Diese locker organisierte literarische Gesprächsrunde ist eine Erfindung des 17. Jahrhunderts in Frankreich und in Leipzig entwickelte sich die Salonkultur noch vor Berlin. Es war fast immer eine Frau von Geist, viele auch schön und meist von Adel, die die Salons, bestückt mit Männern, zum Blühen brachten. Es entwickelte sich eine intellektuelle Gesprächskultur, durchaus mit amourösen-erotischem Hintergrund, denn wahrer Geist ist immer auch erotisch. In Leipzig hatte Mariana von Ziegler um 1730 den ersten Salon unterhalten. „Die geistreiche ’Zieglerin’ verfaßte für Johann Sebastian Bach Kantatentexte und war das einzige weibliche Mitglied der deutschen Gesellschaft. In ihrem Salon verkehrten Gottsched und seine Freunde.“ (Katalog 299). Später war es die Herzogin von Kurland, die als Witwe in ihren Salon als geistigen Mittelpunkt der Stadt lud, dessen häufiger Besucher der Dichter Gellert war. Glamouröser allerdings war der Salon der Gräfin Sophie von Bentinck. Ihr Porträt auf 134 x 100 cm zeigt eine wache und sich ihrer Ausstrahlung mit sichtbarem Dekollete bewußten Schönen, die das bürgerliche Leipzig wohl ganz schön durcheinanderwirbelte.
Wer hat auch schon einen Geliebten namens Voltaire und weil sie sich für ihn im Zwist mit dem preußischen König Friedrich II. einmischte, mußte sie Preußen verlassen, wo doch dieser König sie erst einmal gesellschaftlich gerettet und ihr in Preußen Heimat geboten hatte, hatte doch diese ordentlich verheiratete Frau eine Trennung vom Ehemann durchgesetzt und als Mätresse dem Grafen von Schaumburg-Lippe zwei uneheliche Söhne geboren. Ihr Salon war also Anziehungspunkt für die intellektuelle Elite Leipzig gleichermaßen wie für den Adel. Aber der Herr Professor Gottsched, der auch hier regelmäßig Gast war, wurde zu seinem Leidwesen kein Gspusi der Gräfin. Sie ging dann nach Wien, aber daß eigenwillige Frauen in der Welt des 18. Jahrhunderts tatsächlich ihren Weg gehen konnten, wäre fehlinterpretiert. Auch Wien mußte sie verlassen und weitere Orte und widmete sich laut Katalog später in Hamburg intensiv ihrer Münzsammlung.
In dieser Abteilung spielen auch die Ausstattungsgegenstände eine wichtige und uns aufklärende Rolle. Ein holländischer Faltfächer von 1730, mit dem die Dame elegant vor ihrem Angesicht wedelte, zeigt eine idyllische Landschaft mit lieblichen musizierenden Gestalten, eine Taschenuhr, die ein Herr repräsentativ und mit besonderem Chic aus der Weste lugen ließ, hat die Form einer Mandoline, so richtig festliche wird es allerdings erst mit der weiblichen Robe, mit rundem tiefem Ausschnitt und in cremefarbener bestickter Seide. Das Mieder hat Fischbeinverstärkung und ist eng geschnitten, während der Rock rüschenübersät ist und ausladende Seiten hat, die die Büste dann schmal erscheinen lassen. Das Modevorbild der Zeit, hier englische Robe genannt, aber wohl französischer Herkunft um 1770. Der Herr dazu trägt die tonangebende französische Variante: Jacke, Weste und Kniehose. Allerdings aus den edelsten Stoffen und dazu mit üppigem Blumendekor bestickt. Dazu trug man diese weißen Leinenhemden mit Spitzenmanschetten, Halstuch, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe. Aber die frackähnliche Jacke wurde nie ausgezogen und es zeigt sich, daß auch die feinen Leute ein ökonomisches Gespür hatten. Denn nur vorne sind die Westen aus Seide überladen bestickt, hinten haben sie einfaches Leinen.
Damenhandtaschen bleiben sich in den Jahrhunderten gleich. Diese sind aus Seide und bestickt und die Schuhe sind allerliebste Schaflederpantöffelchen mit Seidenstickerei geschmückt und tragen ein Rokokogebinde, das auch heute Furore machen täte.
Wichtiger als die Salons waren für den universitären Erkenntnisdrang die sogenannten Sozietäten, denen ein eigenes Kabinett gewidmet ist. Hier waren die Orte, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert wurden und wo so für ihre Verbreitung gesorgt wurde. Und im Zeitalter der Aufklärung kam eine gesellschaftskritische Dimension hinzu, denn Wissen wurde zunehmend als Macht verstanden und eben auch als ein Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Solche Gesellschaften hatte es verstärkt seit dem Humanismus gegeben, wie überhaupt die Aufklärung ohne diese Vorfahren nicht zu erklären wäre. Eine regelrechte Wissenschaftsorientierung dieser Sozietäten gibt es erst im Verlaufe der Mitte des 17. Jahrhunderts und damals hatten sie noch die gesamte Palette des Wissens der Welt zum Thema. Mit der Entfaltung der Wissenschaften und ihrer Auffächerung an den Universitäten, hielt ab 1700 auch die Fachdisziplin Einzug in die nun speziellen Gesellschaften.
Es wäre aber verfehlt, diese Versammlungen nur für Debattierclubs zu halten. Sie waren ebenso Austausch zur profaneren Unterhaltung und mit dem exquisiten Geist sollte auch der kulinarische Genuß einhergehen. Bis 1945 bestand die 1697 gegründete Deutsche Gesellschaft – auch hier deutlich von Gottsched um 1730 dominiert – in Leipzig mit ihren Nachfolgeorganisationen fort. Gerade die Naturwissenschaften gründeten ihre speziellen Gesellschaften, von denen die Linnéische Sozietät weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde. Anlaß, doch noch einmal das Besondere der Wissensexplosion zu erläutern. Er waren die Naturwissenschaften und die Entdeckungen und Erfindungen, in denen diese Wissenshaften eine neue Erklärung der Welt leisteten, die vorher als Schöpfung Gottes wenig hinterfragte war.
So ist auch in der Jubiläumsausstellung den neuen Naturwissenschaften große Aufmerksamkeit gewidmet, was sich in den anschaulichen Wissensstationen wiederfindet, wo man drucken kann, wo man mikroskopieren, den Himmel erkunden oder chemisch arbeiten kann. Aber entscheidend ist doch unterm Schnitt etwas anderes: wie nämlich die neuen Erkenntnisse auch das Bewußtsein des Menschen als Schöpfer seiner selbst befeuerten. Ein wacher Geist, der forscht und Erkenntnisse gewinnt, der ist auf Dauer nicht mehr als unmündiger Staatsbürger zu halten. Von daher haben wir mit dieser Ausstellung auch einen Auftakt für die infolge der Aufklärung kommenden Jahrhunderte, die nicht mehr nur die Wissenschaften erkunden, sonder auch den Menschen und seine in Staaten organisierte Gemeinschaft. Und dies einerseits in Form der Erkundung des eigenen Selbst, wie es der Naturwissenschaftler Sigmund Freud vorgab, aber auch in der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Menschen leben müssen und besser noch: auch leben wollen. Die Frage der gesellschaftlichen Macht ist gestellt und auch die Frage, welchen Anteil daran die Mündigkeit des Menschen hat. Das allerdings ist ein lebenslanger Prozeß, der nie abgeschlossen ist. Auch und erst recht nicht in unseren Zeiten. Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht. Insofern ist diese Leipziger Ausstellung paradigmatisch.
Und wenn wir angesichts dieser fulminanten Schau ein kleines Wort der Kritik äußern wollen, hat es mit dem Fehlen zweier wichtiger gesellschaftlicher Formationen zu tun, was Salons und Sozietäten zwar schon vorgeben, die im Kontext der Aufklärung jedoch zusätzlich unabdingbar sind: Das sind einerseits die Freimaurer, von deren Leipziger Vorhandensein wir nur wissen, daß auch sie beispielhaft für Deutschland standen und das ist die Rolle der Juden im Emanzipationsprozeß in Leipzig. Die deutsche Geschichte macht die Darstellung solcher Fakten notwendig.
Info:
Leipzig feiert seine 600jährige Universität in großem Stil. Schon vor vielen Jahren war ein bauliches Modernisierungs- und Erweiterungsprogramm – verbunden mit einer räumlichen Neuordnung der Fachbereiche – gestartet, das pünktlich zum Jubiläum mit dem Campus Augustusplatz eingeweiht werden soll, dem größten innerstädtischen Universitätsleben, an dem seit 2004 gebaut wird. Dem Artikel über die Eröffnung der Jubiläumsausstellung folgen Artikel zur Ausstellung selbst.
Jubiläumsausstellung „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften“ vom 9. Juli bis 6. Dezember 2009
Katalog: „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. 600 Jahre Universität Leipzig“, hrsg. von Detlef Döring, Rudolf Hiller von Gaertringen, Cecilie Hollberg und Volker Rodekamp unter Mitarbeit von Tobias . Müller im Sandstein Verlag, Dresden 2009
Der Ausstellungskatalog lag pünktlich zur Ausstellungseröffnung am 8.7. vor. Als Erster Band sind schon die Essays erschienen, die der Kunst- und Kulturausstellung das innere Gerüst geben, das der Aufklärung allgemein und das der Aufklärung in Sachsen im Besonderen. Da geht es um die dortigen Träger der Aufklärung, um die Wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch Formen der Bildung und der Wissenschaft außerhalb von Universitäten und Schulen. Ein beeindruckender und lehrreicher Band, erschienen im Sandstein Verlag, Dresden 2009.
Das dicke Jubiläumsprogramm besitzt viele Schwerpunkte, von denen die wissenschaftlichen Veranstaltungen allein 80 Seiten ausmachen.
www.uni-leipzig.de/campusrundgang
Universität Leipzig, Geschäftsstelle, Ritterstraße 30-36, Telefon: 0341 97 35 0 35, Fax: 0341 97 35 0 39
Reiseliteratur:
Tobias Gohlis, DuMont Reistaschenbuch Leipzig, 2006
Marco Polo, Leipzig, 2006
Mit freundlicher Unterstützung der Universität Leipzig und des Seaside Park Hotel Leipzig, ideal gelegen gegenüber dem Hauptbahnhof, das auch exklusiver Hotelpartner im Jubiläumsjahr Universität ist. Wir kennen das gut geführte Haus von früheren Besuchen. Architekturfreunde werden die tradierte Art Deco Gestaltung der Hotelanlage besonders goutieren, aber sicher jeder das Restaurant „Steaktrain“, dessen Name sich auf die opulenten amerikanischen historischen Eisenbahnspeisewagen im Untergeschoß bezieht.
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