Ein Redner hat mal seinen Vortrag mit den Worten begonnen: „Ich habe einen langen, schönen Vortrag vorbereitet, leider habe ich ihn zu Hause vergessen. Darum bleibt mir nichts übrig, als das zu sagen, was ich wirklich denke.“
Ich habe keinen Vortrag vorbereitet, und möchte laut denken, mit Ihnen zusammen. Natürlich muß ich mich zuerst bedanken. Ich bin unglaublich dankbar für diesen Preis und für diese Verleihung. Und für Ihre Gegenwart.
Ich möchte Sie vielleicht mit mir führen zu ein paar Gedanken über diesen Konflikt, an dem ich beteiligt bin. Dieser Konflikt zwischen Israel und Palästina, zwischen Israelis und Palästinensern, ist einmalig in der Weltgeschichte. Er ist mit nichts zu vergleichen, was wir anderswo in der Vergangenheit und in der Gegenwart gekannt haben. Er ist weder zu vergleichen mit Südafrika, noch mit dem deutsch-französischen Krieg, noch mit kolonialen Kriegen. Es ist nicht Antisemitismus, es ist nicht Anti-Islaimus; er ist einzigartig, weil er entstanden ist in einzigartigen Zuständen, und wenn man das nicht begreift, kann man sehr schwer verstehen, was heute bei uns, in unserem Land passiert.
Vor hundertzwanzig, hundertdreißig Jahren, Ende des 19. Jahrhunderts, entstanden überall in Europa nationale Bewegungen. Alle Völker wurden national, der nationale Gedanke bemächtigte sich aller Völker, nicht nur Deutschland im Zweiten Reich, nicht nur Frankreich, sondern alle Völker Europas, Slowaken, Kroaten, Litauer, Lettländer – -alle wurden nationalistisch. Es war eine neue Idee.
Und die Juden, die in allen diesen Ländern lebten, merkten plötzlich, daß sie nicht dazugehören. Keine der nationalen Bewegungen Europas wollte die Juden haben, keine hat die Juden als Mitnations-Mitglieder anerkannt, und sogar die fortschrittlichsten Länder, wie z.B. Frankreich, die Mutter der Judenemanzipation hatte den Dreyfuß-Prozeß, Massen marschierten durch Paris mit der Parole: „Tod den Juden!“ Und die Juden fragten sich, wie es weitergehen soll? Natürlich hat noch keiner an einen Holocause gedacht, keiner konnte daran denken, aber es wurde klar, daß Juden in Europa nichts zu suchen haben.
Darauf entstand bei einem Teil der Juden, einem sehr kleinen Teil der Juden, der Gedanke, wenn wir Juden hier keinen Platz haben in den Nationen Europas, dann kostituieren wir uns ganz einfach als eine andere, eine eigene Nation und bauen einen eigenen Staat für uns auf, irgendwo. Und das war im Grunde die Idee des Zionismus.
Am Anfang war es den Gründern des Zionismus noch gar nicht klar, wo sie diesen Staat aufbauen sollten, aber für die Massen der Juden, besonders in Osteuropa, die noch sehr traditionell und religiös waren, war es klar, daß es für die Juden nur ein Heimatland gibt: Das Land Israel/Palästina. Und darum wandte sich die zionistische Bewegung Palästina zu mit dem Gedanken, in Palästina einen jüdischen Nationalstaat zu errichten, so jüdisch wie Deutschland deutsch und Frankreich französisch ist. Und der erste zionistische Kongreß, der 1897 stattfand, in der Schweiz, in Basel, bestand aus 200 Delegierten der Juden aus allen Teilen Europas und von Nordamerika. Kein einziger von ihnen war jemals in Palästina gewesen. Sie hatten keine Ahnung, wie Palästina aussieht. Sie hatten den Gedanken, Palästina wäre ein leeres Land, leer seitdem die Juden das Land verlassen hatten vor 2000 Jahren. Und wir gehen einfach zurück in das Land und nehmen davon Besitz.
Leider war Palästina aber kein leeres Land. Es lebte dort ein arabisches Volk, ein Volk, wie das heute genannt wird, eine halbe Million arabischer Bürger, und in derselben Zeit, wie der Zionismus unter demselben europäischen Einfluß des nationalen Gedankens, entstand eine arabische nationale Bewegung in der ganzen arabischen Welt, und auch in Palästina, mit dem Ziel, das arabische Land von der Fremdherrschaft zu befreien. Die Fremdherrschaft war das Otomanisch-Türkische Reich.
So entstand, einmalig in der Weltgeschichte, glaube ich, so entstand eine Situation in der zwei große nationale Bewegungen an zwei verschiedenen Orten entstanden sind mit demselben Ziel, in demselben kleinen Land Palästina, ihre nationalen Aspirationen zu verwirklichen. Das ist die Tragödie, womit dieser Konflikt anfängt.
Wer Recht hatte, wer nicht Recht hatte, darüber kann man sich ehrlich streiten, haben die Juden Recht gehabt, sich retten zu wollen aus Europa? Haben die Araber Recht gehabt, ihre Freiheit zu wollen in ihrem eigenen Land? Wahrscheinlich könnte man sagen: Beide hatten Recht.
Ein Historiker, namens Isak Deutscher hat mal darüber gesagt: „Stellen Sie sich vor, ein Mensch wohnt im oberen Stockwerk eines Hauses, das Haus fängt Feuer, der Mann springt aus dem Fenster, um sein Leben zu retten. Er landet auf dem Kopf eines vorübergehenden Passanten, verletzt ihn, der Mann wird für sein Leben lang behindert und zwischen diesen beiden Leuten entsteht eine Todfeindschaft.“ Es ist ein ziemlich gutes Bild.
Seit 120 Jahren haben wir jetzt diesen Konflikt. Eine fünfte Generation auf beiden Seiten ist in diesen Konflikt hineingewachsen, hineingeboren. Auf beiden Seiten hat dieser Konflikt total das Weltbild aller Menschen bestimmt. Und heute, nach 120 Jahren, geht dieser Konflikt genauso weiter, wie am ersten Tag. Sie können heute eine beliebige hebräische Tageszeitung nehmen oder eine beliebige palästinensische arabische Tageszeitung, und Sie werden sehen, daß 80 %, wenn nicht noch mehr. aller Nachrichten dieser Tageszeitungen mit diesem Konflikt zu tun haben. Dieser Konflikt bestimmt alles in unserem Land, auf beiden Seiten.
Ich habe letzte Woche geschrieben, wenn ein Hebräer am Morgen die Zeitung aufmacht und die Überschrift liest: „Ein Mord ist begangen worden.“ dann ist er sehr erleichtert, nur ein Mord und kein Krieg und kein Selbstmordattentat usw. Wenn es so etwas gibt wie einen genetischen Code einer Bewegung, einer großen Massenbewegung, dann haben Sie in der genetischen Erbmasse dieser zionistischen Bewegung die Grundidee: Palästina, das Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan in Besitz zu nehmen und in einen exklusiven jüdischen Nationalstaat zu verwandeln mit so wenig wie möglich Nichtjuden.
Der genetische Code der arabischen Nationalbewegung ist: „Das ist unser Land, die Juden haben dort nichts zu suchen. Wir müssen uns wehren.“
Und man kann sagen, man könnte sagen, dieser Konflikt ist ein Zusammenprall einer unaufhaltsamen Kraft und einer unbeweglichen Masse. Die unaufhaltsame Kraft: Der Staat Israel, und die unbewegliche Masse: Das palästinensische Volk. Und dieser Zusammenprall geht täglich weiter, nach 120 Jahren, bestimmt unser Leben, das Leben beider Völker. Und die Frage ist: Kann man dem ein Ende setzen? Es gibt Leute, auf beiden Seiten, die sagen: „Dieser Krieg wird ewig weitergehen, es gibt keine Lösung, zwischen solchen zwei Kräften kann es keine Lösung geben, man müßte darauf gefaßt sein eben, daß wir und unsere Kinder und unsere Kindeskinder ewig weiterkämpfen. Und viele Israelis glauben heute, haben sich damit abgefunden, daß es so ist. Als ich jung war, das ist einige Zeit her, haben Mütter gesagt, haben die Eltern gesagt, wenn ein Junge geboren wurde: “Wir wünschen uns, daß, wenn dieses Kind 18 Jahre alt wird, schon Frieden herrschen wird, er wird nicht mehr zur Armee kommen, er braucht keine Kriege zu führen.„
Heute sagt man das gar nicht mehr, denn heute glauben die Mütter und die Väter, daß das Kind, das heute geboren wird, mit 18 Jahren Krieg führen wird und vielleicht das Enkelkind, das danach geboren wird, auch noch.
Die Frage ist für uns: Kann man das verändern, kann man eine Bewegung, die solange schon auf derselben Linie vorwärts geht, mehr und mehr Boden zu enteignen, mehr und mehr jüdische, israelische Siedlungen auf diesem Boden aufzustellen? Kann man das verändern? Und kann das palästinensische Volk sich damit abfinden, daß ein jüdischer Staat in einem Teil von Palästina existiert.
Es ist eine Aufgabe, die wir haben, ich glaube, die nicht mit der Aufgabe irgendeiner Friedensbewegung in der Welt zu vergleichen ist. Eine Friedensbewegung in Deutschland heißt, das deutsche Volk davon zu überzeugen, Soldaten nicht nach Afghanistan zu schicken, keine militärischen Abenteuer in der Welt vom Zaun zu brechen. Dasselbe gilt für Amerika und überall sonst. Bei uns aber ist es bei weitem mehr, ist es eine Veränderung einer historischen Bewegung, die fünf Generationen schon auf einer Linie vorwärts geht, diese Bewegung dazu zu bringen, zu stoppen und eine andere Richtung, eine andere historische Richtung einzuschlagen. Das ist die Aufgabe der israelischen Friedensbewegung.
Und, natürlich, die Aufgabe der Palästinenser ist es, standzuhalten bis ein Frieden kommt.
Die Lösung – kann überhaupt eine Lösung geben? Das ist eben dies Problem. Meine Freunde und ich glauben daran, sie wissen auch, wie die Lösung aussieht. Im Grunde, das Komische an diesem Konflikt ist, daß, obwohl er von Generation zu Generation weitergeht, alle vernünftigen Leute auf allen Seiten, auf der ganzen Welt im Grunde wissen, wie die Lösung aussieht. In Tausenden von Gesprächen, Konferenzen, Verhandlungen ist alles so oft durchdiskutiert worden, daß wir heute genau wissen, beinahe in allen Einzelheiten, wie am Ende die Lösung aussehen wird, wenn es zu einer Lösung kommt.
Die Lösung nennt man Zwei-Staaten-Lösung.
Das bedeutet, daß ein freier souveräner Staat Palästina neben dem freien souveränen Staat Israel entsteht. Daß der Teil Palästinas, der heute von Israel besetzt ist, den Palästinensern übergeben wird, damit sie dort ihren eigenen freien Staat errichten können, daß die Stadt Jerusalem die Hauptstadt beider Staaten wird, Westjerusalem die Hauptstadt Israels, Ostjerusalem die Hauptstadt Palästinas, daß alle israelischen Siedlungen, die auf arabischem Boden in den besetzten Gebieten entstanden sind, aufgelöst werden und die Siedler heim nach Israel kommen. Das ist im Grunde alles. Und daß wir eine vernünftige, praktische und moralische Lösung für das Problem der palästinensischen Flüchtlinge finden. (Beifall)
Tja, das ist im Grunde ganz einfach, man könnte, wenn man wollte, wenn beide Seiten es wollten, könnte man sich morgen zusammensetzen und einen Friedensvertrag ausmachen. Ich habe einmal gesagt, wenn beide Seiten mich bevollmächtigten kann ich einen solchen Friedensvertrag innerhalb von 24 Stunden mit allen Klauseln vorlegen.
Hier fehlt Text! Über die Hoffnung und die `Überraschung ´, wie etwa den Fall der Berliner Mauer.
Statt Frieden zu machen, verhandelt man – ewig. Ein ehemaliger Ministerpräsident von Israel hat mal gesagt: “Ich bin bereit, zwanzig Jahre lang Friedensverhandlungen zu führen.„ Wenn der Wille nicht da ist, zu einem Frieden zu kommen, haben Friedensverhandlungen überhaupt keinen Sinn. Jetzt will man, daß wieder Friedensverhandlungen zustande kommen, aber es werden Bedingungen gestellt, die das unmöglich machen. Warum eigentlich? Von israelischer Seite, von Seiten unserer Regierung? Das ist sehr einfach: Wenn ernste Friedensverhandlungen beginnen, ernste Friedensverhandlungen, d.h. mit dem Ziel in einer vernünftigen Zeitspanne, sagen wir ein halbes Jahr, ein Jahr, zu einem Frieden zu kommen, dann wird es der Frieden sein, von dem ich gerade gesprochen habe, d.h., die israelischen Siedlungen müssen abgezogen werden. Keine israelische Regierung, bis jetzt, war bereit dazu, eine halbe Million jüdischer Siedler aus den besetzten Gebieten zurückzuführen. Das wäre ihre Aufgabe. Die Siedler sind schwer bewaffnet, sind straff organisiert. Für eine israelische Regierung zu entscheiden, wir machen jetzt Frieden und ziehen die Siedler ab. Das ist eine sehr, sehr schwere Entscheidung.
Dasselbe gilt auch für die Golan-Höhen im Frieden mit Syrien. Auch dort agieren 20.000 Siedler. Aber auch die abzuziehen, ist ein schweres Problem. Um das möglich zu machen, brauchen wir nicht nur einen großen Druck von innen, sondern auch einen großen Druck von außen.
Wir haben immer gehofft und hoffen auch heute noch, daß Amerika diese Aufgabe übernehmen wird, daß Amerika, die engste Verbündete von Israel, diesen Druck ausüben wird. Und als Obama gewählt worden ist, da hatte Barak Obama die Hoffnung gehegt, daß er es auch tun wird. Er hat es auch versprochen. Er hat klar darüber geredet, ein paar wunderbare Reden darüber gehalten. Aber leider, ist bis jetzt aus den Reden nicht viel herausgekommen. Im Grunde überhaupt nichts herausgekommen. Er führt die Politik seines Vorgängers ganz einfach weiter, aus innenpolitischen, amerikanischen Gründen. Vielleicht, hoffentlich, daß sich das ändert. Aber wir brauchen internationalen Druck, um die Situation mit unserer Hilfe zu verändern.
Dazu gehört auch Deutschland. Darum muß man in Berlin ein paar Sachen sagen: Die deutsche Regierung „unterstützt Israel“, denn sie unterstützt nicht Israel, denn sie unterstützt gewisse Elemente in Israel, die rechtsradikalsten Elemente in Israel. Und wenn in Deutschland die Bundeskanzlerin sagt: “Es ist Staatsräson für Deutschland, Israel zu unterstützen“, dann meint sie es ist Staatsräson, das Israel der Siedler, das Israel der Rechtsradikalen, das Israel des Libanonkrieges zu unterstützen. Und ich muß sagen, diese Unterstützung von unseren „Freunden“ lehne ich total ab. (Beifall.)
Meine Freunde und ich in der Friedensbewegung in Israel – wir sind Israel – wir sind israelische Patrioten. Wir glauben, daß wir die Zukunft Israels, des Staates Israel gewährleisten. Frau Merkel könnte auch uns unterstützen. (Beifall) Die deutsche Regierung sollte uns unterstützen!
Natürlich glaubt man, man darf Israel in Deutschland nicht kritisieren, nach alle dem, was geschehen ist, können Deutsche, sollen Deutsche Israel nicht kritisieren. Natürlich, wenn jemand Israel kritisiert, kommt sofort der Vorwurf: „Ihr seid Antisemiten! Ihr wollt einen zweiten Holocaust.“
Ich muß sagen, daß ich das total ablehne . (Beifall) Wen man Israel, wenn man jemanden liebt, dann muß man ihm die Wahrheit sagen, und wenn man ihn unterstützt, dann muß man ihm die Wahrheit sagen. Ich finde, man muß ihn kritisieren. Alle von Ihnen haben Ehemänner, Ehefrauen, Freunde, Freundinnen. Würden Sie sich sagen: „Unsern Freund dürfen wir nicht kritisieren?“ Wenn Sie sehen, Ihr Freund betrinkt sich schwer am Abend und dann will er nach Hause fahren mit dem Auto. Würden Sie ihm nicht sagen: „Bitte, laß lieber das Auto stehen, tu das nicht, ruh Dich aus.“ Wäre es ein Zeichen der Liebe, es ihm nicht zu sagen?
Wenn Sie glauben, wie wir glauben, daß dieser Kurs Israels für Israel
katastrophal werden kann, daß Israel in eine Richtung geht, auf einen Abgrund zugeht, dann ist es doch eine falsche Unterstützung: „Ja, geh vorwärts, wir unterstützen Dich bedingungslos.“ Sondern ganz im Gegenteil es muss gesagt werden: „Bitte, überlegt Euch doch mal, setz Dich, ruh Dich aus. Und überleg erstmal, bevor Du einen neuen Krieg anfängst.“ Und ich würde sagen, als Israeli, der Sinn der ganzen Bewegung war, daß wir ein normales Volk werden, daß wir ein normaler Staat werden.
Ein normaler Staat muß an normalen Maßstäben gemessen werden, an normalen moralischen Maßstäben. Es ist kein Zeichen der Freundschaft gegenüber Juden oder gegenüber Israel, dass man diese moralischen Maßstäbe n i c h t anwendet, wenn es sich um Juden und Israel handelt, weil Deutschland diese schrecklichen Sachen vor zwei Generationen gemacht hat. (Beifall.)
Es ist wunderbar, daß die Deutschen an den Holocaust denken. Sehr oft, wenn ich in Israel den Fernseher anmache und 3SAT und andere deutsche Stationen sehe, und sehe, wieviel sich die Deutschen mit dem Holocaust befassen, dann bin ich voll Bewunderung, aber das soll nicht dazu führen, daß wir heute wieder eine Sonderbehandlung der Juden haben, statt einer negativen Sonderbehandlung diesmal eine positive Sonderbehandlung.
Ich habe vorhin meinen Freunden einen Witz erzählt, den ich nicht wiederholen kann: Eine Demonstration in Amerika – -und die Polizei kommt an, und fängt an, die Demonstranten zu verprügeln. Und ein Demonstrant sagt: „Haut mich nicht, ich bin ein Antikommunist!“ Und der Polizist sagt: „Ist mir ganz egal, was für eine Art von Kommunist Du bist.“
Eine gewisse Art von Semitismus ist mir wirklich genauso unangenehm wie ein Antisemitismus. (Beifall.) Denn beides besagt doch, daß Juden etwas Besonderes sind, daß Juden besonders behandelt werden müssen. Und ich lehne es ab, ich will es nicht. Ich will genauso behandelt werden wie ein Russe, oder ein Franzose und ein Amerikaner, genauso. Wenn ich etwas Gutes tue, soll es belobt werden, wenn ich etwas Schlechtes tue, soll es nicht gelobt werden, aber es soll behandelt werden, wie bei allen anderen Völkern auch. Das ist meine Botschaft an die Deutschen.
Habe ich noch ein paar Minuten? – Ich möchte vielleicht noch etwas darüber hinaus Gehendes gerade in dieser Gesellschaft sagen und etwas mir Gedanken machen über die Welt, die Israelis gehören auch zur Welt trotz allem, und sollten uns Gedanken machen über die Zukunft der Menschheit, die Zukunft des blauen oder grünen Planeten, der vorläufig weder blau noch grün ist, sondern rot und voll mit Kriegen. Ich habe vorhin über die nationalen Bewegungen Europas gesprochen, nationale Bewegung, die vor zweihundert Jahren Nationalstaaten überall in Europa begründet haben, der Nationalstaat in Europa als selbständiger Nationalstaat entsprach dem Zeitgeist. Es war so, die wirtschaftlichen, technologischen, militärischen Gegebenheiten verlangten einen Staat mehr oder weniger so groß wie Frankreich oder das Zweite Deutsche Reich, damit man eine Wirtschaft führen kann, einen eigenen Markt hat, stark genug ist, sich zu verteidigen usw.
Dieser nationale Gedanke ist heute bei weitem überholt. Die Welt ist global. Alle Probleme sind gobal. Die Schweinegrippe ist global. Sie können nicht sagen: „Wir Deutschen schämen uns jetzt, wir steigen aus. Wir wollen mit der Schweinegrippe nichts zu tun haben. Sie gehört zu Mexiko, zu Amerika und wer weiß wohin. Wir Deutschen haben damit nichts zu tun.“ Auch wenn Sie so denken, wird es keine Mikrobe davon abhalten, nach Deutschland zu kommen. Jedes Flugzeug kann die Krankheit nach Deutschland bringen. Die Wirtschaft ist global. Das ist nicht rückgängig zu machen. Das Internet ist global: Wenn ich heute eine eMail schreibe und diese von der Freundin Ellen Rohlfs ins Deutsche übersetzt wird, (Beifall) und ich schreibe das hebräisch, sie übersetzt es auf Englisch, wird in verschiedene Sprachen übersetzt, – 5 Minuten, nachdem es von mir vom Computer rausgeht, kriege ich Reaktionen aus Honululu, Südafrika und Tailand. Es ist eine Welt.
Kinder , Kinder verstehen sich, sitzen vor ihren Computern in Verbindung mit der ganzen Welt.
Sie haben eine weltweite Problematik. Die Rettung des Planeten ist ein weltweites Unternehmen.
Die Frage ist, wie kommen wir raus aus einem System, das schon vor hundert Jahren anfing, überholt zu sein. Mit einer gespaltenen Welt, die eine Welteinigkeit verlangt.
Vor hundert Jahren in Europa gab es eine ganz kleine Bewegung für eine Vereinigung Europas. Das war ganz utopisch. Keiner hat geglaubt, daß es überhaupt möglich ist. Das war noch vor dem Weltkrieg, dann kam der I. Weltkrieg, dann kam der II. Weltkrieg. Und plötzlich vereinigt sich Europa, nicht so schnell, wie sie es wahrscheinlich wollten und vielleicht auch nicht, genau wie sie wollten, aber Schritt für Schritt und jetzt mit dem neuen europäischen Vertrag. Ich kann Sie beglückwünschen zu dem neuen europäischen Präsidenten und zu Ihrem neuen europäischen Außenminister. Europa vereinigt sich.
Ich würde sagen heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts müssen wir der Weltvereinigung genauso gegenüberstehen. Wir brauchen eine Weltordnung. Globalisierung ist heute ein Schimpfwort geworden, weil die Globalisierung mit einer gewissen Art von Globalisierung verbunden ist. Aber eine Globalisierung kann anders aussehen. Ich kann mir vorstellen, daß was heut in Europa passiert, morgen in der ganzen Welt passieren wird, d.h. dass Nationen, daß Staaten demokratisch für ein Weltparlament stimmen, daß ein demokratisches Weltparlament entsteht, daß dieses Weltparlament die Probleme anfaßt, die heute schon bewältigt werden müßten: Die Weltbeschmutzung, die Entwicklung der ökonomischen und der ökologischen Bedingungen für ein Zusammenleben, die Verhinderung von Kriegen. Denn, wenn Sie sich heute mit Ihrem Nachbarn zanken, dann nehmen Sie nicht einen Stock und verprügeln ihn, -hoffentlich, hoffentlich – sondern Sie gehen zu einem Gericht.
Das ist nicht selbtverständlich, das war nicht immer so. Eines Tages haben sich die Menschen innerhalb eines Volkes, innerhalb eines Staates darauf geeinigt, daß sie Gesetze machen, und daß Gerichte und die Polizei dafür sorgen, daß die Gesetze eingehalten werden.
Wir brauchen heute Weltgesetze, wir brauchen heute dasselbe, was zwischen zankenden Personen passiert, auch bei zankenden Nationen passieren wird. Wir in Israel beglückwünschen diesen Bericht von dem zionistischen jüdischen Richter Goldstone (Beifall), der einen wunderbaren Bericht herausgegeben hat, weil es ein Schritt ist zur Weltgerichtsbarkeit zu einem Weltgesetz.
Vorhin, bei diesem kurzen Film, war eine Demonstration mit einer hebräischen Parole (zu sehen), die Sie wahrscheinlich nicht lesen konnten, ich nehme an, hier gibt es ein paar Leute, die kein Hebräisch lesen können, darauf stand: Ende mit den Kriegsverbrechen. Wir haben während des Krieges, während des GAZA-KRIEGES vom ersten Tag an, jeden Tag gegen den Krieg demonstriert. Am Ende waren es 10.000 Leute, die durch Tel Aviv marschiert sind mit der Forderung, dem Krieg ein Ende zu setzen, mit diesem Schild: Ende mit den Kriegsverbrechen. Der Richter Goldstone hat diesen Satz (?) nicht erfunden, w i r haben ihn erfunden. Wir wußten schon während des Krieges, daß Sachen passieren, die wir nicht haben wollen. Und alles das, was unser Freund aus Amerika vorhin gesagt hat, trifft auf unsere Soldaten genauso zu. (Beifall) Auch unsere Soldaten – um ihn zu zitieren, seine wunderbare Rede zu zitieren: "Wir zogen aus, um das Böse zu bekämpfen und stellten mit Entsetzen fest, daß das Böse bei uns ist, in uns steckt“, das haben auch viele israelische Soldaten gesagt und viele haben den Krieg verweigert oder kritisieren den Krieg und haben Kriegsverbrechen aufgedeckt in Israel. Und darum, auf das Grundthema dieses wunderbaren Unternehmens zurückzukommen: Wir müssen diese Utopie einer Weltordnung als eine Utopie betrachten, die dieses Jahrhundert bestimmen sollte, unser Benehmen, das Benehmen der jungen Generation bestimmen soll und daß wir am Ende dieses Jahrhunderts hoffentlich eine Welt ohne Krieg, eine Welt mit einem Weltgesetz, mit einem Weltgericht, mit einer demokratischen Weltordnung haben und daß wir unsere Enkel, die Enkel unserer Enkel oder die Söhne unserer Enkel in einer besseren Welt leben als die, die wir geerbt haben.
Danke
(Standing Ovation)
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Erstveröffentlicht unter www.ethecon.org am 01.12.2009.