Der Kriegsheimkehrer ist der Vater des Autors, Alois Fiedler. Und es ist gerade der erste Krieg, den der Vater hier überstanden hat. Teja Fiedler hat seine Geschichte nachempfunden, von dessen Kindheit in der Donaumonarchie über den k.u.k. Oberleutnant, den tschechoslowakischen Notar und schließlich den Heimatvertriebenen Alois Fiedler. Der Bauernsohn hatte es der Schläue seines Vaters zu verdanken, dass er ein Gymnasium in der nächsten Kleinstadt besuchen konnte, wohin er sich auch schon mal zu Pferde begab, sehr zum Entsetzen der deutschen Lehrerschaft. Lustige Anekdoten und fürchterliche Schicksalsschläge durchziehen diese Biografie, wie die meisten europäischen des letzten Jahrhunderts.
Das Besondere an diesem Buch ist die äußerst gelungene Verknüpfung von Geschichtsdarstellung und persönlichen Eindrücken, die unter die Haut gehen. Was empfindet ein junger Mann beim frühmorgendlichen Duell mit dem Säbel vor den Toren der Stadt Prag? Wann begann die Unversöhnlichkeit zwischen deutschen und tschechischen Schulkameraden und wurde sie von allen getragen? Was bedeuteten die poltischen Veränderungen für den Einzelnen? Die Art und Weise, wie Teja Fiedler die Biografie eines Mannes mit den Ereignissen der ersten fünfzig Jahre des letzten Jahrhunderts verknüpft, wird in der Rezeption dieses Buches als „Sachfiktion“ bezeichnet. Gerade verschwimmen die Grenzen zwischen Biografien und Sachbuch, Dokfilme spielen mit dem Genre „Docufiction“, indem sie freie Spielszenen mit der meist trockenen Sachlage mixen. Bei Teja Fiedler ist meines Erachtens eine weitere Grenze überschritten. Die Sprache des geschulten Journalisten, der selbst noch im tschechischen Dauba geboren wurde, hat eine literarische Höhe und faktische Tiefe, dass sie selbst als Literatur gelten darf. Als Zugabe enthält der Roman einen 16-seitigen Bildteil zur Untermalung des möglicherweise Erfahrenen.
Der durchgehend versöhnliche, pazifistische und humanistische Ton des Buches macht Alois Fiedler zum sympathischen Protagonisten eines zerriebenen Landstriches. Was hat die deutsche Gemeinschaft der Sudeten getan oder unterlassen, um friedlich mit den tschechischen Nachbarn auszukommen? War es eine homogene Gemeinschaft? Wie reagierten die unterdrückten Tschechen nach dem Ende des 2. Weltkrieges auf ihre einstigen Hausgenossen? Gab es wirklich ein einheitliches Handeln? Teja Fiedlers Buch ist ein Plädoyer für die Feinabstimmung, die Zwischentöne der Geschichte. Entscheidungen sind immer Entscheidungen einzelner Menschen, kann aus der Fiedlerschen Generationenlehre entnommen werden, jedes Gesetz kann falsch sein, jedes blinde Gehorchen tödlich.
Der greise Alois hört in der Stube der späten bayrischen Heimat seinen vierzehnjährigen Sohn Teja ein Gedicht für die Weihnachtsfeier der Sudetendeutschen Landsmannschaft üben; ”¦`im Kampf ums Recht, im Dienst am Werk. ` „Alois lächelte ironisch. Im Kampf ums Recht. Wofür lohnte es sich zu kämpfen? Um die alte Heimat? Die Tschechoslowakei war heute ein kommunistischer Staat, abgeschottet durch den Eisernen Vorhang. Dauba war, soweit man hörte, zu einem armseligen, entvölkerten Flecken abgesunken, auch sein Heimatdorf Rohn lag öd und leer. Sie würden nie mehr dahin zurückkehren können. Er würde auch nicht mehr zurückkehren wollen. In der Wohnstube hing ein Foto des stattlichen Daubaer Hauses. Es hing dort als Erinnerung an gestern, nicht als Anspruch für morgen. Die Landsmannschaft kämpfte gegen Windmühlen.“
Fazit: besonders wertvoll!
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Teja Fiedler: Die Zeit ist aus den Fugen, Vom Kaiserleutnant zum Vertriebenen
Das Leben meines Vaters, Piper, 2010, 320 Seiten, 19,95 Euro