Chorin, Brandenburg, Deutschland (Weltexpress). Bereits zum 55. Male findet der Choriner Musiksommer vom 23. Juni bis 26. August 2018 in der Klosterkirche des Klosters Chorin statt – mit 2000 Plätzen, davon 1225 Sitzplätzen, der größte Konzertsaal Brandenburgs, wenn auch nur im Sommer. Jahr für Jahr zieht er 23.000 bis 25.000 Besucher an. 2017 waren es 23.900, 2018 werden 24.000 erwartet.
Dieser Tage gab der Künstlerische Leiter, Christoph Drescher, das Programm 2018 bekannt. 18 Konzerte sind geplant. Um im Bild der Klosterkirche zu bleiben, »ruht» das Programm auf drei »Pfeilern»: den klassischen Sinfoniekonzerten, der Chormusik sowie den Blechbläsern und Perkussionisten. Nach dem Streben in den vergangenen Jahren nach mehr Vielfalt nimmt nun doch das klassische Sinfoniekonzert wieder mehr Raum ein. Ob Klavierquartett oder Saxophonquartett, Akkordeon solo, Vokaloktett oder Abiturienten des Dresdner Kreuzchors a capella, diese »Formate» (im Neusprech) möchte man nicht nur hören, sondern auch sehen. Das können die Inhaber der Rasenplätze im Klosterhof nicht, wenn auch die Rasenplätze ihren eigenen, für Chorin typischen Reiz haben. Entweder bieten die Veranstalter diese Plätze im Einzelfall nicht an oder die Leute werden enttäuscht. Und auch die Konzertbesucher in der Tiefe der Halle oder im Seitenschiff sehen wenig oder nichts.
Den besten Klang und das beste Erlebnis haben alle beim Sinfonieorchester. 2018 werden statt neun deren zehn spielen. Eines davon ist erstmals die MDR-Kammersymphonie Leipzig mit einem erlesenen Programm vom Barock (Vivaldi) bis zum Neoklassizismus (Respighi). In den »Vier Jahreszeiten» von Vivaldi brilliert die 17jährige Geigerin Anne Luisa Kramb. Zuverlässige Qualität versprechen die »Stammorchester»: Das Konzerthausorchester (früher Berliner Sinfonieorchester, seit 1968 in Chorin!) am 6. Juli, unter anderem mit dem Cellokonzert von Robert Schumann, gespielt von Anastasia Kobekina, und dem »Ohrwurm» »Aus der Neuen Welt» von Antonin Dvorák, das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt mit vier Konzerten (davon später) und schließlich am 26. August das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Wladimir Jurowski. Es spielt die »Prager» Sinfonie von Mozart und »Also sprach Zarathustra» von Richard Strauss.
Neue »Feste» sind das Orchester der Komischen Oper Berlin, das sich glänzend eingeführt hat, und das auch diesmal mit dem 16jährigen schwedischen Geiger Daniel Lozakovich mit dem Violinkonzert D-Dur von Tschaikowski bezaubern wird (am 7. Juli). Dann die Staatskapelle Halle am 12. August mit Brahms` Klavierkonzert Nr. 2, gespielt von der kroatischen Pianistin Marina Filjak, und Schumanns Vierter, und schließlich die Staatskapelle Weimar am 25. August. Bei ihr können die Holzbläser ihre Kunst beweisen mit Mozarts berühmter Serenade »Gran Partita». Es folgt Tschaikowskis 4. Sinfonie. Erneut zu Gast ist am 8. Juli das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus mit Robert Schumanns Klavierkonzert, gespielt von Yejin Gil, und Brahms`Vierter – dafür braucht man keine Werbung. »Beethoven pur» mit der 5. und 7. Sinfonie bringt das junge norddeutsche Kammerorchester »ensemble reflektor» am 4. August. Etwas schmal sieht es aus mit nur einem Orchester aus den Nachbarländern, nämlich mit der Stettiner Philharmonie am 11. August mit Werken von Mozart und Mendelssohn-Bartholdy. Wie viel Zugkraft das auf das von Drescher beschworene Besucherinteresse in Polen hat, wäre zu hinterfragen.
Noch einmal »groß rauskommen» soll der nach elf Jahren scheidende Chefdirigent des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt, Howard Griffith, der auch als Moderator beliebt ist. Er dirigiert ein monumentales Eröffnungskonzert mit Gustav Mahlers´ »Auferstehungssinfonie» sowie sein persönliches Finale am 19. August mit einer Liebeserklärung an England mit Elgars Cellokonzert, gespielt von Natalie Clein, und Dvoraks »Englischer» Sinfonie.
Auf dünnes Eis begibt sich Griffith am 14. Juli mit Filmmusiken aus Kriegsfilmen. »Ob Kalter Krieg, Befreiungs- und Bürgerkriege und nicht zuletzt komisch-fiktive Kriege – überall finden sich spannende Filmmusiken», erklärt das Programmheft. Wofür sollen sich die Hörer begeistern? Zum Kriege gehört schmissige Musik (mit rhythmischem Klatschen?). »Wie schön ist doch der Krieg, und erst in der Musik»? Den Berlinern und Brandenburgern könnte »Der Fall von Berlin» mit der Musik von Dmitri Schostakowitsch zu denken geben, aber nichts Genaues weiß man nicht.
Choriner-Akustik-gerecht werden die Konzerte des 800jährigen Dresdner Kreuzchors am 30. Juni und am 1. Juli sein, und ebenso die Blechbläserensembles »World Brass» am 21. Juli und »Canadian Brass» am 28. Juli. Erstere widmen sich der Faszination Weltraum mit Werken von Bach, Mozart, Beethoven und Gustav Holst (»Die Planeten»), letztere dem Erbe von Leonard Bernstein anlässlich dessen 100. Geburtstag. Das bekannte Problem werden die für den 15. Juli angekündigten Percussionisten aus Hamburg haben. Zu hören sind sie bestimmt, aber nicht von allen zu sehen.
Von den Stammorchestern fehlen erneut die Berliner Symphoniker. Ein bewährtes und beliebtes Orchester, wurden sie von dem unvergessenen Künstlerischen Leiter des Musiksommers, Gunther Wolff, regelmäßig und, wie er betonte, aus Solidarität eingeladen, weil ihnen der Berliner Senat die Zuschüsse gestrichen hatte – als »Zeichen guten Willens» bei dem aussichtslosen Versuch, vom Bundesverfassungsgericht die Staatsschulden erlassen zu bekommen. Der neue Künstlerische Leiter Christoph Drescher ließ sie 2015 weg, mit dem Versprechen an den Intendanten Jochen Thärichen, »dann aber sicher 2016». Nun vier Jahre nichts. Wohlgemerkt: Solidarität ist kein Mitleid, sondern in der Arbeiterbewegung der Beistand für den Bruder im Klassenkampf. Doch nicht allein um ein gebrochenes Versprechen geht es. In ihrem Repertoire haben die Berliner Symphoniker und ihr Chefdirigent Lior Shambadal das Violinkonzert von Josef Kaminski (1903-1972), das Klavierkonzert op.41 von Paul Ben-Haim (1897-1984), das Klavierkonzert von Josef Tal (1910-2008) und andere. Es handelt sich um Werke jüdischer Komponisten, die von den Nazis aus Deutschland und aus den okkupierten Ländern vertrieben wurden, ihre Arbeit in Palästina und Israel fortsetzten und große Werke schufen, die in Deutschland und Europa unbekannt sind. Vertriebene oder ermordete jüdische Wissenschaftler, Schriftsteller, Maler, Komponisten hinterließen Lücken, die nie geschlossen wurden. Die Komponisten fehlen in der Literatur wie die Schriftsteller. Letztere kann und konnte man nachdrucken. Aber ästhetische Tendenzen ihrer Zeit konnten die exilierten Künstler nicht beeinflussen. Jene Kompositionen ur- oder erstaufzuführen, war das Ziel des Festivals NEW LIFE – Lebenswege – im Juli in Berlin. Was die Berliner Symphoniker hier Neues, Schönes zu bieten haben, sollte man dem Choriner Publikum nicht vorenthalten.
Der Vorverkauf läuft seit dem 1. Dezember über das Büro des Choriner Musiksommers, über die Homepage Choriner Musiksommer und über alle bekannten Vorverkaufsstellen. Die Preise bleiben unverändert 8 bis 29 Euro, für sechs aufwendigere Konzerte bis zu 33 Euro.