Berlin, Deutschland (Weltexpress). Tief stapeln – und möglichst hoch gewinnen: Diese Strategie setzte der Deutsche Volleyball-Meister BR Volleys Berlin am Dienstagabend in der heimischen Max-Schmeling–Halle perfekt um. Mit 3:1 (21:25, 25:16, 25:18, 26:24) bezwang der Gastgeber vor 4231 Zuschauern Cucine Lube Civitanova (Italien).
Die BR-Homepage vermeldete einen „Traumstart in der Königsklasse“. Und in der Tat haben die Berliner damit in der Hauptrunde der europäischen Champions League mit 20 Teams beste Voraussetzungen, um aus ihrer Vierer-Gruppe den Sprung in die erste Play-off-Runde der besten 12 Mannschaften zu gelangen. Dazu sind jeweils aus Vierer-Gruppen die ersten Beiden sowie zwei der fünf Gruppendritten berechtigt. Berlin spielt im Hin- und Rückspiel-Modus noch gegen Asseco Resovia Rzeszow (Polen) und Dukla Liberec (Tschechien).
Dass die Volleys vor Beginn die Italiener in die Favoritenrolle schoben, hat mit Volleyball-Grundfakten zu tun. Deren Nationalmannschaft holte in Rio de Janeiro olympisches Silber. Die Deutschen hatten sich nicht qualifiziert.
Civitanova schloss die vergangene Champions League als Dritter ab. Die BR Volleys schieden vorzeitig aus und entschädigten sich dann in der zweiten Pokal-Kategorie CEV Cup mit dem Finalerfolg unter merkwürdigen Umständen. Der russische Finalist Surgut Region hatte wegen ruchbar gewordener Dopingkontrollen auf den Einsatz von Leistungsträgern verzichtet.
Wenn der ungeschlagene Spitzenreiter der Volleyball-Bundesliga, Berlin, auf den mit zwei Niederlagen belasteten Tabellenersten der Serie A, Lube, trifft, ist dennoch nicht von einem Vergleich auf Augenhöhe auszugehen.
Denn die Serie A ist leistungsstärker einzuschätzen als die Bundesliga. Hinsichtlich der Leistungsdichte, der finanziellen Möglichkeiten – Gehälter etwa dreifach höher – und der öffentlichen Wahrnehmung. Zwei Begegnungen werden wöchentlich live im Fernsehen übertragen. Utopisch für deutsche Verhältnisse.
Gästetrainer Gianlorenzo Blengini hatte sich überlegt, mit dem französischen Libero Jenia Grebennikov und dem deutschen Nationalspieler Denis Kaliberda (Außenangriff) zwei Akteure aufzubieten, die sich mit den Berlinern auskennen. Grebennikov aus der Zeit zuvor in Friedrichshafen. Und Kaliberda, als Junior in den Reihen der Berliner, dann in Unterhaching, in Italien, eine Saison in Polen und nun wieder in Bella Italia, als häufiger Zuschauer oder Trainingsgast bei den Hauptstädtern.
Doch diese Taktik-Karte stach nicht. Weil aus der 7-er Startformation des Vorjahres bei den Volleys nun nur noch Kapitän und Außenangreifer Robert Kromm auf dem Feld stand.
BR-Trainer Roberto Serniotti, mit 54 zehn Jahre älter und damit erfahrener als sein Landsmann und Kollege auf des Gegners Bank, pokerte den Jüngeren damit aus.
Weil er im Gegensatz zum bisherigen Saisonverlauf zwei andere wichtige Positionen anders besetzte. Mit Wouter ter Maat statt Paul Carroll als Diagonal- und Hauptangreifer und Sebastian Kühner statt Tsimafei Zhukouski als Zuspieler.
Kaliberda, 26, 127 Länderspiele, nach einer Schulter-Operation noch nicht wieder bei 100 Prozent, vor allem in der Annahme ein Schwachpunkt, bestätigte: „Diese Aufstellung mit Kühner und ter Maat kam für uns überraschend. Aber er und ter Maat haben dann überragend gespielt.“
Vor allem diesen beiden sowie dann dem sich in der Annahme steigernden Kromm hatten es die Volleys zu verdanken, dass sie nach einer 2:1-Satzführung im vierten Abschnitt einen 12:16-Zwischenstand ausbügelten und mit einem Aufschlagass des Linkshänders Kühners den 3:1-Sieg vollendeten.
Kühner, 29, mit Ausnahme einer Saison immer im Berliner Aufgebot, markierte als Spielmacher neun direkte Punkte: Als bester Aufschläger allein fünf Zähler, drei direkte verwandelte Zuspiele sowie einen Blockpunkt!
Er akzeptierte klaglos die Rolle als zweiter Spielmacher hinter dem Tschechen Jaro Skach, dann hinter dem US-Amerikaner Kawika Shoji und nun hinter dem Kroaten Zhukouski. Er war beim WM-Dritten Deutschland 2015 zur Stelle, wenn der Stammzuspieler Lukas Kampa mal aussetzen musste.
Serniotti belohnte ihn jetzt mit der Startformation, nachdem Kühner zuvor in der Liga gegen den Rhein-Main-Rivalen zusammen mit ter Maat als Einwechsler die Weichen zum 3:1 gestellt hatte. Man darf gespannt sein, ob Kühner mit 29 das Etikett der „ewigen Nummer zwei“ nun abstreifen kann?!
Ein ähnlicher Karrieresprung könnte sich bei ter Maat ereignen. Der 25-jährige Niederländer wurde als Nummer zwei hinter dem Australier Carroll geholt. Jener ist 30, mit 2,05 m fünf Zentimeter größer, und auf der wichtigsten Angreiferposition seit 2011 unangefochten bei den Volleys. Hatte er mal einen schwächeren Tag, geriet das Erfolgsstreben der Mannschaft ins Wackeln. Eine echte Alternative zu ihm gab es bislang nicht bei den Volleys.
Mit der nunmehrigen Vorstellung des Holländers könnte sich bei Carroll alles ändern. Bis hin zum Abstieg in die Rolle als zweiter Angreifer. Ter Maats Leistung und Statistik-Werte vom Dienstag dürften Europas Scouting-Verantwortliche mit dicken Merkbalken versehen: Als bester Spieler der Partie stehen 28 Punkte! Als bester Angreifer 21, mit einer Erfolgsquote von mehr als 60 %. Mit vier Zählern empfahl er sich auch als erfolgreichster Blocker und schmetterte drei Aufschläge zu direkten Punkten!
Ter Maat arbeitete bis vor drei Jahren noch nebenher als Automechaniker, wurde 2014 in den Niederlanden Meister und Pokalsieger, war ein Jahr in Belgien und lief zu 17 Länderspielen auf. In Berlin trainiert er erstmals in seiner Karriere als Profi zweimal am Tage. Den Nachteil mit 2,00 m im Angriff eher klein zu sein, kompensiert er durch Wendigkeit, Sprungkraft, Dynamik, Übersicht und technische Raffinessen.
Seine Verpflichtung, vermutlich noch nicht einmal die finanziell teuerste in der umformierten Mannschaft, könnte sich für die Volleys im Saisonverlauf zu einem sogenannten „Königstransfer“ entwickeln. Zugleich die Gefahr, dass Vereine in reicheren Volleyball-Regionen diesen bisher kaum bekannten Komplettkönner am Netz fischen wollen.
Moment-Rückkehrer Denis Kaliberda hatte angekündigt, nebenbei seinen Kollegen etwas von Berlin zeigen zu wollen. Das dürfte angesichts der sportlichen Schlappe und des unfreundlichen Wetters wohl nicht passiert sein. Nicht gelungen war auch das Vorhaben, den höheren Leistungsstand seines aktuellen Klubs vorzuführen. „Berlin war heute einfach besser. Aber wir sind noch nicht gut genug eingespielt, hatten Abstimmungsprobleme. Das wird sich im Rückspiel ändern.“ Zumal die Volleys mit dem Duo Kühner/ter Maat nicht mehr den Überraschungseffekt auf ihrer Seite haben.