Berlin, BRD (Weltexpress). Auch das ist zum Jahrestag der Einverleibung der DDR durch die BRD anzumerken: Während das als „ihr Sieg“ im Kalten Krieg gefeiert wird, hielten die USA auch in dieser Etappe der Okkupation die Zügel in der Hand. Davon zeugte, dass der Drei-Sterne-General der CIA, Vernon Walters, am 24. April 1989 in Bonn eintraf, um als Botschafter die Zügel bei der Einverleibung der DDR in die Hand zu nehmen. Zu seiner Unterstützung hatte US-Präsident Bush sen. eine „European Strategy Steering Group unter Leitung von Vize-Sicherheitschef Robert Gates gebildet, die in Bonn durchsetzte, der DDR „jede wirtschaftliche Unterstützung zu verweigern, bis tiefgreifende politische Reformen eingeleitet“ seien.
Die „FAZ“ hatte bereits am 10. Januar geschrieben, wie der CIA-Mann in Bonn ankündigte, seine Aufgabe zu erledigen. Er sei gekommen, um „die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt“, oder anderes ausgedrückt, „dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen“. 1 In Bonn wurden die USA-Pläne von Kanzler Kohl zustimmend aufgenommen.
Walters, der in den USA the lone Wolf genannt wurde, war unter Präsident Richard Nixon im Generalsrang zum stellvertretenden CIA-Direktor aufgestiegen und hatte in Jahrzehnten gesammelte Erfahrungen, wie man die Konterevolution organisiert. Als der linksliberale christdemokratische Parteiführer Aldo Moro 1963 eine Regierung mit den Sozialisten ankündigte, wollte Walters, der als Oberst, Militärattaché an der US-Botschaft in Rom war, dass „die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müssten“. 2 Dazu bereitete er mit neofaschistischen Offizieren und der geheimen NATO-Truppe Gladio einen Staatsstreich vor. Unter Präsident John F. Kennedy wurde der Putsch, nachdem Details davon in der Öffentlichkeit bekannt geworden waren, jedoch abgeblasen. Danach hielt Walters die Fäden bei der Ausarbeitung des Szenariums für den Putsch gegen Allende in Chile (Centauroplan) in der Hand. Die Vietnam-Aggression der USA, mit über drei Millionen toten Vietnamesen, die fast ganz Nordvietnam in Trümmer legte und 58 000 GIs das Leben kostete, war für ihn „einer der nobelsten Kriege“ der USA.3 In Afrika zog er die Fänden zur Unterstützung der Rebellenbewegung der kolonialen Marionette Jonas Savimbi in Angola gegen die antiimperialistische Regierung unter Dos Santos in Luanda durch das Mobuto-Regime in Zaire und die Apartheid-Regierung Südafrikas.
Bleibt hinzuzufügen, dass die bis März 1990 amtierende Regierung unter Hans Modrow die von Walters drohende Gefahr entweder nicht bemerkte oder völlig unterschätzte. Während die Geheimdienste der USA wie der BRD die Konterevolution mobilisierten hatte Modrow im November 1989 das in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannte Ministerium für Staatssicherheit (MfS) aufgelöst. 4
Knapp zwei Wochen nach der bekannt gewordenen Äußerung von Vernon Walters, wie die USA gedachten, mit der DDR Schluss zu machen, traf sich Modrow mit mehreren seiner Minister zu einer „konstruktiven Debatte“ über eine „neue Etappe der Umgestaltung“ der DDR, die er als eine „revolutionäre Übergangszeit“ charakterisierte, mit dem Oppositionsgremium des „Runden Tisches“. 5 Mit dem Slogan von einer „revolutionären Übergangszeit“ übernahm Modrow auch die Losung von der „friedlichen Revolution“ unter der in Wirklichkeit die Konterrevolution antrat. Modrow nutzte nun das Treffen mit dem „Runden Tisch“ nicht etwa, um die von General Walters angekündigten Pläne der USA, die in Bonn von Kanzler Kohl zustimmend aufgenommen wurden, zu enthüllen und die Vertreter der Bürgerbewegung aufzufordern, dagegen vorzugehen. Nein, er erklärte in völliger Missachtung dieser drohenden Gefahren, „wir stehen vor einer neuen Etappe der tiefgreifenden Umwälzung, die sich in unserem Land vollzieht“. Dazu suchte er Konsens mit den oppositionellen „Runden Tisch“-Vertretern und bot ihnen an, in seine Regierung einzutreten, 6 um eine “große Koalition“ zu bilden. Während der Regierungschef mit dem „Runden Tisch“-Vertretern über die Aufgaben in einer „neuen Etappe“ der „revolutionären Übergangszeit“ debattierte, brachen unter dem gezielten Einfluss dieser Opposition (die in den Kasernen ein- und ausgehen konnte) in 40 Kasernen bzw. Truppenteilen der NVA Soldatenstreiks aus und in einigen Dienststellen wurden Soldatenräte gebildet, die den Strafbestand der Meuterei erfüllten (§ 259 Militärgerichtsordnung der NVA). Verteidigungsminister Admiral Theodor Hoffmann begab sich zu einer Versammlung der Streikenden in Beelitz und stimmte ihren Forderungen im Wesentlichen zu. Den Vorschlag von Kommandeuren, das Fallschirmjägerbatallion gegen die Meuterer einzusetzen, lehnte er ab, da er das, wie er begründete, „für altes Denken“ hielt und er damit „den friedlichen Charakter der Wende in der NVA verletzt“ hätte. 7 Für Modrow war auch das kein Anlass, das Thema in seiner Debatte mit dem „Runden Tisch“ zur Sprache zu bringen.
Anmerkung:
1 Siehe auch Klaus Eichner/Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters – Ein Geheimdienstgeneral des kalten Krieges. Berlin 2005.
2 Roberto Faenza: Il Malaffare, Mailand 1976, S. 310.
3 Vernon A. Walters: In vertraulicher Mission. München 1990.
4 Heinz Engelhard mit Peter Böhm: Der letzte Mann. Coundown fürs MfS. Edition Ost, Berlin 2019.
5 Der runde Tisch war ein Gremium, das nicht einmal nach bürgerlich-parlamentarischen Regeln, als auch nicht von der Verfassung der DDR legitimiert war. Von ihm war die Forderung ausgegangen, das MfS, dann das AfNS aufzulösen, der Modrow nachkam.
6 Der Vorschlag wurde dann auch angenommen.
7 Uwe Markus und Ralf Rudolph: Die verratene Armee. Amazon 2013
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