Seit etwa zehn Jahren wird im spanischen Königreich zweimal Weihnachten gefeiert. Schuld daran ist die Globalisierung, sie macht selbst vor dem Fest der Liebe nicht Halt. Früher wurde am 6. Januar, dem Dreikönigstag, der Geburt des Christkindes gedacht. Mit großem Pomp zogen Caspar, Melchior und Balthasar, die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland, in die spanischen Städte ein. Das Ritual war und ist stets das Gleiche: Im Schutz einer Polizeieskorte erreichen die drei Könige mit ihrem Hofstaates, den Ministern, Soldaten und Sklaven den Marktplatz. Man sieht den glücklichen Gesichtern der Darsteller an, wie stolz alle darauf sind, einmal im Leben bei dem Spektakel mitwirken zu dürfen. Unter Hunderten von Bewerbern hat man sie ausgesucht. Nun überstrahlt ihr Glanz die Zuschauer. Dann regnet es Konfetti und Bonbons von den geschmückten Wagen herab. Der Zug aus Eselskarren und Reitern erinnert ein wenig an den Kölner Karneval. Auf dem Höhepunkt der Inszenierung überreichen die Abgesandten aus dem Orient ihre königlichen Geschenke an das kleine Jesuskind: Weihrauch, Gold und Myrrhe. Danach erlöschen schlagartig die Scheinwerfer, ein Feuerstrahl schießt in die Höhe und entzündet den großen Stern über dem Stall von Bethlehem. Am nächsten Tag, am Morgen des 6. Januars, erhalten die Kinder traditionell ihr Weihnachtsgeschenk.
Heute besucht schon Wochen zuvor, am 24. Dezember, Papa Noel, der Weihnachtsmann, die Familien. Es ist noch gar nicht so lange her, da ahnte man – übertrieben gesagt – nicht einmal seine Existenz. Welch eine Karriere! Heute sitzt Papa Noel in der „Guten Stube“ der Spanier. Den Kindern kann die Entwicklung nur recht sein, schließlich werden sie reichlich beschenkt. Am 24. Dezember. Oder am 6. Januar. Oder an beiden Tagen zugleich. Und da sich auch der Handel über soviel Liebe unter den Menschen freut, leuchten spätestens Ende Oktober die Geschäfte entlang der Costa Blanca in weihnachtlichem Glanz.
Doch nicht nur der schnöde Kommerz feiert Triumphe. In jeder Ortschaft, die etwas auf sich hält, gibt es eine Krippe fürs Herz! Doch was für eine! Unter dem Motto „phantasievoller, schöner, größer“ findet ein regelrechter Wettbewerb unter den Städten und Gemeinden statt. Erbaut werden Wunderwerke aus Pappmaché, Gips und Holz, an denen sich der Menschen Gemüt ergötzen und laben kann. Vier und mehr Wochen benötigen die örtlichen Krippen-Vereine, um (unterstützt von privaten Krippen-Kreativen und Bastelfans) ihre Scheinwelt auf dem Marktplatz einer begeisterten Öffentlichkeit zu präsentieren. Kaum aufgebaut, drängeln sich auch schon Hunderte von Menschen um die detailverliebten, viele Quadratmeter großen Landschaftsbildern und bestaunen, was sich die Krippenkünstler so alles an neuen Szenen und Motiven haben einfallen lassen. Erzählt wird stets die alte, ewig neue Weihnachtsgeschichte. „Und als sie in Bethlehem ankamen, setzten die Wehen ein und Maria gebar ihm einen Sohn. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall, da sie keine andere Unterkunft gefunden hatten. Unweit des Ortes hielten sich Hirten auf, die in der Nacht ihre Herde bewachten. Plötzlich öffnete sich der Himmel und ein Engel kam strahlend herab. Anfangs fürchteten sich die Hirten, aber der Engel sprach: Habt keine Angst, ich bringe euch gute Nachricht. Heute wurde der Heiland geboren, Christus der Herr.“
Wer die naiven Krippenlandschaften betrachtet, der glaubt, die Weihnachtsgeschichte würde vor der spanischen Haustür spielen. Um den Stall von Bethlehem breitet sich die „huerta“ aus, der Obstgarten Spaniens an der Costa Blanca, der ganz Europa mit Südfrüchten versorgt. Mit glücklichen Gesichtern stehen Menschen vor der Landschaft aus Phantasie und Pappmaché. Mit den Augen spazieren sie durch die gebastelte, bemalte Wunderwelt und verspüren ein verdächtig sentimentales Gefühl. Was gibt es nicht alles zu schauen: Da wird in der Küche das Festessen vorbereitet, dort klettert ein Mann die Palme empor, um Datteln zu pflücken, Bauern bearbeiten ein Feld. Alles bewegt sich, alles fließt. Und endet am Tag der Heiligen Drei Könige. Nach dem 6. Januar ist es vorbei mit dem schönen Gefühl. Gnadenlos werden die Krippen abmontiert.
Das zweifache spanische Weihnachtsfest ist zu Ende. Und alle freuen sich aufs nächste Jahr.