Machtergreifung“ oder einer kommunistisch dominierten Linksregierung. Gleichzeitig hoffte er, dass ähnlich wie vorher bei der ISP, ihre in den Massen wurzelnde Überlegenheit abnehmen und sich das in einem Wählerrückgang niederschlagen werde, was seiner Partei zu Gute kommen sollte. In einem Interview für die römische Tageszeitung „La Repubblica“ verdeutlichte er am 18. Februar 1978 indessen, das Ziel könne nicht darin bestehen, die IKP als politischen Faktor auszuschalten und wies damit Spekulationen auch im linken Flügel seiner eigenen Partei zurück. Mit großer Rationalität plädierte Moro dafür, die IKP solle ihre „ideologische Herkunft“ nicht zu sehr verleugnen, womit er nachgerade vor einer zu starken Sozialdemokratisierung warnte. Er räumte offen ein, dass die DC allein das Land „nicht mehr halten“ könne und betonte: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich die IKP während dieses langsamen Annäherungsmarsches nicht zu sehr schwächt, aber vor allem müssen wir uns darum kümmern, dass die DC nicht zu schwach wird“.

Moros zweite Apertura à Sinistra stieß in Washington auf erbitterten Widerstand . Der DC-Vorsitzende war nach seinen öffentlichen Erklärungen zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten erbitterten Angriffen ausgesetzt, die immer öfter in einer regelrechten Mordhetze gipfelten. Als Moro sich 1974 als Außenminister in Begleitung von Staatspräsident Giovanni Leone in Washington befand, wurde er massiv unter Druck gesetzt. Mit der offenen Drohung, Italien in ein zweites Chile zu verwandeln, arbeiteten die Amerikaner regelrecht der faschistischen Strategie von einer „chilenischen Lösung für Italien“ in die Hände. Präsident Gerald Ford rechtfertigte zu Beginn des italienischen Staatsbesuchs auf einer Pressekonferenz die Hilfe der USA beim Militärputsch Pinochets, der 1973 die frei gewählte Regierung des Sozialisten Allende stürzte. Während das errichtete faschistische Regime von den Neofaschisten in Rom als Vorbild gefeiert wurde, erklärte Ford „wir haben dort getan, was die Vereinigten Staaten tun, um ihre Interessen im Ausland zu verteidigen“. Außenminister Kissingers nannte Moro den „Allende Italiens“, der das Land „in kommunistische Abhängigkeit“ steuere, und „viel gefährlicher als Castro“ sei. Kissinger befürchtete, ein demokratischer Wahlsieg Moros könnte „ein folgenschweres Beispiel“ abgeben.

Washington setzte auf Mord und Terror

Es ergingen in den folgenden Jahren immer wieder Drohungen, die Moro und Rom überhaupt Washington gefügig machen sollten. Außenminister Kissinger kündigte zur Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der IKP an, dass es Aufgabe der CIA sei, „Realitäten zu schaffen“. Der frühere Vizedirektor der Agency und Leiter des zum Geheimdienst gehörenden Center of Strategic and International Studies (CSIS), Ray Cline, versicherte gegenüber der „New York Times“ umgehend, „dass die verwirrende Situation in Italien durch die Geheimaktivitäten der CIA gelöst werden wird.“ Eine Tagung des CSIS, die sich im April 1976 mit der Lage in Italien befasste, schlussfolgerte, dass es höchste Zeit sei, „entschiedener in Italien einzugreifen“, um zu verhindern, dass das Land über den Eintritt der Kommunisten in die Regierung den Weg „der Neutralität“ zwischen den Blöcken einschlage und dann „die NATO nichts mehr zu sagen habe“ und die „sechste amerikanische Flotte im Mittelmeer ihre Positionen verlieren würde.“ In dem Center arbeiteten neben Kissinger Leute wie der spätere Präsident der USA Ronald Reagan, General Alexander Haig und der langjährige CIA-Direktor William Colby, Letzterer bekannt als Mitorganisator des Putsches gegen Allende.

Diese Sicht auf die Entwicklung in Italien war letzten Endes von einer panischen Angst vor einem Kräftemessen mit den Linken, vor allem den Kommunisten, das nach den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie stattfinden würde, geprägt. Diese Furcht führte dazu, dass in der Auseinandersetzung mit dem Reformkonzept Moros fast ausschließlich auf Gewalt gesetzt und schließlich vor Mord und Terror nicht zurückgeschreckt wurde. Moros Frau Eleonora sagte später vor der Parlamentskommission zur Untersuchung des Mordes an Moro aus, dass ihrem Mann während des Staatsbesuchs in Washington massiv Konsequenzen angedroht worden waren. Wenn er seine Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht aufgebe, werde er es „teuer bezahlen“. Ein hoher Beamter habe in Anspielung auf die Ermordung John F. Kennedys und seine Witwe gedroht, dass es sonst „eine Jaqueline in der Zukunft (Italiens) geben“ werde. 15 Ihr Mann habe das so ernst genommen, dass er nach der Rückkehr nach Rom sein Testament verfasste.

Wie die weitere Entwicklung zeigte, lag dem eine Fehleinschätzung zugrunde. Denn trotz der Niederlage des Historischen Kompromisses und dem Verschwinden des „Eurokommunismus“ von der politischen Bühne gewann der Sozialdemokratismus in der IKP an Boden und führte sogar zum Verschwinden der Partei. Auch wenn das damals in dieser Konsequenz auf keiner Seite für möglich gehalten wurde, entsprach es der Logik des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation. Die IKP als Regierungspartei anzuerkennen hätte nahezu zwangsläufig Zweifel am „Feindbild“ des Kommunismus hervorgerufen und auch Auswirkungen auf Frankreich oder Spanien gehabt. So gesehen fiel die Konzeption Berlinguers auch und vor allem dem Kalten Krieg zum Opfer. Es gab jedoch auch in Washington einige, wenn auch wenige Politiker, die weiter sahen. Unter ihnen befand sich der spätere Sicherheitsberater des Präsidenten und Theoretiker des „Roll back“ des Sozialismus durch die Strategie der „Umarmung“, Zbigniew Brzezinski. In der „International Herald Tribune“ vom 5. November 1976 äußerte er, eine amerikanische Regierung könnte zwar nicht die Teilnahme von Kommunisten an westeuropäischen Regierungen befürworten, aber es sei absolut lächerlich, „Gesprächen mit Breshnew zuzustimmen, sie aber Berlinguer zu verweigern“. Noch deutlicher vertrat einige Zeit danach der frühere Mitarbeiter des Londoner Instituts für Strategische Studien Gregory Treverton diesen Standpunkt. Im „Zürcher Tagesanzeiger“ wandte er sich am 19. November 1977 gegen Kissingers apokalyptische Warnungen vor einer Regierungsbeteiligung der Kommunisten in Westeuropa und forderte eine „Differenzierung dieser Bewegung nach ihren tatsächlichen ideologischen Ausrichtungen.“ Linksregierungen in diesen Ländern müssten „nicht notwendigerweise zu einer Krise der NATO führen, sofern sie loyal sind gegenüber der atlantischen Allianz“. Treverton plädierte für „Flexibilität gegenüber künftigen Entwicklungen“ und sprach sich für ein Ende „der CIA-Manipulationen“ aus. Aber solche Leute blieben Rufer in der Wüste.
Den USA ging es nicht nur um die Sicherung der italienischen NATO-Mitgliedschaft und um die Südflanke des Paktes, sondern vordergründig auch darum, das Land unter der während des Zweiten Weltkrieges auf der Grundlage ihres Besatzungsregimes begründeten Vorherrschaft zu halten. Sie schalteten dazu von Anfang an die Geheimdienste ein, finanzierten rechte und faschistische Kräfte, bestachen Parteien, Politiker, Gewerkschaftsführer und Massenmedien. 16 Eine aktive Rolle spielte das State Department. Die Herrschaft der Botschafter in einem nicht völlig souveränen Land war offensichtlich kein Privileg, das die sowjetischen Missionschefs beispielsweise in der DDR ausübten. In seiner Nr. 614/1978 schrieb das Nachrichtenmagazin Panorama, Washingtons Botschafter führten sich wie „Statthalter in Rom“ auf. James Dunn, von 1945 bis 1952 Missionschef, habe dieses Regime begründet, indem er „alle politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druckmittel nutzte, um die USA-Ziele durchzusetzen“. Die Verbündeten standen ohne Widerspruch zum „großen Bruder“ in Washington. Als die IKP 1976 die erste DC-Regierung tolerierte, beschlossen die Regierungschefs der G 7-Staaten hinter dem Rücken der Italiener, Rom im Falle einer kommunistischen Regierungsbeteiligung sämtliche Kredite zu sperren. Bundeskanzler Helmut Schmidt unterstützte die US-Forderung am nachdrücklichsten. Strauß malte in einem Gespräch mit dem „Spiegel“ vom 29. November 1976 drohend das Gespenst „der Volksfront aus Italien und Frankreich“ an die Wand.

Keine Maßnahmen gegen faschistische Gefahr

Da Berlinguer auf den Druck der Rechten, unter dem Moro in der DC stand, Rücksicht nahm, kam es zu keinen konkreten Vereinbarungen, wie der faschistischen Gefahr Einhalt geboten werden sollte. Es hätte beispielsweise darum gehen müssen, das in der Verfassung festgeschriebene Verbot der Wiedergründung der Mussolini-Partei in Gestalt des MSI durchzusetzen, den Staatsapparat, besonders Armee und Geheimdienste, von faschistischen Elementen zu säubern, ein Verbot der offen betriebenen faschistischen Propaganda, darunter Aufrufe zum Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung, wie sie das MSI unter der Losung einer „chilenischen Lösung“ für Italien betrieb, zu erlassen. Nichts davon geschah jedoch.

Der Einfluss der sozialdemokratischen Strömung

In der IKP stand Berlinguer seinerseits unter dem Druck einer sozialdemokratischen Strömung, die sich seit Ende der 60er Jahre in der Partei herausgebildet hatte. Durch den Wahlerfolg erhielt diese Auftrieb und gewann bestimmenden Einfluss auf die Gestaltung des Historischen Kompromisses. Sie beherrschte vor allem den mächtigen parlamentarischen Apparat, der wiederum eng mit der Parteiführung verknüpft war. Ihre politisch-ideologische Grundlage bildete der sogenannte Eurokommunismus. Diese revisionistische Strömung entstand seit Anfang der siebziger Jahre in einigen KPs der westlichen Länder (vor allem Italiens, Spaniens, Frankreichs, der Linkspartei Kommunisten Schwedens). Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carrillo kaum über Deklarationen hinauskam und der PCF unter Georges Marchais zunehmend wieder auf Distanz ging, wurde die IKP unter Berlinguer zu ihrem Protagonisten.
Die Reformen-Vorhaben sahen eine Förderung der Privatindustrie bzw. Reprivatisierungen, die Behebung des Nord-Südgefälles durch die Belebung der Landwirtschaft und Investitionen im Süden sowie die Steigerung der Produktivität vor. Das Steuersystem sollte reformiert werden. Es wurde die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor allem für Jugendliche versprochen, was der Förderung des sozialen Konsums dienen sollte. In den meisten Fragen handelte es sich um verbale Bekundungen, die erst durch die Regierung bzw. das Parlament hätten beschlossen und verwirklicht werden müssen, wozu es nie kam. Von den antimonopolistischen Forderungen des 7. Parteitages war nicht einmal mehr in Ansätzen die Rede. Wesentliche Interessen der Arbeiter wurden nicht berücksichtigt. Es gab keine Garantie für die bereits zu dieser Zeit den Angriffen der Confindustria ausgesetzten Scala mobile 17. Ebenso spielte die Mitbestimmung der Gewerkschaften in den Betrieben, vor allem in den staatlichen Unternehmen, generell keine Rolle. Es fehlten Verbesserungen auf sozialen Gebieten, besonders im Gesundheitswesen oder in der Bildung. Die IKP stellte keine Forderungen, die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen zu verbessern, sondern fand sich im Gegenteil bereit, rigide Sparmaßnahmen der Regierung mitzutragen und mäßigend auf den Widerstand der Gewerkschaften dagegen einzuwirken. Davon zeugte im Februar 1978 der Kongress der drei Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL im EUR-Viertel von Rom. Mit der Erklärung, es sei „eine selbstmörderische Politik (…), den Betrieben überflüssige Arbeitskräfte aufzuzwingen“, da die italienische Wirtschaft dadurch „allmählich in die Knie“ gehe, wandte sich CGIL-Vorsitzender Lama (IKP) faktisch gegen die Cassa Integrazione.18 Außerdem bekundeten die Gewerkschaften ihre Bereitschaft, im Ausgleich für die der IKP zugesagten Reformen den Kündigungsschutz zu lockern.

Ähnlich wurde bei der Zustimmung zu dem DC-Rechten und ausgesprochenem Mann der Amerikaner, Giulio Andreotti, zum Ministerpräsidenten argumentiert.

IKP gespalten

Die IKP war sowohl in der Führung als auch an der Basis in ihrer Haltung zur Regierungszusammenarbeit mit der DC gespalten. Bereits Mitte der 60er Jahre hatte es in und außerhalb der Partei Widerstand gegen die reformistischen Tendenzen gegeben. Im November 1969 schloss das ZK der IKP die unter dem Namen „Manifesto“ entstandene innerparteiliche Opposition aus. Insgesamt wurden etwa 10.000 Mitglieder ausgeschlossen oder verließen die Partei, unter ihnen die legendären Linken Luigi Pintor und Rossana Rossanda, die anschließend die Zeitung „Manifesto“ gründeten.
Dass die Partei sich vom linksextremen Terror von Gruppen wie den Brigate Rosse distanzierte, war verständlich. Nicht aber, dass linksradikale Organisationen wie die Lotta Continua (Ständiger Kampf), die den sogenannten bewaffneten Kampf führten, mit faschistischen Terroristen auf eine Stufe gestellt wurden. Die Manipulierung des Linksextremismus wurde von der IKP aber nicht erkannt bzw. nicht publik gemacht. Nachdem radikale Linke den CGIL-Vorsitzenden Luciano Lama (IKP) im März 1977 auf einer Gewerkschaftskundgebung auspfiffen und es zwischen diesen und den IKP- und Gewerkschaftsmitgliedern zu einer Schlägerei kam, gebrauchte Lama ihnen gegenüber den Begriff des „neuen Faschismus“.
Während die „Manifesto“-Gruppe den Compromesso storico ablehnte und die Partei verließ, lehnten in der IKP Kritiker die Zugeständnisse an die „Austeritätspolitik“ der Regierung ab. Das brachte Luigi Longo  auf der ZK-Tagung im Oktober 1976 zum Ausdruck, als er kritisierte, dass die Entscheidungen „von oben“ getroffen werden. Man verliere „den Kontakt mit der Basis“, die „Partei wird geschwächt“. Es werde gefragt, ob die von den Arbeitern verlangten Opfer tatsächlich zu den erwarteten Reformen führten oder nur zur Stärkung des Monopolkapitalismus und seiner Diener, den Christdemokraten. Auf dem Mitte März tagenden Zentralkomitee, an dem der erkrankte Berlinguer nicht teilnahm, wurden „ernste Zweifel“ geäußert, dass der Historische Kompromiss eine Alternative darstelle. Er wurde als Klassenzusammenarbeit mit der DC charakterisiert. Die Partei verteidige den „bestehenden politischen Rahmen“, es bestehe die Gefahr „einer historischen Niederlage“, eines „gesellschaftlichen Umschwungs nach rechts“, hieß es. Politbüromitglied Gian Carlo Pajetta sprach „von Gefahren und Schwierigkeiten“, die Regierung Andreotti sei „unangemessen für die Bedürfnisse des Landes“. Er forderte, die Arbeiterbewegung „in eine bewusste und einheitliche Schlacht“ zu führen, „eine Wende sei nur möglich, wenn für den politischen Fortschritt Massenkämpfe geführt würden“. 19 Giorgio Napolitano, führender Exponent der sozialdemokratischen Strömung, ignorierte in seinem Schlusswort die Kritik und verlangte, so schnell wie möglich das System der Stimmenthaltung im Parlament aufzugeben und die Zusammenarbeit mit der DC zu vertiefen, auch wenn das noch nicht zum direkten Eintritt in die Regierung führe. 20

Lehren der Klassiker missachtet

Zum Widerstand der IKP-Basis ist ein Wort zur Abspaltung der „Manifesto“-Gruppe angebracht. Es stellte sich – auch unter dem Gesichtspunkt der Folgen, die sie beförderte – die Frage, ob die Trennung nicht voreilig vollzogen wurde. Während Opponenten um Luigi Longo auf die Einheit der Partei setzten, steuerte „Manifesto“ auf einen Bruch zu. Die Ausschlüsse erfolgten auf Betreiben der Revisionisten, die damit die innerparteiliche, gegen sie gerichtete Opposition schwächten und ihr damit ein Übergewicht bei der Gestaltung des Historischen Kompromisses verschafften. Die Opponenten um Longo wurden von „Manifesto“ im Stich gelassen und damit die Chancen der Zurückdrängung der Revisionisten verspielt oder zumindest vermindert.
Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass sich „Manifesto“ mit der Namensgebung auf das Kommunistische Manifest von Marx und Engels berief, während gleichzeitig grundlegende Erfahrungen von ihnen missachtet wurden. Sie stellten sich u. a. in einer durchaus ähnlichen Situation, nämlich nach der Gründung der einheitlichen Sozialistischen Arbeiterpartei 1875 in Gotha, deren Programm nicht frei von opportunistischen Auswüchsen war, nicht die Aufgabe, eine neue, von revisionistischen Einflüssen freie revolutionäre Arbeiterpartei zu schaffen. Sie betonten die Bedeutung der erreichten Einheit und kämpften darum, „die richtige politische Linie in der deutschen sozialdemokratischen Partei“ durchzusetzen. Es gelang in dieser Periode, die Opportunisten zurückzudrängen und zu erreichen, dass das praktische Auftreten der Partei durch revolutionäre Aktionen bestimmt wurde. Sie kämpfte erfolgreich gegen das Sozialistengesetz und fand den richtigen Weg zu den Massen. 21

Zum Scheitern gebracht

Moros zweite Öffnung nach links stieß in den USA auf erbitterten Widerstand. Führende US-Politiker, der Geheimdienst CIA und die NATO inszenierten mit der italienischen Reaktion, eingeschlossen die Faschisten, gegen Moro ein Mordkomplott, dem dieser nach seiner Entführung am 18. März 1978 55 Tage später, am 9. Mai, zum Opfer fiel. An seiner Inszenierung und Ausführung wirkten Politiker wie US-Außenminister Kissinger, der italienische Ministerpräsident Andreotti, die CIA und die NATO-Geheimtruppe Gladio mit italienischen Geheimdienst- und Armee-Kreisen in Komplizenschaft mit den Faschisten des Landes mit. Als Werkzeug ließen sich die von Polizei- und Geheimdienst-Agenten unterwanderten und entsprechend manipulierten linksextremen BR missbrauchen.
Andreotti lehnte die von den Entführern geforderte Verhandlungen – die bis dahin immer geführt wurden, was auch danach wieder gängige Praxis war – ab und lieferte seinen Parteivorsitzenden dem sicheren Tod aus. Um in der Regierungsmehrheit verbleiben zu können, schloss sich die IKP dieser Linie zunächst an und überließ ihren Bündnispartner seinem Schicksal. Mit ihren Stimmen verabschiedete das Parlament fünf Tage nach dem Anschlag die Legge Reale (Notstandsgesetze), die weit über die erforderlichen Befugnisse hinausgingen. Sie erlaubten Polizeiverhöre ohne Anwalt, längere Festnahmezeiten ohne Haftprüfungstermine, Telefonüberwachung ohne richterliche Verfügung. Sie erweiterten und verschärften die umstrittenen Repressivmaßnahmen, die Innenminister Francesco Cossiga seit seinem Amtsantritt 1976 bereits erlassen hatte: Einführung des Paragraphen über „terroristische Vereinigungen“ in das Strafrecht, Hochsicherheitstrakte nach dem Vorbild von Stammheim und Anhebung der Höchstdauer der Untersuchungshaft. Generell schränkten die Notstandsgesetze und -verordnungen die Bürgerrechte ein und übertrugen den bewaffneten Organen und der Justiz weitreichende Vollmachten, die unterschiedslos auch gegen oppositionelle Kräfte angewendet werden konnten, was auch in bedenklicher Weise erfolgte.

Ergebnis: Wende nach rechts

Im Januar 1979 verließ die IKP die rechte Regierungskoalition. Der Historische Kompromiss war, wie Berlinguer auf dem Parteitag im März 1979 eingestand, gescheitert. 22 Es gab keinerlei soziale oder ökonomische Reformen. Statt einer Zurückdrängung der faschistischen und rechten Gefahr kam es zu einer Verschiebung der Regierungsachse nach rechts, erhielten in der DC rechte und mit den Faschisten paktierende Kräfte den bestimmenden Einfluss auf die Politik. Die politische Bedeutung der IKP ging spürbar zurück. In den folgenden Jahren verlor sie etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 1979 war ihre Stimmenzahl zum ersten Mal seit Kriegsende rückläufig. Sie verlor gegenüber 1976 mit einem Schlag fast vier Prozent ihrer Wähler, bis 1987 rund acht. Das war auch ein Ergebnis der antikommunistischen Hetze, in der die Partei als Urheberin des Terrors der BR diffamiert wurde.
Es folgte eine Welle der Repression. Sie richtete sich mit aller Wucht vor allem gegen linke und als linksradikal apostrophierte Intellektuelle. Der angesehene Professor Antonio Negri wurde angeklagt, Chef der RB zu sein und die Entführung Moros organisiert zu haben. Tausende Linksradikale, viele von ihnen, ohne sich eines Vergehens strafbar gemacht zu haben, wurden in die Gefängnisse geworfen, zirka 100.000 Personen von den polizeilichen Ermittlungen erfasst, rund 40.000 angeklagt, etwa 15.000 verurteilt.
Dieser Enthauptungsschlag führte zur heutigen tiefen Krise der Linken, zur Liquidierung der IKP, ihrer kaum vorstellbaren Zersplitterung in vier KPs.23

Anmerkungen:

Unser Autor schrieb zum Thema:

  • Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA, PapyRossa, Köln 2000
  • Aldo Moro und das Bündnis von Kommunisten und Christdemokraten im Italien der siebziger Jahre, Neue Impulse Verlag, Essen 2003
  • Warum Aldo Moro sterben musste, Die Recherchen des Commissario Pallotta, Eine Kriminalerzählung nach Tatsachen, Erich Weinert Bibliothek der DKP Berlin, Heft 1/2011
  • Compromesso storico. Der Historische Kompromiss der IKP und die heutige Krise der Linken. Schriftenreihe „Konsequent“ der DKP Berlin, 1/2013
  • Die Niederlage der Linken in Italien und der Renegat Napolitano, Ebd. 1/2015
  • Die Strategie Palmiro Togliattis während und nach der Befreiung Italiens vom Faschismus, Ebd. 1/2018

1 Bei dem MSI, mit dem die DC das Referendum zusammen eingebracht hatte, handelte es sich um die 1946 als Nachfolger der verbotenen Mussolini-Partei gegründete Organisation, die mit der CIA, der NATO und ihren einheimischen Komplizen einen Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung betrieb.

2 Enrico Berlinguer: Für eine Demokratische Wende. Ausgewählte Reden und Schriften 1969-1974, Berlin/DDR 1975.

3 „Rinascita, 28. Sept., 5. u. 12. Okt. 1973.

4 Almanacco PCI, Rom 1976, S. 30.

5 “Corriere della Séra, 15. Juni 1976; Georgio Galli; Storia del PCI, Mailand 1993, S. 266 f.

6 Dem außer das MSI alle Parteien des Parlaments angehörten.

7 I. Giorni della Storia. Cronaca quotidiano da 1915, Novara 1997, S. 700, Aldo Moro: Scritti e Discorsi, Rom 1990, S. 3738 ff.

8 Galli, S. 269 ff.

9 Harald Irnberger: Die Terrormultis, Wien 1976, S. 197 ff.

10 „Süddeutsche Zeitung“, 22. Juni 1970.

11  Irnberger, S. 208 ff.

12 Der Autor war auf dem Parteitag anwesend. Siehe „Umbruchsjahre in Italien. Als Auslandskorrespondent in Rom 1973 bis 1979“, Köln 2019, S. 68 ff.

13 Während ich mit meiner Frau Irene, die als Foto-Reporterin arbeitete, für die Nachrichtenagentur „ADN“ der DDR von 1973 bis 1979 in Rom tätig war habe ich Aldo Moro bei zahlreichen offiziellen Anlässen wie Staatsempfängen oder als Redner in Parlamentsdebatten persönlich kennengelernt. Es war für mich menschlich sehr ergreifend, miterleben zu müssen, wie er seine Treue zum Antifaschismus, zu demokratischen Traditionen und sein Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten mit dem Leben bezahlte. Ihm habe ich u. a. die 2003 geschriebene Schrift „Aldo Moro und das Bündnis von Christdemokraten und Kommunisten im Italien der 70er Jahre“ gewidmet. Aldo Moro ist auch die Hauptfigur meiner Kriminalerzählung „Warum Aldo Moro sterben musste. Die Recherchen des Commissio Pallotta.

14 Unter Experten gab es Diskussionen, ob Moro eine Finnlandisierung Italiens vorgeschwebt, er Moskau den Austritt Polens aus dem Warschauer Pakt vorgeschlagen habe und als Gegenleistung Italiens Austritt aus der NATO bewerkstelligen wollte. Diese Fragen wurden über zwei Jahrzehnte später auf einer Konferenz der Associazione Ricreativa Culturale Italiana (ARCI) zu „Politik und Terrorismus in Italien“ im September 2002 erörtert, an welcher ich zusammen mit Professor Siegfried Prokop teilnahm. Während Prokop zur RAF in der BRD referierte, hielt ich das Hauptreferat zur Rolle der CIA bei der Manipulierung der Roten Brigaden. Siehe Siegfried Prokop „Gladio und der 11.9. Politik und Terrorismus in Italien. Internationale Konferenz der ARCI in Brentonico. „junge Welt“, 28./29. September 2002

15 Entnommen aus „Osservatore Politico“, Rom, vom 13. Sept. 1975.

16 Roberto Faenza, Marco Fini: Gli Americani in Italia, Mailand 1976.

17 Gleitende Lohnscala, mit der die Löhne vierteljährlich automatisch an die Inflationsrate angepasst wurden.

18 Da es in Italien kein Arbeitslosengeld gibt, setzten die Gewerkschaften 1968 die Einrichtung der Cassa integrazione guadagni durch. Sie gewährte Lohnausgleichszahlungen an die Beschäftigten (Arbeitslose und Kurzarbeiter) in Höhe von 80 % des Nettolohnes

19  „Unita“, 16./17. März 1977.

20 Ebd.

21 Marx’s Kritik am Gothaer Programm, MEW, Bd. 19, Berlin/DDR 1962, S. 15-32, Vorwort der Herausgeber, S. XI bis XIII.

22 Unita, 31. März bis 3. April 1979.

23 Die unter dem alten Namen PCI bestehende Partei, eine Rifondazione Comunista (PRC), eine sich nur Partito Comunista (PC) nennende und eine Partito Comunista dei Lavoratori (Kommunistische Arbeiterpartei – PCL).

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