Dann öffnet sie ihren Mund, und was aus ihm kommt ist widerlich und hässlich: die rassistische Botschaft der extremen Rechten. Es ist, als sähe man einen Cherub mit geöffneten Lippen, die die Zähne eines Vampirs enthüllen.
Ayelet Shaked mag die Schönheitskönigin der gegenwärtigen Knesset sein. Ihr Name ist verführerisch: Ayelet bedeutet Gazelle, Shaked Mandel. Aber sie ist die Urheberin einiger der haarsträubendsten Initiativen dieser Knesset. Sie ist auch die Vorsitzende der „Jüdisches Heim-Fraktion“ von Naftali Bennett, der nationalistisch-religiösen Partei der Siedler, der radikal rechtesten Partei der jetzigen Regierungskoalition.
Ihre letzte Heldentat ist eine Gesetzvorlage, über die jetzt gerade in der Knesset diskutiert wird; es geht darum, eine riesige Steuer auf Spenden zu legen, die von ausländischen „politischen Entitäten“ an israelische Menschenrechtsorganisationen gegeben werden, die einen Boykott Israels (oder nur der Siedlungen) befürworten, oder die Anklage israelischer Offiziere, wegen Kriegsverbrechen vor internationalen Gerichtshöfen belangt werden und anderes.
All dies während immense Summen Geld aus dem Ausland zu den Siedlungen und ihren Unterstützern fließen. Ein großer Teil dieser Summen wird praktisch von der US-Regierung gegeben, die ihren Abzug von der US-Einkommensteuer als philanthropisch anerkennen. Vieles kommt von amerikanisch jüdischen Milliardären von zweifelhaftem Ruf.
In irgendeiner Weise ist diese Gazelle und ihr Gesicht ein internationales Phänomen. In ganz Europa blühen extrem faschistische Parteien. Kleine verachtete Randgruppen blühen plötzlich zu großen Parteien auf mit einer nationalen Wirkung: Von Holland nach Griechenland, von Frankreich nach Russland propagieren diese Parteien eine Mischung von Supernationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus und Hass gegen Immigranten. Ein tödliches Hexengebräu.
Die Erklärung scheint einfach zu sein. Überall hat die wirtschaftliche Krise die Leute hart angefasst. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Junge Leute finden keinen Job. Die Opfer schauen sich nach einem Sündenbock um, dem gegenüber sie sich abreagieren können. Sie wählen den Fremden, die Minderheit, die Hilflosen. So ist es seit alters her gewesen. So wurde ein gescheiterter Maler mit Namen Adolf Hitler zu einer historischen Figur.
Für Politiker ohne Vision oder Werte ist dies der leichteste Weg, um zu Erfolg und Ansehen zu kommen. Es ist auch der verabscheuungswürdigste.
Ein österreichischer Sozialist sagte vor gut 100 Jahren, „der Antisemitismus sei der „Sozialismus der dummen Kerls“.
Sozialreformer mögen glauben, die ganze Sache sei von Milliardären der Welt angestiftet, die sich auf immer größere Teile der Aktivposten in ihren Händen konzentrieren. Die Kluft zwischen dem oberen einem Prozent und den anderen wächst, und die Nutznießer finanzieren die vom radikalen rechten Flügel, um den Zorn der Massen in andere Richtungen zu lenken. Das ist logisch.
Doch meiner Meinung nach ist die ökonomische Erklärung zu einfach. Wenn dasselbe Phänomen gleichzeitig in so verschiedenen Ländern auftaucht, muss es tiefere Gründe geben. Da müssen einige Elemente des Zeitgeists mitspielen.
Ich denke, dass wir Zeugen eines grundlegenden kulturellen Zusammenbruchs, einer Krise von geltenden Werten sind. Diese Art von Aufruhr begleitet gewöhnlich soziale Veränderungen, oft von ökonomischen und technologischen Durchbrüchen verursacht. Es ist ein Zeichen sozialer Unstimmigkeit und Desorientierung. Am Vorabend der Nazirevolte schrieb der deutsche Autor Hans Fallada ein enorm erfolgreiches Buch: „Kleiner Mann, was nun?“ Und drückte die Verzweiflung der neu enterbten Massen aus. Viele kleine Männer und Frauen in aller Welt sind jetzt in derselben Situation.
So auch in Israel.
Letzte Woche sahen wir ein Spektakel, das unsere Großeltern bis ins Mark erschüttert hätte.
Etwa 300 Schwarze liefen, viele von ihnen barfuß in der beißenden Kälte eines außer-ordentlich strengen Winters viele Kilometer auf einer Hauptstraße. Sie waren Flüchtlinge, denen es gelungen war, aus dem Sudan und aus Eritrea zu fliehen, den ganzen Weg durch Ägypten und den Sinai zu gehen, ja die Grenze nach Israel zu überschreiten. (Seitdem ist eine Mauer entlang der Sinai-Grenze errichtet worden – und dieser Flüchtlingsstrom ist praktisch zum Halten gekommen.)
Es sind nun etwa 60 000 solch afrikanischer Flüchtlinge in Israel. Tausende von ihnen sind zusammengepfercht in den heruntergekommensten Slums von Tel Aviv und andern Städten und verursachen so ein tiefes Ressentiment unter den Einheimischen. Das hat einen fruchtbaren Boden bewirkt, auf dem Rassismus ausgebrütet wird. Der hier erfolgreichste Agitator ist ein anderes schönes Mitglied der Knesset, Miri Regev aus der Likud-Partei, eine frühere Armeesprecherin, die die Bewohner und das Land auf die primitivste und vulgärste Weise aufhetzt.
Nach einer Lösung des Problems ausschauend hat die Regierung, ein großes Gefängnis in der Mitte der trostlosen Negev-Wüste gebaut – unerträglich heiß im Sommer, unerträglich kalt im Winter. Tausende schwarzer Flüchtlinge wurden dort ohne Anklage für drei Jahre zusammengepfercht. Einige nannten dies schon ein Konzentrationslager.
Menschenrechtsorganisationen – dieselben wie oben – wandten sich an den Obersten Gerichtshof, und die Gefangenschaft der Flüchtlinge wurde als nicht verfassungsmäßig erklärt. Die Regierung dachte noch einmal nach (falls denken das richtige Wort ist) und entschloss sich, die Entscheidung zu umgehen. Nicht weit vom verbotenen Gefängnis wurde ein neues Gefängnis gebaut, und die Flüchtlinge wurden dorthin gesteckt – ein Jahr für jeden.
Nein, kein Gefängnis, etwas, das man „offene Wohnstätte“ nannte. Wir sind gut im Benennen von Dingen. Wir nennen dies „Wortwäsche“.
Aus diesem „offenen“ Gefängnis sind die kühnen 300 heraus gewandert und machten sich auf den Weg nach Jerusalem, etwa 150 km, um vor der Knesset zu demonstrieren. Sie brauchten drei Tage. Sie wurden von ein paar meist weiblichen mutigen israelischen Menschenrechtsaktivisten begleitet. Ihre hellen Gesichter fielen zwischen all den schwarzen Köpfen auf.
Vor der Knesset wurden sie von speziell für Aufstände trainierter Polizei brutal zusammengeschlagen. Jeder Demonstrant wurde von einem halben Dutzend Bullen umgeben und mit Gewalt in einen Bus geworfen, der sie zum alten nicht offenen Gefängnis brachte.
Ich verweile bei diesem Vorfall länger, weil ich mich zu tiefst schäme.
Rassismus ist nichts Neues in Israel. Weit davon entfernt. Aber sobald wir unsere „Gazellen“ des Rassismus` anklagen, antworten sie, dies sei pure Verleumdung. Es gibt zwischen uns und den Palästinensern einen Konflikt, der strikte Sicherheitsmaßnahme benötigt. Dies hat nichts mit Rassismus zu tun. Gott bewahre.
Dies ist ein sehr dubioses Argument, aber wenigstens hat es einige Plausibilität.
Aber wir haben keinen nationalen Konflikt mit den Flüchtlingen. Er hat nichts mit Sicherheitsgründen zu tun.
Es ist Rassismus – ganz einfach.
Stellen wir uns vor, dass plötzlich in einer entfernten Ecke zwischen Eritrea und dem Sudan ein jüdischer Stamm entdeckt worden wäre. Seine 60 000 Mitglieder hätten nach Israel kommen wollen.
Das Land befände sich in einem Delirium. Der rote Teppich würde am Ben-Gurion-Flughafen ausgerollt werden. Beide, der Präsident und der Ministerpräsident wären dort mit ihren banalsten Reden. Sie, die Flüchtlinge würden Subventionen, freie Wohnung und Arbeit bekommen.
Es wäre also weder ein wirtschaftliches Problem, noch eine Frage der Absorption, der Wohnung oder der Beschäftigung. Es wäre nicht einmal eine Frage der Hautfarbe. Schwarze Juden aus Äthiopien sind jederzeit willkommen.
Es ist einfach: Die Flüchtlinge SIND NICHT JÜDISCH.
Kein Platz hier für Mitglieder eines anderen Volkes. Sie würden uns unsere Arbeitsstellen wegnehmen. Sie würden die demographische Balance verändern. Dies ist schließlich ein jüdischer Staat!
Ist er es wirklich?
Wenn dies ein jüdischer Staat wäre, würde er auf diese Weise Flüchtlinge behandeln?
Hundert Erinnerungen kommen uns ins Gedächtnis. Von Juden, die von einem Land zum anderen verfolgt wurden: von den mächtigen USA, die jüdische Flüchtlinge, die sich vor der Naziverfolgung auf einem deutschen Schiff in Sicherheit bringen wollten, zurückschickten. Später wurden sie in den Todeslagern umgebracht. Oder die Schweiz, die Juden, die den KZs entkommen waren und es bis an ihre Grenze geschafft hatten, zurückstieß.
Man erinnere sich auch an den Filmtitel „Das Boot ist voll“?
Wenn dies wirklich ein jüdischer Staat wäre, würde er versuchen, afrikanische Staatschefs zu bestechen, um diese Flüchtlinge, ohne zu fragen, was mit ihnen dort geschehen würde, aufzunehmen? Für einen Flüchtling aus der Hölle von Darfur, wäre Zimbabwe genau so Ausland wie Neuseeland (Wenn man nicht die Theorie unterschreibt, dass „alle Schwarzen gleich sind!“).
Wenn dies wirklich ein jüdischer Staat wäre, würde der Minister für Inneres, ein Likud-Funktionär, seine Gruppe von Schlägertypen in die Straßen senden, um dort die Flüchtlinge nicht zu jagen?
Nein, das ist kein jüdischer Staat. Die Bibel befiehlt uns, den Fremdling in unserer Mitte so zu behandeln, wie wir behandelt werden wollen. „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil auch ihr Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid“ (Exodus 23,9). Amen.
Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 21.12.2013. Alle Rechte beim Autor.