Amsterdam, Niederlande (Weltexpress). Wer Glück hat oder genug Geld, der bekommt im Van-Gogh-Museum in Amsterdam eine Privatführung. Mein Glück war das des Journalisten, der über die nagelneue Ausstellung „Am Rande des Wahnsinns“ recherchieren und berichten wollte.
Nach einem ausführlichen Rauf-, Runter- und Rundgang durch das 1973 fertiggestellte Hauptgebäude des Kunstmuseum am Museumplein samt einer allgemeinen Einführung in das Leben und Werk von Vincent van Gogh (geboren am 30. März 1853 im niederländischen Groot-Zundert, gestorben am 29. Juli 1890 im französischen Auvers-sur-Oise) gingen wir rasch rüber in den 1999 eröffneten Erweiterungsbau und runter in die am 15. Juli 2016 gestartete Sonderausstellung „Am Rande des Wahnsinns“.
Am Ende des rasanten Rundgangs mit müden Beinen, das moderne Museum ist nicht nur ein großartiger Bau, sondern ein großes Gebäude, das letztes Jahr mit einem großflächig verglasten Eingangsbereich ergänzt wurde, und voller Gedanken, landen Besucher bei den letzten achtzehn Monate im Leben des Zeichners und Malers Vincent van Goghs, dessen Gemälde und Zeichnungen von seinem Kampf mit seiner Krankheit Zeugnis ablegen.
Ein kürzlich entdeckter Brief mit Zeichnungen zeigt, welcher Teil seines Ohres Van Gogh abgeschnitten hat. Dieser „Ohrfall“ wird in der Ausstellung anhand von Zeugenaussagen und Briefen rekonstruiert.
Ursprüngliche Briefe und außergewöhnliche Archivdokumente beleuchten den Aufenthalt von Van Gogh im Krankenhaus und in der psychiatrischen Anstalt. Die Ausstellung untersucht auch Van Goghs Selbsttötung und die vielen Diagnosen seiner Krankheit, die im Laufe der Jahre vorgeschlagen wurden.
Als Glanzstück gilt ein verrosteter Revolver, mit dem sich Van Gogh unter freiem Himmel in die Brust schoss. Vom freien Feld gelangt Van Gogh noch ins Künstlerdorf zurück, wo er zwei Tage später starb. Dieser Revolver, den ein Bauer angeblich 1960 auf seinem Land fand, soll die Waffe sein, die Jahrzehnte lang nie gefunden wurde. Das Alteisen wird erstmals der Öffentlichkeit präsentiert und zwar kurz vor der Ausgangstür.
Neben dem Revolver für Van Goghs Selbsttötung scheint sich die Sonderausstellung um das von ihm selbst abgeschnittene Ohr zu drehen. Warum tat er das? War der Künstler krank?
Die zwei Dutzend Gemälde und Zeichnungen aus dem letzten Jahr im Leben des Weltberühmten, darunter das Porträt seines Arztes Félix Rey, ein Meisterwerk des Puschkin-Museums in Moskau, das zum ersten Mal im Van-Gogh-Museum gezeigt wird. Von Rey selbst wird eine Zeichnung ausgestellt, die zeigt, dass Van Gogh sich das ganze Ohr abschnitt und nicht nur ein Stück davon.
Das abgetrennte Ohr und die Umstände seiner Selbsttötung sind in den 126 Jahren seit seinem Tod offensichtlich Top-Thema in diesem Kultursommer. Veröffentlichungen und Veranstaltungen zur Ausstellung belegen das.
Der „Ohrfall“ 1888, der Krankenhausaufenthalt und schließlich der Umstand, dass sich Van Gogh freiwillig in das Asyl in Saint-Rémy einsperren lies, seien Belege der „Blödheit“. Gemälde und Zeichnungen aus dieser Zeit wie „The Garden of the Asylum“ und „The Enclosed Wheatfield“ zeigen in der von Nienke Bakker kuratierte Ausstellung den Kampf des Künstlers mit der Geisteskrankheit. Vor allem sein letztes, nicht fertig gestelltes Gemälde „Baum-Wurzeln“ scheint ein Beweis zu sein.
Oder auch nicht. Am Mittwoch, 14. September 2016, wird es dazu ein Expertentreffen im Van-Gogh-Museum geben, an dem internationale Ärzte und Van-Gogh-Experten diskutieren und diagnostizieren. Ein Tag später soll der Befund präsentiert werden. Der befindet sich zwar nicht im aktuellen Katalog „On the Verge of Insanity, Van Gogh and his illness“, trotzdem lohnt sich mehr als nur ein Blick hinein.
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On the Verge of Insanity, Van Gogh and his illness, Nienke Bakker, Louis van Tilborgh, Laura Prins, mit Unterstützung von Teio Meedendorp und Bregje Gerritse, Herausgeber: Mercatorfonds, Brüssel. Erhältlich in Niederländisch, Englisch und Französisch. Internationaler Vertrieb: Yale University Press, Actes
Öffnungszeiten von Freitag, 15. Juli, bis Sonntag, 4. September, täglich von 9 bis 19 Uhr und freitags bis 22 Uhr sowie samstags bis 21 Uhr.
Öffnungszeiten von Montag, 5. September, bis Sonntag, 25 September, sind täglich von 9 bis 18 Uhr und freitags bis 22 Uhr.