Heiß her ging es dieses Jahr in Montreux – nicht nur drinnen, sondern auch draußen. An mehreren Tagen herrschte in der mondänen Stadt am Lac Leman 30 Grad. Da boten die beiden Konzertsäle Stravinski Hall und Miles-Davis-Hall eine willkommene Abkühlung.
Zwei Drittel der Konzertabende ausverkauft
Anfangs litt das Festival unter der Konkurrenz der Fußball-Weltmeisterschaft, in der zweiten Woche kam dann aber doch der erhoffte Ansturm. 85 Prozent der verfügbaren Karten wurden verkauft, 23 der 33 kostenpflichtigen Konzertabende waren ausverkauft.
Das Musikfest dauerte diesmal länger als sonst (17 statt 16 Tagen), weil die Eröffnung auf zwei Tage verteilt wurde. Den Auftakt machte Altmeister Phil Collins, der sein voraussichtlich einziges Konzert in Europa in Montreux gab. Tags darauf folgte Roxy Music mit dem eigentlichen Eröffnungskonzert
Auftritt der Altstars
Auch sonst gaben viele Alt-Arrivierte den Ton an in Montreux. So traten Gary Moore, Billy Idol, Marc Knopfler (Dire Straits) und Simply Red auf. Da war Norah Jones mit ihren zarten 31 Jahren fast schon ein junges Kücken inmitten der singenden Altherren-Riege. Die New Yorkerin drehte bei ihrer Premiere in Montreux voll auf und sang eine breite Palette von Soul-, Jazz- und Country Songs mit ihrer starken Stimme. Nur schade, dass es keine Zugabe gab.
Französische Popsternchen
Deutlich schwerer tat sich Charlotte Gainsbourg. Die Tochter des Chanson-Helden Serge Gainsbourg und der Duett-Partnerin Jane Birkin klammerte sich sichtlich nervös am Mikrophon fest und kam nur langsam in Fahrt. Erst mit den Songs ihres "großen, einzigartigen" Vaters "L’Hôtel particulier" und schließlich "Couleur Café" sang sie sich frei.
Den französischen Pop komplettierte Vanessa Paradis, die Frau mit der kindlichen Stimme. Sie bot ein "Best of" ihrer Songs – von "Pourtant" bis "Joe le Taxi", dem Hit, der sie weltberühmt gemacht hatte. Als Zugabe gab es noch "Il y a". Das Publikum war begeistert.
Pepe Lienhard swingt mit Rapper und R&B-Sängerin
Ein musikalisches Experiment wagte der Schweizer Bandleader Pepe Lienhard mit seiner Swiss Army Big Band. Er führte Künstler aus unterschiedlichen musikalischen Horizonten zusammen, um mit ihnen gemeinsam zu swingen. So trat er gemeinsam mit der R&B- und Soul-Sängerin Joy Denalane, dem Rapper Max Herre, dem Neu-Swing-Vertreter Roger Cicero und der Jazz-Größe Klaus Doldinger auf. Es war also viel deutsche Prominenz, die mit Lienhard experimentierte – und reichlich Applaus erhielt.
Trip-Hop nicht gefragt
Ein Flop war dagegen der Auftritt von Tricky, einem der wichtigsten Vertreter des Trip-Hop. Kaum einer interessierte sich am Montagabend für die Show und Trickys nackten Oberkörper. Der schwarze britische Musiker überließ das Singen der Band-Mitgliederin Francisca Belmont und rauchte lieber entspannt zusammen mit dem Keyborder. Auch die Hip-Hopper von Missy Elliott lockten nur wenige Fans an. Da half es auch nicht, dass die Band munter umhersprang.
Ach ja, ein bisschen Jazz gab es natürlich auch in Montreux. Herbie Hancock und Quincy Jones hielten Hof im Auditorium Stravinski. In der benachbarten Miles-Davis-Hall verzauberten Paco de Lucia und Chick Corea mit ihren Klängen das Publikum.
Tragischer Tod eines Musikers
Überschattet wurde das Festival von einem tragischen Zwischenfall, dem Tod des Cellisten Dan Cho. Er war aus noch ungeklärten Gründen in der Nähe von Schloss Chillon beim Baden ertrunken. Polizeitaucher hatten ihn zehn Meter vom Ufer entfernt gefunden. Pianistin Regina Spektor hielt dennoch an ihrem Auftritt fest. Sichtlich in Tränen aufgelös,t sang sie für ihren verstorbenen Kollegen.
Von all dem bekamen viele Besucher draußen auf dem Freigelände gar nichts mit. 250 Gratis-Konzerte boten von Samba bis Folk für jeden Musikgeschmack etwas. Am Wochenende kam es zu regelrechten Menschenstaus entlang des Genfer Sees. Am Ufer, im Montreux Jazz Café, auf der Tropical Terrasse oder im Studio 41 konnte man bis ins Morgengraue durchfeiern.
Was wird aus Nobs?
Großes Gesprächsthema unter den Stammgästen und Journalisten war die Zukunft des Festivals. Die Anzeichen verdichten sich, dass Claude Nobs sich allmählich aus gesundheitlichen Gründen als Festival-Leiter zurückzieht. Schon jetzt reist er deutlich weniger. Nobs macht sich um seine Nachfolge keine Sorge. "Es wird uns sicher gelingen, andere Verrückte für diesen Job zu finden", sagte er auf der abschließenden Pressekonferenz. Das Festival werde auch ohne ihn weiter bestehen. Ob aber dann dieselben großen Namen kommen, darf bezweifelt werden. Schließlich kennt Nobs alle Großen der Branche.
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Info: Das Montreux Jazz Festival wurde 1967 von Claude Nobs gegründet. Es findet alljährlich im Juli statt und versammelt Musik-Größen aus Jazz, Pop und Rock in der Stadt am Genfer See. Rund 100 kostenpflichtige Konzerte und 250 Gratis-Konzerte locken Tausende Besucher an.
Internet: www.montreuxjazz.com/2010