Tatsächlich geht das Konzept von Klaus Herding auf. Es gibt inmitten von Porträts, von Menschendarstellungen, von Erde und Natur, von Wasser und Wogen, von Blumen und den Genreszenen immer wieder den ’anderen` Courbet zu sehen. Wir gehen darum noch einen Schritt weiter und lassen uns bei unserem Rundgang und dem anschließenden Konzert hier nur auf die Bilder ein, die dieses Anderssein – anders als das, wofür er bekannt ist, aber auch anders, als der Geschmack und die Kunstkritik seiner Zeit waren – in besonderer Weise zum Ausdruck bringen.
Fangen wir mit den beiden Selbstporträts am Ausstellungsanfang an, deren eines – „Selbstbildnis als Verzweifelter“, 1844/45 – das aufmerksamkeitserheischende Titelbild der großen Courbetausstellung vor drei Jahren in Paris auf Plakaten und Katalog war. Ein tolles Bild. Dramatisch, wie in Großaufnahme im Kino, mit aufgerissenen Augen, so als ob er vom Gorgonenhaupt fixiert würde, aber die leicht nach innen gerichteten Augen zeigen auch, daß der eigentliche Schrecken im Inneren dieses Menschen brodelt. Das „Selbstbildnis am Abgrund“ aus dem Jahr 1848 dagegen, das in Frankfurt das Ausstellungsplakat wurde, kommt einem wie eine Traumsequenz vor.
In verwischter Malweise und in gedeckten Farben in einer fast abstrakten Landschaft scheint es den Maler hinunterzuziehen zum Abgrund, aber nicht lustvoll, sondern mit innerem und äußerem Widerstand. Die steilen Falten auf der Stirn zeigen, daß auch der Geist arbeitet; mit der Rechten zeigt der Maler nach vorne und mit der Linken hält er sich an sich selbst am Ober- und Hinterkopf fest. Je länger man in dieses Bild hineinschaut, desto absurder kommt einem die Situation vor und auf einmal denkt man sich, hier selbst zu träumen, denn die Figur ist bei aller Verschattetheit dennoch faßbar, aber alles um sie herum in dieser unwirklichen Landschaft mutet irreal, surreal an.
Das Absurde und Surreale erfaßt einen noch stärker bei „Die Begegnung oder Bonjour, Monsieur Courbet“ aus dem Jahr 1854. Das ist ein Bild, wo man zuerst denkt, hier wolle einen Courbet auf den Arm nehmen und irgendwo in der weiten und freien, im hellen Licht des Südens befindlichen Landschaft wieder absetzen und uns mit diesen drei Herren alleine lassen. Man sieht drei Männer. Der rechte ist ein Wanderbursche, der seinen Rucksack geschnürt hat und mit Wanderstab und Hut seines Weges geht, wie Gesellenart war, auf dem Wandern durch die Welt, später einmal Meister zu werden. Er ist stehen geblieben, uns im Profil geboten mit keckem, vorgerichtetem Spitzbart, weil ihm auf diesem flachen, vom Horizont überladenden Weg zwei Personen entgegenkommen, dessen vordere Figur seinen Hut in der Linken zur Begrüßung ausstreckt, den Stock dagegen als Stütze nutzend. Die dritte Figur ist auch ohne das Wissen um die Identitäten der Dargestellten, eine dienende, die mit gebeugtem Haupt, das Plaid über dem Arm, ebenfalls seinen Hut in der Hand hält.
Was einen erst einmal verblüfft, sind die Farben im Gemälde, das insgesamt etwas Biedermeierliches hat, durch die hellen Töne und die scharf umrissenen Figuren. Nur der Wanderbursche wirft einen Schatten nach rechts, sieht man verwundert. Die beiden anderen und ihr Hund stehen selbst in den Sonnen- und Schattenflecken, die wohl ein nahestehender, aber nicht sichtbarer Baum wirft. Das ist so recht ein Bild, um daraus Geschichten zu erfinden. Was erzählen die sich, wer ist das überhaupt, was Courbet ursprünglich nur „Eine Begegnung nannte“?
Der kecke Künstler, der die Hälfte des Bildes einnimmt, ist Courbet selbst. Sein Gegenüber im ordentlichen grünen Wams mit braunen Beinkleidern und längeren roten Haaren sowie einem Vollbart ist sein Förderer Alfred Bruyas und dessen Diener. Das Bild assoziiert so viele Bezüge, die hier unmöglich dargestellt werden können, die aber alle zum Ausdruck bringen, daß sich Courbet hier selbst überhöht und dem Förderer die dienende Funktion, dem Künstler seine göttliche Kunst zu ermöglichen, zuweist. Das allerdings ist ein Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität, weshalb dem Bild nicht nur Spott unterstellt wurde, sondern auch tagträumerisch die eigentliche Rolle von Kunst und Künstler in einer Überhöhung zu sehen, den Traum von der Erlösung durch Kunst also Wirklichkeit werden zu lassen: auf der Leinwand.
Im Ernst könnte man allein bei diesem Bild mit dem Interpretieren nicht aufhören. Das Tolle aber ist, daß auch dem Betrachter, dem die Personen nichts sagen, das Irritierende dieser Darstellung genauso auffällt. Anders ist es mit den Naturbildern, Die versteht jeder, wenn Courbet die aufschäumenden Wogen des Meeres malt, so als ob er im Wasser dabei ist. Die Wasserbilder sind es im Besonderen, die die Natur als eigene, starke, vom Menschen unabhängige Kraft zeigen, während die Blumen- und Wald- und Feldbilder stärker die anheimelnde Schönheit der Natur, ihre Verschwiegenheit und dem Menschen wohltuende Stille atmen.
Wir haben hier auf die Porträts verzichten, von denen einige noch im Zusammenhang mit Musik vorkommen, wir haben überhaupt nichts davon geschrieben, daß Courbet gerne und länger in Frankfurt war, daß er immer wieder Frankreich mied, seinen Gegner Napoleon III. meinend in der Schweiz ins Exil ging und mit 58 Jahren starb, als er zwar schon ein gewaltiges Werk geschaffen hatte, aber sicher auch noch weiter sich verändert hätte, denn Courbet war kein Festgezurrter, sondern einer, der immer unterwegs war, den Pinsel in der Hand und die Welt abbildend: mal so, mal so. Fortsetzung folgt.
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Infos
Ausstellung: bis 30. Januar 2011
Katalog: Courbet. Ein Traum von der Moderne, hrsg. von Klaus Herding und Max Hollein, Verlag Hatje Cantz. Der speziellen Ansatz, unter dem Klaus Herding die Ausstellung kuratierte, bestimmt auch die Katalogbeiträge, die vom „anderen“ Courbet sprechen (Herding) oder Courbet als Künstler, Träumer und Philosophen zeigen (Werner Hofmann). Ulrich Pfarr geht der Introspektion un mimischem Ausdruck bei Courbet nach und S. Le Men vertieft ihn als Maler von Albtraum und Schlaf. Nein, wir können nicht alle Beiträge aufzählen, finden geglückt, daß so kenntnisreich und vielfältig dieser lyrische Courbet aufbereitet wird, dessen Werke dann vollständig abgebildet mit je eigenen Bildbesprechungen versehen sind, was für jeden Leser, auch den, der nicht in die Ausstellung nach Frankfurt kommen konnte, sinnvoll ist.
Kunst zum Hören: Gustave Courbet, Gestaltung von KOMA AMOK, Audioguide und Begleitband zur Courbet-Ausstellung in der Kunsthalle Schirn Frankfurt, gesprochen von Hannelore Elsner und Victor Pavel. Wie immer gibt es beides, für Synästhetiker beispielsweise: das Bild im Begleitband, der Text dazu, dann aber die gesprochene Interpretation im Ohr durch die CD. Zu Hause kann man das auch laut hören, was uns besser gefällt, weil wir zu mehreren hörten und dann anschließend unsere teils sehr unterschiedlichen Eindrücke zu Bild und Interpretation austauschten. Das sind eigentlich – so dachten wir – auch ausgezeichnete Grundlagen für den Schulunterricht und auch für Proseminare in Kunstgeschichte.
Inhaltlich stellen die 25 farbigen Abbildungen laut Begleittext „diesen ’anderen` Courbet vor, der von der deutschen Romantik ausgehend die Vision eines poetischen Kunst der Moderne realisiert, wie sie dann bei Paul Cézanne und Pablo Picasso, aber auch im Symbolismus und Surrealismus weiterentwickelt wurde.“ Die Spielzeit der CD beträgt 57 Minuten.