Berlin, Deutschland (Weltexpress). Bernd Stange betreute als Trainer in 176 Fußball-Länderspielen Mannschaften aus sechs Nationen. Inzwischen hat sich der gebürtige Bautzner aus dem aktuellen Fußball-Getriebe zurück gezogen und beobachtet das Geschehen auf dem Rasen aus der Perspektive der Jenaer Kernberge. Wir sprachen mit dem 72-Jährigen über die Situation im ostdeutschen Fußball.
Im ostdeutschen Fußball steigen Dynamo Dresden aus der 2. Bundesliga, Carl Zeiss Jena aus der 3. Liga und die Frauen von USV Jena aus der Bundesliga sicher ab und weitere können noch folgen. Haben die Ostdeutschen das Fußballspielen verlernt?
Bernd Stange: „Ich glaube nicht, dass wir im Osten weniger Talente als in anderen Gegenden Europas haben. Unmittelbar nach dem Mauerfall setzte der Talente-Strom in Richtung Westen ein . Es waren nicht nur fünf, sechs Topstars, die dem Osten entglitten. Zwischen 1990 und 1992 verloren wir im Osten weit über 200 gut ausgebildete Spieler. Das verkraftet kein Verband der Welt. Ich habe damals einen Aufsatz geschrieben, der Ostfußball rollt ins Niemandsland. Leider hatte ich Recht.“
Aber es kamen auch Spieler und Trainer aus dem Westen und dem Ausland in die neuen Bundesländer. Warum konnten diese den Niedergang nicht stoppen?
Stange: „Für die Spieler gab es im Osten keine Traumgehälter zu verdienen, also kamen nur zweitklassige Kicker. Bei den Trainern verlor der Osten eine ganze Generation studierter, erfahrener DHfK-Absolventen. Viele verloren ihre Jobs wegen Stasi-Berichten oder Partei-Zugehörigkeit und für andere wiederum war kein Geld da. Das muss ein Verband erst einmal verkraften.
Doch inzwischen sind 30 Jahre ins Land gegangen. Muss man die Fehler der Wendezeit nicht endlich abhaken?
Stange: „Das ist nicht einfach. In den Fußball haben sich viele Leute gedrängt, die dem Osten nicht gut tun und wenn wirklich einmal ein heller Kopf auftaucht, wird er von den Mittelmäßigen schnell weggebissen. Ich denke im DFB hat man über die Fehler der Wendezeit auch schon nachgedacht. Wir sind in der DDR mit Bezirksauswahl-Mannschaften bis in die Finals der europäischen Wettbewerbe vorgestoßen. Heute spielen Traditionsteams wie Jena oder Erfurt nur noch unterklassig. Thüringen ist ein Schulbeispiel für den Untergang des Ostfußballs, trotz eines Elite-Fußball-Gymnasiums in Jena. Dazu kommen die Schicksalsschläge. Durch die Corona-Krise wurde Dynamo Dresden die Vorbereitungszeit gekappt und dann werden die Dresdner durch die restliche Serie mit einer dichten Spielfolge gejagt. Jena wird zum Heimspiel 230 Kilometer nach Würzburg geschickt. Kaiserslautern meldet Insolvenz an, was schlimm genug ist, darf aber die Punkte behalten. Bei Erfurt war man nicht so nachsichtig.“
Sehen Sie denn gar kein Licht am Ende des Tunnels?
Stange: „Doch gerade in letzter Zeit glaube ich wieder an eine Zukunft des Ostfußball. Ich sehe bei Dritt-Liga- Mannschaften wie Rostock, Chemnitz und Halle, wie Sie sich endlich wieder auf die alten Traditionen, Tugenden und Stärken besinnen, wie ihnen das Aue und Union Berlin in den letzten Jahren vorgemacht haben. Aue mit knapp 17 000 Einwohnern hält nun schon das dritte Jahr die zweite Liga. Da sage ich nur gute Arbeit.“
Und Union Berlin?
Stange: „Vor der Truppe verneige ich mich. Die Eisernen haben sich nicht verbiegen lassen. Natürlich ging es bei ihnen nach der Wende zunächst auch drunter und drüber. Aber dann besannen sie sich unter Präsident Zingler. Sie setzten auf alte Union-Traditionen wie Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Hingabe für den Verein und Bodenständigkeit. Ich freue mich so, dass Union die Klasse gehalten hat, als wäre ich dort Mitglied. Glückwunsch.“
Haben Sie noch Verbindungen zum Fußball?
Stange: „Mit den alten Kämpfern wie Eberhard Vogel, Ulli Göhr, Jürgen Raab oder Harald Irmscher, um nur einige zu nennen, treffen wir uns jeden Mittwoch zum Kleinfeld-Fußball. Die langen Wege sind nichts mehr für uns. Außerdem werde ich noch zu Vorträgen nach Aserbaidschan, Weißrussland und nach Österreich eingeladen. Dazu arbeite ich gelegentlich mit der Sporthochschule Köln zusammen. Nach Australien fahre ich mit meiner Frau nur noch in den Urlaub. In Perth war ich drei Jahre und bin dort Kult. In Perth ist gerade wieder ein neues Buch über den Verein und mich herausgekommen.“