Der gute Mensch von Nanjing – Ulrich Tukur spielt den vergessenen Humanisten in der Zeit vor dem Zweiten Weltkriegs “John Rabe”

Und noch ein netter Nazi. Dieses Mal gespielt von einem guten deutschen Schauspieler: Ulrich Tukur.

Was im Film vorausgesetzt wird, muß man wissen: 1936 hatten die noch im Ersten Weltkrieg verfeindeten Staaten Japan und Deutschland den "Antikominternpakt" geschlossen, dem ein Jahr später auch Italien beitrat. Dies war die Antwort von Hitler, Mussolini und dem japanische Kaiser Hirohito auf das von Stalin ins Leben gerufene "Kommunistische Internationale Bündnis" (Kominternpakt). Als Japan 1937 China überfiel – und jetzt sind wir wieder im Film – , geschah das mit Billigung des Deutschen Reiches. Der Osten war der westlichen Welt damals sehr fern, so daß erst 1941 die USA auf die japanische Expansionspolitik reagierten, was den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor auf Hawaii zur Folge hatte, woraufhin die USA in den 2. Weltkrieg nun auch offiziell und mit gewaltiger Militärmacht eingriffen. Als sie als Alliierte längst Sieger im Mai 1945 in Europa waren und Deutschland kapituliert hatte, kämpfte Japan weiter, bis die neu entwickelte Atombombe im August 1945 auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfen wurde.

Kann ein NSDAP-Mitglied und überzeugter Anhänger der Naziideologie gleichzeitig entschlossener Humanist sein? John Rabe (Ulrich Tukur) lebt als Leiter der Siemens-Werke mit seiner Frau Dora (Dagmar Manzel) seit fast dreißig Jahren in China. Nun wird er in die Heimat zurückbeordert. Sein geschäftlicher Nachfolger Fließ (Matthias Herrmann), der so heißt, wie er sich wachsweich und naziangepaßt verhält, ist schon vor Ort. Der Abend seiner Abschiedsfeier wird für Rabe zu einem doppelten Wendepunkt. Nicht nur seine Stelle, auch seinen geregelten Alltag muss er hinter sich lassen. Nach der Einnahme Shanghais bombardieren japanische Kampfflieger Nanking. Im Angesicht der japanischen Armee finden sich die wenigen in der Stadt verbliebenen ausländischen Vertreter zu einem Komitee zusammen. Der jüdischstämmige Diplomat Dr. Rosen (Daniel Brühl), die französische Direktorin eines Mädchenkollegs Valerie Dupres (Anne Cosigny) und der britische Chefarzt des Krankenhauses Dr. Wilson (Steve Buscemi) entschließen sich zu der Gründung einer zivilen Sicherheitszone, in der weder Waffen noch Soldaten gestattet sind. Gegen seinen Willen wird Rabe zum Vorsitzenden gewählt. Anstatt abzureisen, stellte er sich dem grausamen Vorgehen der japanischen Armee entgegen. Mit geringen Mitteln. Durch Hunderttausende Schutzsuchende ist die Sicherheitszone überlaufen, gehen Lebensmittel und Medikamente dramatisch zu Neige. Während die Gräueltaten unerträgliche Ausmaße annehmen, planen die Japaner, die Zone zu stürmen.

Helden sind gefragt in Zeiten der Krise. Wer keine weiße Weste hatte, dem wird sie von Filmproduzenten angelegt. So Tom Cruise als von Stauffenberg in “Operation Walküre”. Einer weniger bekannten Figur widmet sich “ John Rabe”. Gallenberger filmisches Porträt verliert sich nicht in Heldenarien, sondern konzentriert sich auf die Persönlichkeit seines Hauptcharakters. Dass “John Rabe” überzeugtes Parteimitglied ist verschweigt der Regisseur genauso wenig wie die menschlichen Makel seiner Figur. Pedantisch lässt er Rabe verbale Schnitzer seiner Mitmenschen korrigieren, schulmeisterlich seine Angestellten das Anklopfen üben. Nicht romantisierende Heimeligkeit, sondern deutsches Spießertum spricht aus der bürgerlichen Einrichtung Rabes und seiner Frau in Nanking. Selbst nach zwanzig Jahren in China gibt es bei ihnen Hausmannskost, streckt John Rabe irritierten Asiaten die Hand hin, anstatt sich zu verbeugen – wenn er den Arm nicht gleich zum Hitlergruss hebt. Arroganz und übertriebenen Stolz auf die deutsche Herkunft sprechen aus der Unfähigkeit, sich anzupassen. Krönung der Biederkeit ist der Kanarienvogel. Den schleppt Rabe noch zum Schiff mit, welches ihn und seine Frau aus der Gefahrenzone evakuieren soll. Sie geht an Bord, er bleibt freiwillig zurück, um seinen Arbeitern beizustehen. Noch am Ufer muss er die Bombardierung des Passagierschiffs, auf dem auch seine Frau ist, mit ansehen. So steht er da, den Vogelkäfig in der Hand, im gelungensten Moment des Dramas, im Angesicht des Todes. Lächerliche Tragödienfigur, umso tragischer ob dieser Banalität. Das wahre Leben hält solche Augenblicke bereit, nicht an den Massengeschmack angepasste Fiktion. Rabe ist ein Bürokrat , ein Held Widerwillen und gerade deshalb beeindruckend in seiner Unerschrockenheit. Er vermittelt kein entrücktes Übermenschentum. Stattdessen beweist er, dass jeder Großes vollbringen kann, wenn er Mensch bleibt.

Florian Gallenberger gelingt ein eindrucksvolles filmisches Porträt einer fast vergessenen Figur der Zeitgeschichte. Besonders die hervorragende Besetzung verleiht “John Rabe” Glanz. Neben Ulrich Tukur in der Hauptrolle spielen Anne Cosigny als engagierte Französin und der exzellente Steve Buscemi als zynischer Arzt. Erklärter Gegner Rabes wegen seiner Verbindung zum SS-Regime, wird er zu dessen Verbündeten im Kampf gegen die Unmenschlichkeit. Die Antipathie Dr. Wilsons erscheint nicht als Vorurteil. Sie ergibt sich logisch aus seiner Verachtung für Hitler. Buscemis und Tukurs Figuren spiegeln einander: Trotz ihrer entgegen gesetzten politischen Einstellungen teilen sie ihre Entschlossenheit. Ohne auf plumpe Gut-Böse-Klischees zu setzten, gibt Gallenberger seinen Darstellern Raum für nuancierte Charakterporträts. Mehr als einmal balancieren die Bilder am Rand des Klischeehaften, wenn eine junge Japanerin sich in Dr. Rosen verliebt, des Lächerlichen gar, wenn Rabe angesichts eines Gugelhupfs zusammenbricht. Für simples Pathos besitzt das Werk jedoch zuviel Fingerspitzengefühl. “John Rabe” ist mehr Personendrama denn Kriegsfilm. Zum Glück muss man sagen. Zurückgenommene Dramen muss man im Kino suchen, wie Diogenes einen guten Menschen.

Der Film vermittelt auch, aus welchen Gründen Menschen wie John Rabe Nazis wurden. Sie sahen in Hitler den Retter des Guten, den Macher, der hilft. Deshalb hatte sich der kleine ferne Mann in China auch an den obersten Deutschen gewandt, mit aufklärenden Worten und dem Gesuch um Hilfe gegen Japan. Was der Film nicht mehr zeigt, ist – nach dem Überleben in Nanking und der Heimkehr nach Deutschland -, wie John Rabe wegen seiner Wahrheitsverkündung über japanische Kriegsverbrechen von der Gestapo verhaftet wird, in ein Konzentrationslager kommt, dann links liegen gelassen wird. Auch nach 1945 kann er nicht wieder an die Vorkriegsbeschäftigung bei Siemens anknüpfen, sondern erledigt kleinere Aufgaben für seine Firma. Er lebt mit Familie ärmlich, ist historisch völlig vergessen und stirbt verarmt 1950 in Berlin. Auf seine Art das Pendant zu Oskar Schindler, der gleichzeitig in Frankfurt am Main dahinvegetiert. Solche Filme sind nicht nur Wiedergutmachungen an vergessenen, besser verdrängten Einzelschicksalen, die sich der mörderischen Gewalt entgegenstemmten, sondern zeigen paradigmatisch, daß aufrechte Menschen politisch immer etwas tun können, zumindest es versuchen können. Warum allerdings für diese Information über den in der Bundesrepublik Deutschland bisher weithin unbekannten John Rabe extra ein Film gedreht werden muß, sagt Entscheidendes über das Versagen von politischer Bildung in der Bundesrepublik Deutschland aus. Seien wir also froh, daß es ihn gibt, diesen Film.

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Originaltitel/Deutscher Titel: John Rabe

Genre: Kriegsdrama

Land/Jahr: Deutschland 2009

Kinostart: 2. April 2009

Regie und Drehbuch: Florian Gallenberger

Darsteller: Ulrich Tukur, Daniel Brühl, Anne Cosigny, Dagmar Manzel, Steve Buscemi, Zhang Jingchu

Verleih: Majestic

Laufzeit: 134 Minuten

FSK: Ab 12

Internet: www.johnrabe.de

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