Was haben diese gemeinsam? Allen gemeinsam ist eine liberale, „progressive“ Weltanschauung. Jeder einzelne Kampf verdient eine Hingabe aus vollem Herzen, besonders von jungen Menschen. Aber alle dienen heute schließlich als Ersatz für die Hauptschlacht – den Kampf für Frieden mit dem palästinensischen Volk.
Es besteht die Gefahr, dass all diese Kämpfe zu einer Zufluchtsstätte für junge Idealisten werden, die ihre Energie einer edlen Sache widmen wollen, aber keine Kraft mehr haben, sich am Hauptkampf zu beteiligen.
Da jeder einzelne dieser Kämpfe tatsächlich wichtig und für eine gute Sache ist, kann man mit diesen Aktivisten nicht streiten. Jede Menge von Organisationen sind jetzt auf diesen Gebieten aktiv und Tausende wunderbarer Menschen – Männer und Frauen, Alte und Junge widmen sich diesen Problemen. Auch ich wäre bereit, mich jedem einzelnen von ihnen zu widmen, gäbe es da nicht —-
Wäre da nicht die Tatsache, dass sie alle – alle zusammen und jeder einzelne – das Leben aus dem Kampf für Frieden herausziehen. So wie ich es sehe, steht der Frieden über allem anderen, weil der Erfolg aller anderen Kämpfe vom Ergebnis dieses einen Kampfes abhängt.
Der nicht enden wollende Krieg schafft eine Realität der Besatzung und der Unterdrückung, von Tod und Zerstörung, moralischer Degeneration und allgemeiner Brutalität. Kann in solch einer Situation irgend ein Ideal realisiert werden? Kann z.B. Feminismus in einem Land blühen, das in den Klauen eines hemmungslosen chauvinistischen Militarismus liegt? Können Tiere vor Folter gerettet werden, wenn weiter Menschen routinemäßig gefoltert werden? Können Flüsse und Wälder, Vögel und Leoparden gerettet werden, wenn Wohnviertel mit weißem Phosphor bombardiert werden?
Die Hauptaufgabe ist natürlich, warum Menschen mit Gewissen vor der Vision des Friedens davonlaufen.
Dies ist eine Tatsache: Frieden ist zu einem unanständigen, obszönen Wort geworden. Eine ehrbare Person möchte nicht in Gesellschaft mit ihm gesehen werden. Es sollte nicht in einer anständigen politischen Gesellschaft ausgesprochen werden.
Die Leute machen verbal, fast akrobatische Übungen, um dieses Wort zu vermeiden. Politiker sprechen über das „Ende des Konfliktes“, über „permanenten Status“, „politische Regelung“, nur um das Tabuwort zu umgehen.
Warum?
Zunächst einmal ist das Wort „Frieden“ so abgenützt worden, dass es fast keine Bedeutung mehr hat. Es ist so oft missbraucht worden, dass es verschlissen ist. Um einen klassischen Satz des britischen Philosophen Dr. Samuel Johnson zu paraphrasieren: „Frieden ist die letzte Zuflucht für einen Schurken.“ Oder um den Slogan des bösen Empire in George Orwells „1984“ zu wiederholen: „Krieg ist Frieden“.
Die Hoffnung auf Frieden ist so oft hoch gekommen und so viele Male in tausend Stücke zerschlagen worden, dass die Hoffnung selbst schon Verdacht und Ängste verursacht. Was war mit der größten Hoffnung geschehen, dem Oslo-Abkommen und dem historischen Händeschütteln 1993? Was war bei der triumphalen Reise des Ehud Barak nach Camp David 2000 geschehen? Man kann von gewöhnlichen Leuten nicht erwarten, dass sie untersuchen, was dort wirklich geschehen ist, und wem man die Schuld geben muss. Sie sehen nur die klaren Fakten: wir hofften auf Frieden, wir bekamen Krieg.
Die Dinge sind an einen Punkt gekommen, wo sogar Friedensbewegungen Angst haben, das Wort in ihren politischen Statements zu erwähnen. Auch sie suchen nach Ersatzwörtern.
Man hat jetzt allgemein akzeptiert, dass man nicht länger auf junge Leute zugeht, um mit ihnen über Frieden zu sprechen. Gott bewahre. Sie sind davon überzeugt, dass Krieg ein Dauerzustand und dass Frieden eine Illusion ist, nichts als eine leere Phrase der Alten. Sie glauben, dass sie und ihre Kinder und deren Kinder (falls sie hier bleiben) dazu verurteilt wurden, immer wieder in den Krieg ziehen zu müssen, bis ans Ende aller Zeiten. Sie wollen ihre Zeit nicht länger mit diesem Friedens-Unsinn vergeuden. Besser ist es, die letzten Leoparden in der Judäischen Wüste und die Adler auf den Golanhöhen zu bewahren, als nach der Friedenstaube zu suchen, die sie nie gesehen haben.
Die Linken sind stolz darauf, dass die Vision „Zwei Staaten für zwei Völker“ – einmal die Vision einer Handvoll von Verrückten, – nun zu einem weltweiten Konsens geworden ist. Tatsächlich, ein großer Sieg. Aber er wurde durch den Erfolg der Rechten übertrumpft, die „Wir haben keinen Partner für den Frieden“ in ein nationales Credo verwandelt haben.
In moderner Sprache: Frieden ist passé – alles andere ist aktuell.
In dieser Woche bemerkte der Journalist Gideon Levy bei einer TV-Talk-Show, dass in der gegenwärtigen Knesset kein einziges jüdisches Mitglied mehr ist, für das der Frieden das wichtigste Ziel sei.
Einige Leute erwähnen in diesem Kontext das neue Knessetmitglied Nitzan Horowitz. Jahrelang war er ein TV-Kommentator für internationale Angelegenheiten und begeisterte die Zuschauer mit seinem Enthusiasmus für jeden Kampf um Frieden und Freiheit in aller Welt. Sein emotionaler Stil und seine Tendenz, sich mit den Benachteiligten zu identifizieren, hat ihm die Zuneigung des Publikums gebracht.
Aber seitdem er im Parlament ist, scheint seine Flamme erloschen zu sein. Nun führt er einen geräuschvollen Kampf gegen den Preiskrieg zwischen den Buchläden. Und wie ist es mit Frieden? Was mit Besatzung? Bitte, Schweigen!
Das trifft auf die ganze Meretzfraktion zu, die in ihrer Glanzzeit als Vorhut des zionistischen Friedenslagers in der Knesset diente. Seitdem haben sich die Dinge zum Schlimmeren verändert. Um etwas von ihrer Stärke zurück zu erlangen, ignoriert sie die Sache des Friedens so weit als menschenmöglich. Wenn es gar keine andere Möglichkeit mehr gibt, erwähnen sie ihn flüchtig, so wie ein Jude die Mesusa im Vorbeigehen küsst oder wie ein katholischer Christ sich bekreuzigt und schnell weitergeht.
Es ist eine interessante Geschichte. Als Shulamit Aloni 1973 am Vorabend des Yom Kippur-Krieges die Partei gründete, war sie hauptsächlich als Aktivistin für die Bürgerrechte bekannt. Sie war besonders im Kampf für die Frauenrechte engagiert und gegen religiösen Zwang. Der Frieden war für sie ein sekundäres Ziel. Aber als Führerin von Meretz wurde sie immer mehr davon überzeugt, dass keines ihrer Ziele in einer Kriegsatmosphäre verwirklicht werden kann, und Frieden wurde für ihre Ansicht zentral. Als die Partei wuchs, wurde sie die führende zionistische Friedensfraktion.
In den letzten Jahren ist der Prozess rückwärts gegangen, wie ein Videofilm im Rückwärtsgang. Der Frieden wurde von der Agenda verbannt und ist nun fast verschwunden. Meretz ist wieder eine Partei für bürgerliche Rechte geworden und kam von zwölf Knessetsitzen auf nur mehr drei.
Die israelische Rechte, die von rechten amerikanischen Milliardären, – Juden und christlichen Fundamentalisten – finanziert wird, hat in dieser Woche einen massiven Angriff gegen den liberalen Israel Fund gestartet, der all die oben genannten Kämpfe großzügig unterstützt.
Übrigens: Gush Shalom hat noch nie einen Cent von dort bekommen. Der Fond vermeidet Friedensbewegungen wie die Pest. Aber das hat ihn nicht gerettet. Die Rechten verfolgen ihn. Selbst wenn man „nur“ mit Menschenrechten zu tun hat, kann man diesem Los nicht entkommen. Die Flucht vor dem Frieden bietet keine Sicherheit.
Die Sache des Friedens wird unvermeidlich ins Zentrum der Bühne zurückkehren, weil er unser Schicksal entscheidet, das des einzelnen und das des Staates. Da gibt es kein Entkommen.
Natürlich sollte keiner der oben genannten Kämpfe aus anderen Gründen aufgegeben werden, selbst wenn der Kampf für das Ende der Besatzung und für den Frieden vor allem anderen stehen muss.
Ich schaue auf den Tag in der Zukunft, wenn all die Organisationen, die diese Kämpfe führen, wunderbare Aktivisten, ihren Enthusiasmus, ihre Talente, ihren Mut und besonders ihre Fähigkeit, sich einer Idee zu widmen, in eine einzige Kraft vereinigen werden, im gemeinsamen Kampf für das „Andere Israel“ , deren Speerspitze der Kampf für Frieden ist. In einer großen, vereinigten Bewegung werden alle diese verschiedenen Ziele einander stützen und nähren.
Zusammen werden sie die entscheidende Kampagne führen: den Kampf für die Zweite israelische Republik.
Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Der Beitrag wurde am 08.02.2010 unter www.uri-avnery.de erstveröffentlicht. Alle Rechte beim Autor.