Als kürzlich der stellvertretende US-Präsident John Biden in Israel eintraf, erfolgte fast zeitgleich die Ankündigung des israelischen Innenministers Yishai, 1 600 neue Wohnungen in Ost-Jerusalem zu bauen, wovon Premier Netanyahu nichts gewusst haben will. Kann man das glauben?
Natürlich nicht. Wenn er davon nicht gewusst hätte, muss man sich fragen: Hat der Mann überhaupt noch Kontrolle über seine Regierung? Netanyahu hat diesen Versuchsballon hochschießen lassen. Dafür hat er gleich die politischen Ohrfeigen eingesteckt.
Seitdem ist von „tiefer Störung der Freundschaft”, ja von „Vertrauensbruch” die Rede. Strapaziert der israelische Premier die Freundschaft zu den USA zu sehr?
Natürlich strapaziert Netanyahu die Freundschaft. Es gab auch eine Einschätzung des israelischen Botschafters in den USA, der meinte, eine solche Krise hätte es seit 35 Jahren nicht gegeben. Die Freundschaft ist ja keine bedingungslose – sie beruht auf geopolitischen beziehungsweise Machtinteressen. Netanyahu ist in der Zwickmühle: Auf der einen Seite gibt es die Anforderung von Obama und der EU, dass der Friedensprozess wieder angekurbelt werden soll, auf der anderen Seite hat sich Netanyahu eine Koalition gebildet, die ihn mehr oder weniger in Beschlag nimmt. Würde er heute versuchen, etwas in Richtung der Lösung des Nahostkonflikts zu machen, was mit Siedlungsabbau oder sogar -stopp zu tun hätte, würde er die Koalition sehr schnell verlieren.
Im besetzten Ostteil Jerusalems leben laut israelischer Menschenrechtsorganisation B ´tselem mittlerweile fast 200 000 jüdische Siedler in 12 Siedlungen. Haben diese Siedlungen mit Sicherheitsaspekten zu tun, oder liegen ihnen religiöse Gründe zugrunde?
Das hat mit Sicherheit absolut nichts zu tun; es hat sehr wohl etwas mit der politischen Theologie in Israel zu tun und mit dem Machterhalt israelischer Politiker. Jerusalem ist eine Art Heiligtum, ein politischer Fetisch geworden. Die Teilung Jerusalems würde heute jedem Politiker mehr oder weniger das Genick brechen, weil es da religiöse Ansprüche gibt und sich Mythen um diese Stadt, die für das Judentum so bedeutend ist, gebildet haben.
Netanyahu hat am vergangenen Sonntag gesagt, es mache keinen Unterschied, in Tel Aviv oder Jerusalem zu bauen. Kann er diese Behauptung gegenüber Obama aufrechterhalten?
Wenn er Obama so kommt, wird der ihm was pfeifen. Da kann Netanyahu sich nicht damit brüsten, dass er in Ost-Jerusalem – das ist besetztes Gebiet – weiterhin bauen wird. Das war mehr für das israelische Publikum gedacht, als er das gesagt hat, weil eben die Teilung Jerusalems von der israelischen Wahlbevölkerung immer als Lackmustest angesehen wird. Jemand, der erklärt, er wäre bereit, im Rahmen einer endgültigen Friedenslösung auch Jerusalem zu teilen, ist politisch eigentlich tot.
Manche Kommentatoren werfen Obama in punkto Siedlungsfrage einen Zick-Zack-Kurs vor …
Ich sehe das nicht sehr viel anders. Es ist ja so, dass Obama, als er vor eineinviertel Jahren die Präsidentschaft antrat, die Hoffnungen von vielen im Nahen Osten geweckt hat, dass er jetzt ans Eingemachte geht. Diese Hoffnungen haben sich bislang nicht bewahrheitet. Er ist in der Tat nicht als der Entschiedene aufgetreten, von dem man meinte, dass er es sei. Aber ich meine, man sollte dies noch nicht nach einem Jahr endgültig beurteilen.
Was wünschen Sie sich vom amerikanischen Präsidenten?
Dass er Netanyahu herb und eindeutig unter Druck setzt, natürlich dabei lächelt und mit Zuvorkommenheiten, die man diplomatisch leisten muss. Der Druck muss eindeutig sein, damit klar ist, dass nicht mehr so herumgespielt werden kann wie in den letzten neun Monaten. Da hat sich Netanyahu das irgendwie abgerungen, als er von der Zwei-Staaten-Lösung und vom Baustopp redete, und tat dabei alles, um das zu unterminieren. Israel ist so von den Amerikanern abhängig, dass es sich nicht leisten kann, es zum Bruch kommen lassen. Die Amerikaner sollten genau das ausnützen. Obama hätte das Potenzial dafür.