„Prim and proper, the girl who’s never been cased,
I’m tired of being pure and not chased.
Like something that seeks it’s level
I wanna go to the devil.“ (Eartha Kitt)
Dita von Teese großformatiges Werk verbindet zwei Bücher zu einem: „Die Kunst der Burlesque“ steht auf einer hellblauen Einbandhälfte über der in rosa Federn gehüllten Autorin. Auf der Rückseite führt die gleiche Frau mit verbundenen Augen in „Die Kunst des Fetisch“. Fetisch und Burlesque erklärt Dita von Teese als zwei Seiten einer Medaille. Auf einer amüsanten historischen und autobiografischen Zeitreise enthüllt die „Königin der New Burlesque“, dass die gegensätzlich erscheinenden Passionen „alles“ gemeinsam haben – und natürlich enthüllt Dita sich. Als literarische Bonbonniere öffnet sich „Die Kunst der Burlesque“: Pastellfarbene Kostüme, auf Hochglanzfotografien funkelnde Edelsteine. Im Knistern der Buchseiten verbirgt sich fast das Rascheln von Spitzendessous. „Die Kunst der Burlesque“ lockt in ein Fantasieland, wo Schönheiten aus Hutschachtel hüpfen, auf Karussellpferden reiten und sich in riesigen Puderdosen räkeln. Dita, immer anders strahlt auf den Seiten, als femme fatale, Vamp und Pin up. Ganz in ihrem Element oder in ihrem Markenzeichen, dem überdimensionalen Martiniglas. Dazu inspirierte sie Kollegin Catherine D ´Lish. Glamourös, verführerisch und mit einem Hauch Selbstironie lockt Dita in Posen, die keine sind. „Die Kunst der Burlesque“ zeigt spielerische Facetten ihrer wahren Persönlichkeit. Deren Bezeichnungen lesen sich wie das Sortiment einer dekadenten Patisserie: Headline Honey, Corsette Cutie, Cheesecake, Bombshell. Ein echtes Showgirl feiert auch sich selbst – vor allem aber feiert Dita Burlesque und deren Künstlerinnen. Mae West, deren sexuelles Innuendo die Filmzensur heraufbeschwor, Sally Rand, Erfinderin des Fächertanzes und Bühnenikone Gypsy Rose Lee. Die Pseudonyme sind so originell wie die Auftritten der Tänzerinnen: Mistinguette, La Sauterelle, Tempest Storm. Ihren eigenen Künstlernamen verdankt Dita von Teese, wie sie im Buch verrät, einem Druckfehler.
„Zwischen zwei Sünden wähle ich die, welche ich noch nicht probiert habe.“, flötet Mae West in einem ihrer Filme. Für viele der von der zuckerperlenfarbenen Umschlaghälfte angezogenen Leser dürfte diese Sünde „Die Kunst des Fetisch“ sein. Die Wendeseite des Doppelbandes „Die Kunst der Burlesque“ ergründet die von der Autorin als düstere Seite der Burlesque bezeichnete Fetischkultur. Wie „Die Kunst der Burlesque“ ist „Die Kunst des Fetisch“ in fünf Kapitel unterteilt, streng „Regeln“ genannt. Zwei Knöpfe am gleichen Strumpfhalter, nennt Dita von Teese Burlesque und Fetisch kokett. „In der Kunst ist nur das Bizarre wunderschön.“, zitiert sie Charles Baudelaire. Fotografien zeigen sie in Korsetts, Nahtstrümpfen, Uniform oder Retro-Unterwäsche. „Die Kunst des Fetisch“ spicken eingerahmte Listen Ditas: berühmte Fußfetischisten (Goethe – angeblich), rekordverdächtig geschnürte Taillenmaße oder „Artikel, die jeder Retro-Fetisch-Vamp besitzen sollte“: Spitzen-BH, Nahtstrümpfe, hohe Schuhe, roter Lippenstift – viele der insgesamt sieben Accessoires dürfte fast jede Frau besitzen oder sich wünschen. Gesundheitslatschenträgerinnen und Frauen, die sich vor Striptease, Aktfotografie und Girlie-Magazinen wie Rotkäppchen vorm bösen Wolf ängstigen, natürlich ausgeschlossen. Nach 272 Seiten mit rund 200 Farbabbildungen muss eine Zugabe her.
So betritt Michelle Carrs „The Velvet Hammer Burlesque“ die Bühne. Der mit 144 Seiten nur halb so üppige Band des Verlags Die Gestalten ist übervoll mit auf und unter die Haut gehenden Fotografien der Mitglieder der in Los Angeles gegründeten „Velvet Hammer Burlesque“. Von Stars der Subkultur stieg deren Ensemble zu Weltruhm auf. Vor und hinter der Bühne dokumentiert der Bildband „The Velvet Hammer Burlesque“, deren vom klassischen Vaudeville inspirierte, durch Einflüssen der Rockabilly- und Undergroundszene bereicherten Vorführung.
„I have an ear for music,
And I have an eye for a maid.
I like a pretty girlie,
With each pretty tune that’s played.“ (Irving Berlin)
“Glorifying the American Girls since 1995” verspricht Michelle Carr in der Titelunterschrift in einer Abwandlung des Mottos von Revuelegende Florenz Ziegfeld. Die Gründerin der “Velvet Hammer Burlesque” setzte den meist stupiden Polestrip-Shows der Dekade ihre von Glamour und Cabaret beflügelte Erotikshow entgegen. Statt sich die Brustwarzen, deren Zeigen im pseudomoralischen Los Angeles verboten war, mit Band zu überkleben, schmückten sich die Tänzerinnen mit glitzernden Pasties. “The Velvet Hammer Burlesque” begründetet die New Burlesque. Extravagante Kostüme und Satire, exzentrische Clownerie und Zigarettenmädchen – der Geist des Vaudeville wurde neubeschworen von Valentina Violette alias Michelle Carr. Wie ihre Mädchen pflegt Carr ein frivol-verspieltes Pseudonym. In nostalgischen Fotografien im Daguerreotypestil stellt sich das Ensemble der “Velvet Hammer Burlesque” auf den ersten Buchseiten vor. Summer Peaches, die Poubelle Twins, Kitten DeVille oder Bobby Pinz. Von der Bühne des Moulin Rouge oder Minsky ´s könnten die in Korsetts und Federschmuck Gehüllten gestiegen sein. Princess Farhana scheint aus tausendundeiner erotischer Nacht entstiegen, die strenge Miss Astrid einer SM-Fantasie. Mehr als die Kostüme lassen die Figuren der Frauen die klassische Burlesque-Ära auferstehen. Der Untertitel hält Wort: “The Velvet Hammer Burlesque” glorifiziert die amerikanische Frau, nicht das amerikanische Supermodel. Die Stripperinnen auf den Fotografien stellen keine makellosen Idealfiguren zur Schau. Verve, Charisma und Koketterie machen ihre natürlichen Formen verführerisch. Miss Astrids Augenklappe ist lediglich Requisit, die Tänzerin Bobby Pinz ist tatsächlich physisch behindert. Statt ihre kleinen körperlichen Schwächen schamvoll zu verbergen, feiert “The Velvet Hammer Burlesque” sie mit ihnen als anziehende Besonderheit.
Geschmeidige Eleganz weicht wilden Tänzen. Glitterkostüme werden mit Zigarette im Mundwinkel hinter der Bühne gewechselt. Die laute Musik klingt beinah zum Betrachter durch in der von den nicht perfekten, sondern aufregend echten Tänzerinnen aufgeheizten Atmosphäre. “The Velvet Hammer Burlesque” ist keine vulgäre Fleischbeschau, als welche Moralisten Striptease und Burlesque gern abtun. Prüde fürchten sich womöglich vor der ungebändigten Lust und Energie, mit der die Künstlerinnen die Bühne entflammen. Doch der Bildband des Verlags Die Gestalten folgt dem aufregende Rhythmus des “Velvet Hammer”, nicht dem der überall Sexismus witternden Moralkeule. “The Velvet Hammer Burlesque“ ist mit seinen naturalistischen Aufnahmen das Spiegelbild zu Dita von Teese detailverliebter Hommage an “Die Kunst der Burlesque”. Gemeinsam blicken die Bildbände vor und hinter den Vorhang, der sich nach der Show senkt. Die Bücher vereinen Geschichte und Gegenwart der Burlesque, von den Ziegfeld Follies zu Bump-n-Grind auf heutigen Bühnen. Ob die allerletzte Hülle fällt? Das erfahren die Betrachter nicht. Der Vorhang schließt sich. Doch der Geist der Burlesque verweilt.
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Titel: Die Kunst der Burlesque – Die Kunst des Fetisch, Autor: Dita von Teese, Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf, Jahr: 2007
Titel: The Velvet Hammer Burlesque, Autor: Michelle Carr, Verlag: Die Gestalten, Jahr: 2008