Die Mitarbeiter des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Berlin und ihr Chefdirigent Iván Fischer gehen bekanntlich gern eigene Wege. Sie beauftragten Peter Kaizar, zur Theaterfassung, die Albert Wendt nach seinem erfolgreichen Buch »Bummelpeters Weihnachtsfest« geschrieben hatte, eine Musik zu komponieren. Kaizar ist als Komponist, Regisseur und Produzent am Theater, beim Film und Fernsehen sowie mit Hörspielen erfolgreich und Albert Wendt als fantasievoller Autor von Hörspielen, Theaterstücken und vor allem von Kinderbüchern geschätzt. Alles fügte sich glücklich. Kaizar erweiterte die Sprache des Dichters und verwandelte die Gedankenwelt des langsamen, bedächtigen kleinen Peter in Töne, setzte die Wintergeräusche und die Weihnachtsklänge auf diffizile, ganz eigene Art um, die weit vom üblichen Weihnachtskitsch entfernt ist. Die Musiker eines Mini-Orchesters bringen die Melodien zum Klingen. Dabei sind: Jens Naumilkat (Violoncello und Musikalische Leitung), Jacek Melczarek (Klarinette), Julius Heise (Perkussion) und Hans Tschiritsch (Stroh-Geige, Maultrommel, Singende Säge, Windrad).
Es pfeift der Wind, die Stürme blasen. Eine weite Winterwelt tut sich auf. Weiße Tücher formen Schneewehen. mittendrin der vereiste Teich (Ausstatttung: Denise Sheile Puri). Warm und sanft die Stimme des Erzählers (Martin Seifert), der seitlich in einem großen Lehnstuhl sitzt, ein Buch in der Hand. Alle Besucher sind gewiß, dass alles, was sie sehen und hören, sich einmal genau so zugetragen haben muss, dass aus dem kleinen Peter ein großer Peter und ein »Aufschreiber« geworden ist. Und sie tauchen mit ihm hinab in des Dichters Erinnerungen.
Albert Wendt erzählt von einem Kindheitserlebnis. Es ist eine recht heutige Story: Der Junge, oft allein mit sich, war auf dem Dorfteich in ein Eisloch gestolpert. Er hatte sich selbst herausziehen können, war dann aber in keine warme Stube hinein gekommen. Alle Menschen waren beschäftigt. Weihnachten stand vor der Tür. Anstatt ihn aufzunehmen und aufzuwärmen, rieten sie dem nassen Peterchen: »Geh schnell nach Hause, sonst holst du dir den Tod!« Und es klappten im ersten Haus, im zweiten und im nächsten die Fensterläden zu. Nur der Schafstall ließ ihn ein. Das Kind verkroch sich zähneklappernd zwischen den Tieren. Denn die Tante hatte ihm den Wohnungsschlüssel nicht anvertraut und würde erst spät von Arbeit kommen. Da kam der Tod, den kleinen Jungen zu holen. Aber rettende Engel waren zur Stelle: Der alte Schäfer findet den Fiebernden, rubbelt ihn wie seine neugeborenen Lämmer mit einem Strohbüschel trocken, arbeitet mit kräftig riechender Salbe und fährt ihn – dick eingemummelt – mit dem Pferdeschlitten ins Krankenhaus. Dort hat Oberschwester Hypolita (Ute Kahmann) das Sagen: »Mir stirbt am Heiligen Abend auf meiner Station kein Kind!« Sie zitiert den Stationsarzt (Thomas Mette) herbei und bringt den anfänglich mürrischen Doktor auf Trab. Gemeinsam bescheren sie dem Kleinen mit Späßen, einem Wiegenlied und Puppenspielereien den – für immer unvergessenen – schönsten Weihnachtsabend seines Lebens. Ihre liebevollen Zuwendung wärmt den Jungen und stärkt ihn. Der Tod macht sich davon. Peter schläft sich gesund. Und jeder im Saal kapiert: In einer kalten, ungemütlichen Welt braucht es Herzenswärme, damit ein Mensch überleben kann. Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit und Liebe sind die beste und sogar kostenlose Medizin. Das ist die alte und auch heute noch gültige Weihnachtsbotschaft.
Albert Wendts Text bringt das gradlinig, auch für die jüngsten Besucher verständlich und sehr poetisch rüber. Die Inszenierung von Antje Siebers (Konzept, Regie) und Gabriele Nellessen (Konzept, Dramaturgie, Produktionsleitung) arbeitet ohne moralischen Zeigefinger und mit unterschiedlichen Elementen. Anfänglich wird eine metergroße Puppe (Puppenbau: Marit Kreuzinger) durch die Szene geschoben. Der Bummelpeter sieht vor sowie nach dem Sturz ins Eisloch und als Todkranker immer unverändert und seltsam unbeteiligt aus. Erst sehr spät, im Krankenhausbett darf er als stummer Adressat der Bemühungen von Doktor und Oberschwester seine Rolle spielen. Schade auch um das verschenkte Potential des Schattenspiels, das lediglich ein Versuch war, die Schilderungen des Erzählers zu bebildern. Da dürfte mehr drin sein. Uneingeschränktes Vergnügen bereiten den Kindern – »Zielgruppe« und folglich Wertmaßstab – zweifelsfrei das Puppenspiel und die Dialoge zwischen den Holzköpfen. Insgesamt wirkt die Inszenierung nicht homogen, sondern unentschlossen. Sie sollte noch einmal auf alle sicherlich vorhandenen Möglichkeiten abgeklopft und getrost im nächsten Jahr wiederholt werden. Dennoch: der Beifall für alle Beteiligten war verdient.
Als wir das Konzerthaus verlassen, kommen wir abermals an der Büste von E.T.A. Hofmann vorbei. Von Rolle und Bedeutung des Poeten hatte ich dem wißbegierigen Enkelkind (5) vor der Vorstellung erzählt. »Was meinste, kriegt der Albert hier auch mal `ne Figur?« will es nunmehr wissen. Wer weiß?
Albert Wendt lebt seit fünfundfünzig Jahren in einem Dorf bei Leipzig. Dort sitzt er unterm Apfelbaum, bei schlechtem Wetter in einem Häuschen daneben, und schreibt Märchen. Seine Freunde ernähren ihn mit Büchern, Käse und saurem Wein. (Selbstaussage). »Bummelpeters Weihnachtsfest«, Illustrationen: Anne Ibeling, 12,50 €, wurde herausgegeben vom Verlag Jungbrunnen Wien.
Der Jungbrunnen Verlag wurde 1923 von den Österreichischen Kinderfreunden gegründet und ist aus dem Anspruch heraus entstanden, Kindern und Jugendlichen, die wenig Möglichkeiten hatten, an Bücher heranzukommen, gute Literatur zur Verfügung zu stellen.
Auch wenn für viele Kinder der Zugang zu Büchern heute kein Problem mehr darstellt, ist uns mehr denn je wichtig, sie mit qualitativ hochwertigen Bildern und Texten zu versorgen. Bei der Auswahl von Texten und Bildern legen wir daher besonderen Wert darauf, dass Kinder und Jugendliche in ihren Lebenswelten ernst genommen werden. Wir wollen ihnen keine trivialen Ideal- und Scheinwelten vorgaukeln, sie auch nicht aus der Erwachsenenperspektive bevormunden, sondern sie mit Geschichten und Illustrationen konfrontieren, die hohen literarischen und inhaltlichen Kriterien genügen. Wir wollen sie unterhalten, aber nicht nur das, sie sollen sich in unseren Büchern zu Hause fühlen und im Idealfall darin ein Umfeld finden, das es ihnen ermöglicht, sich mit für sie existentiellen Fragen auseinanderzusetzen. (Eigenwerbung)
Im gleichen Verlag sind auch folgende Bücher von Albert Wendt erschienen: »Marta-Maria«, »Adrian und Lavendel«, »Betti Kettenhemd«, »Der kleine Waldräuber«, »Der kleine Fallschirmspringer«. Mehr im Weltnetz unter: www.jungbrunnen.co.at