Das Gedicht als „Rechtsraum des Aufstandes“ oder Schwierigkeiten des postmodernen politischen Gedichtes

© Lyrik Edition 2000

Der aktuell wirkenden Postmoderne wird ihre Beliebigkeit zu wichtigen Fragen in Kultur und Gesellschaft zur Last gelegt, die zudem seit den 2000ern ein Epigonentum in alle Richtungen vorführe und sich hinter wissenschaftlichen Idiomen wie Intertextualität („Axolotl-Roadkill“) verschanze. Neu ist wohl die Melange aus Sarkasmus, Ironie und künstlicher Betroffenheit. "Trauriger Radikalismus" macht auch die Runde.

Damit hat das zu rezensierende Buch zwar wenig zu tun, doch zumindest den Vorwurf des Epigonentums muss sich auch das Langgedicht "Kampfansage" von Boris Preckwitz gefallen lassen. Denn vor dem Leser erhebt sich ein Mega-Textkörper in Wladimir Majakowskis Jacke. Und von Majakowski lieh sich Preckwitz Form und Standpunkt.

Auch mir
            wächst die Agitpropkunst
                                                   zum Hals heraus,
auch ich
             schriebe
                          Goldschnitt und Fliederstrauß –
Doch ich
             bezwang mich,
                                   trat
                                        bebenden Hauchs
dem eigenen Lied
                            auf die Kehle. 

(Jürgen Rühle, Revolution und Literatur, S. 49)
 
Majakowski sang den Staat (UDSSR), Führer (Lenin), die Partei (KPdSU) und den Kommunismus an, er war stolz auf seine „parteigetreuen Bücher“(Rühle, S. 50).

Inhaltlich versucht Preckwitz in seinem postmoderner Hymnus "Kampfansage" zwar genau das Gegenteil und wütet gegen den ihn betreffenden Staat wie gegen das ihn betreffende Europa, doch erstarrt,- eben anders als bei Majakowski – sein Gedicht, wie auch schon von Burkhard Müller in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29. Januar 2013 kritisiert, in einem bloßen Gewimmel von Substantiven.

Zitat:

„Der Staat
             steckt nicht in der Krise
                                                 der Staat ist die Krise.
So auch ist: die Krise System
                                             Und also: System das Feindesland.
Denn: Kapitalismus ist Krieg,
                                            der an Verarmenden verübt wird."

Preckwitz rät folgend mit Lenin und Thoreau:

Was tun?
Laß dein Leben
                      der Reibstoff sein,
                                                  der die Maschine zum Stehen bringt.

Preckwitz, S. 27)

Die Postmoderne greift auf ihre Meister zurück und schießt mit Vorwürfe wie am Stammtisch (inklusive Wortungetüme wie "Wahlmonegassen"): gegen die Bundesrepublik ("der Staat ist die Krise") oder Griechenland („Fäkalistan“) und all die Staatsdiener ("das große Geprasse“) und ganz beiläufig werden als Gegenmaßnahme "Leninisten mit Knarren" (sic) heraufbeschworen. Doch weist der Autor Wege wirklich aus der Misere? Eigentlich nicht. Muss er auch nicht.

Dafür schrappt Preckwitz hart am Ultranationalismus vorbei, wenn es heißt "Nicht Staat ist mir Heimat, / Heimat ist mir mein Land, /…/ Deutschland /…/ : Heimstatt / : Herzland." Simpler, abseits  des künstlerischen Anspruchs, heißt das bei Rechtsextremen:"Ich hasse den Staat, / aber ich liebe mein Land".

Auch der "Rechtsraum des Aufstandes" im Gedicht "Euroskepsis" anerkennt nichts, was der Europäischen Union („Brüsseler Byzantinismus“) zu Gute gehalten werden könnte, stattdessen "im luftschloß zu brüssel" der "zwangsstaat", wo die "kader … schmarotzen".

Dennoch: Preckwitz lässt Dampf ab, das ist sein Recht, dabei schaut er dem sogenannten Wutbürger aufs Maul und versammelt und collagiert dessen Vorwürfe auf dem uneinnehmbaren Platz des Gedichts.

Da wird, wie Burkhard Müller bemerkt, ein "bestimmter Menschen-, Sprach- und Landschaftstyp" geliebt, "ohne die Pflichten eines Staatsbürgers anerkennen zu wollen". Und er fragt ganz richtig: "Geht das überhaupt, und wäre es zu wünschen?"

Verbunden mit dieser Frage wäre Preckwitz‘ schmaler Band zumindest als neuer Zündstoff für die sich etablierenden Montagsdemos eine interessante Überlegung. Von Juni bis November 2014 ist Boris Preckwitz Stadtschreiber von Dresden.

* * *

Boris Preckwitz. Kampfansage. Gedichte und Essays. 71 Seiten. Lyrik Edition 2000. Herausgegeben von Florian Voß.

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