Berlin, Deutschland (Weltexpress). In Politikerreden kann man manchmal »zwischen den Zeilen« hören, was dahinter steckt. So konstatierte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), den (unter seiner Regierung wiederhergestellten) status quo, dass Berlin nicht weniger als acht öffentlich geförderte Orchester besitze. Die Zahl stimmt. Die Spanne der Finanzierung reicht zwar von 0,2 Millionen Euro (Berliner Symphoniker) über 6,8 Millionen (für den Berliner Anteil der Rundfunkorchester und -chöre) bis zu 16,7 Millionen (Berliner Philharmoniker). Aber die Berliner Symphoniker, deren staatliche Zuwendungen von 3,3 Millionen im Jahre 2004 komplett gestrichen worden waren, gehören nun auch wieder offiziell dazu, wie die Senatskanzlei bestätigt. Zu den 0,2 Millionen im Jahre 2016 hätte Brecht gesagt: »Gut, das ist der Pfennig, aber wo ist die Mark?«, doch der gute Wille sei anerkannt, und der Posten kann ja erweitert werden.
Müller sprach am Sonntag in der vollbesetzten Philharmonie beim Festkonzert zum 70jährigen Bestehen des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), eines der »Leuchttürme« der Berliner Kultur. Genau eine Woche zuvor hatten hier die Berliner Symphoniker ihren 50. Geburtstag gefeiert. Da war Müller allerdings vermisst worden. Ich will nicht sagen, dass Reden austauschbar sind, aber vieles von seiner Rede hätte er auch dort sagen können, nämlich, was die Orchester für Berlin und seine Menschen bedeuten, dass die Geschichte des (betreffenden) Orchesters eng mit der Geschichte der Stadt und zum Beispiel mit den Folgen des Mauerbaus verbunden sei. Das (betreffende) Orchester gestalte das Berliner Konzertleben mit starker internationaler Ausstrahlung mit. Hier wie dort hätte es »Ungewissheiten« gegeben, und das Orchester habe oft am Rande seiner Existenz gestanden. Das war beim DSO zum Beispiel 2009 der Fall, als der Protest einer breiten Öffentlichkeit seine Fusion mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester verhinderte, denn da wären 75 Stellen weggefallen. Die Berliner Symphoniker kämpfen seit 2004 ums Überleben, aber mit einer neuen Koalition im Senat wächst neue Hoffnung auf Hilfe. Wichtig aber für alle ist Müllers Erklärung, es gäbe einen »kulturpolitischen Konsens«, die Vielzahl der Spitzenorchester zu erhalten.
Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erinnerte daran, wie sehr 1946 die Gründung der RIAS-Symphonie-Orchesters, heute Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, den Lebensmut der Menschen stärkte, die in Trümmern lebten. Auch hätten die Musiker viel Mut bewiesen, als sie sich 1953 nach der Kündigung aller Musiker durch die US-amerikanischen Behörden in die Gründung einer eigenen Gesellschaft retteten. Das hätten sie aber nicht überstanden, wenn nicht der Senat und der Bund ihre Finanzierung gesichert hätten. Heute sei das DSO ein Hoffnungsträger.
Die Mitglieder des Orchesters können es nach so manchem überstandenen Schreck als Bestandsgarantie verstehen, wenn die vier Gesellschafter – die »vier Mächte« – der Trägergesellschaft Rundfunk Orchester und Chöre GmbH (Deutschlandradio, Bundesrepublik, Senat und RBB) im Grußwort schreiben, das Orchester befinde sich »künstlerisch und wirtschaftlich auf einem ausgesprochen guten, zukunftweisenden Wege.«
Ende gut, alles gut? Zu denken gibt uns heute die tiefere Ursache der Kündigung des Orchesters im Jahre 1953. Interessierte Kreise in den USA stellten damals nämlich fest, dass die hundertprozentige Finanzierung des RIAS-Orchesters durch die US-Regierung Wettbewerbsverzerrung wäre, denn amerikanische Klangkörper erhielten nur zwei Prozent ihres Budgets vom Staat. Das ist ein Vorgeschmack auf TTIP, wo genau dieses Argument die staatliche Förderung der Kultur in Deutschland, Frankreich, Österreich und so weiter aushebeln könnte, allen Beschwichtigungen zum Trotz!
Die Mitglieder des Orchesters dürfen sich als Pioniere eines Stücks Volkskultur fühlen. Ihr symphonic mob brachte dieses Jahr in Berlin 1000 Amateurmusiker und -sänger auf die Beine, im Neusprech ein Format, das auch in Bremen, Frankfurt/Oder, Köln und Rostock nachgeahmt wurde.
Die gefestigte Existenzsicherung beflügelte das Orchester zu einem glanzvollen Festprogramm. Hervorzuheben ist die sinfonia concertante für Oboe, Fagott, Violine , Violoncello und Orchester von Joseph Haydn. Die Solisten aus dem Orchester, Viola Wilmsen, Oboe, Karoline Zurl, Fagott, Wei Lu, Violine, und Mischa Meyer, Violoncello, musizierten mit Können, Lust und Laune. Die Leitung durch Kent Nagano tat ein übriges für ein glänzendes Konzert.
Zum dramaturgischen Störfall geriet die stolpernde Vorführung von »Filmimpressionen« von den Dirigenten des Orchesters nebst der Zerlegung der Leinwand. Besser ein Stück Filmmusik im Programm, zum Beispiel von Hanns Eisler oder Paul Dessau, als die Zitterpartie mit der Technik.