Frankfurt-Höchst, Hessen, Deutschland (Weltexpress). Barock am Main. Seit Jahren pilgern die Fans von Michael Quasts Open-Air-Festival in den Bolongaropalast nach Frankfurt-Höchst, um sich von hessischen Adaptionen Molierscher Stücke in Verzücken versetzen zu lassen.
Neue Spielstätte, neuer Autor
Doch plötzlich ist in diesem Jahr alles anders: Nicht nur die „location“ ist neu, denn der vertraute Bolongaropalast mit seiner idealen Drei-Flügel-Anlage war und ist zwar ein genialer genius loci doch bedarf er grundsätzlicher Sanierung. Also fand sich nach gründlicher Suche nach einer Alternative im gleichen Stadtteil in der berühmten Höchster Porzellanmanufaktur ein Ersatzspielort. Aber auch von Moliére wird Abschied genommen: Diesmal gibt es kein Drama des Franzosen, sondern eine Komödie nach einer Vorlage des Engländers Ben Jonson wieder in hessischer Mundart von Rainer Dachselt.
Der Alchemist
Drei Gauner, eine Geschäftsidee: Als der alte Herr von Humbracht sein Geschäft und die Stadt wegen der Pest verlässt, tut sich sein Verwalter mit einem Betrügerpärchen zusammen und macht in dem leeren Gebäude eine Alchemistenbude auf. Schnell spricht sich herum, daß in dem Haus wundersame Dinge vor sich gehen. Vom Weißen Gold ist die Rede, das sensationelle Kräfte verleihen soll. Bald steht halb Frankfurt Schlange und erhofft sich Reichtum, Macht und Liebesglück. Nur Herr Knodder bleibt skeptisch und versucht, dem Trio das Handwerk zu legen. In den zentralen Rollen: Ulrike Kinbach, Lil von Essen, Katerina Zemankova, Alexander J. Beck, Dominic Betz, Philipp Hunscha, Michael Quast und Matthias Scheuring. Regie: Sarah Groß.
Glückliche Mariage von Barockpalast und Quast´schem Ensemble
Für die Fans von Barock am Main ist es natürlich die zentrale Frage ob die Transplantation geglückt ist? Bleibt der Geist, die so glückliche Mariage von Barockpalast und Quast´schem Ensemble auch in der neuen Umgebung erhalten?
Was den veränderten Spielort betrifft, findet man statt der barocken Fassade eine schlichte aber beeindruckende Industriearchitektur von 1906, ebenfalls mit (kurzen) Seitenflügeln. Während aber der Bolongaropalast mit seiner Gartenfront ohne große Zutat eine komplette Kulisse abgab, so dass auf weitere Bühnenaufbauten weitgehenst verzichtet werden konnte, braucht dieser Ort mehr Bühne und Kulisse. Die gefundene Lösung ist spartanisch, aber völlig ausreichend und vor allem, sie wird phantasievoll genutzt.
Bester Comedia-del-Arte-Manier
Auch was die Textvorlage betrifft, muss man sich etwas umgewöhnen: Läuft die Handlung in Moliéres Komödien stringent auf die Entlarvung der jeweiligen Heuchler und gierig-lüsternen Vormündern hin, so steht ein solches Ende beim „Alchimisten“ zwar im Raum, aber nicht im Vordergrund. Gespielt wird ausführlich in vielen, vehement aufeinander folgenden Szenen in bester Comedia-del-Arte-Manier mit den menschlichen Schwächen der Bürger, ihrer Gier und ihrer im Zweifelsfall sehr flexiblen Moral. Kaum noch zu loben braucht man die geniale Maske und die phantasievollen Kostüme der Darsteller, die allein schon ein barockes Feeling vermitteln. Die Truppe agiert mit solcher Spontaneität und Spiellust, dass man auch bei „Texthängern“ – die sofort in witziger Interaktion mit der Souffleuse behoben werden – nicht sicher ist, ob diese nicht geplanter Teil der Inszenierung sind.
Das Ende lässt das Gaunertrio ungeschoren davonkommen, genießen doch der Alchemist und seine Kumpane die Sympathie der Zuschauer, während die betrogenen Bürger kein Mitleid erregen und somit auch betrogen bleiben.
Wer also mit Befürchtungen dem Premierenabend entgegensah, nicht zuletzt auch wegen des Wetters, wurde angenehm enttäuscht. Denn neben einem kurzweiligen und fröhlichen Theaterabend hat der „Alchemist“ ein weiteres Kunststück vollbracht: Waren die Tage vor der Premiere noch durch Dauerregen geprägt, zeigte sich der Premierenabend warm, trocken und sogar von etwas Sonne verwöhnt.
* * *
Vorstellungen bis zum 20. August 2017 – nähere Informationen und Tickets auf der Webseite von Barock am Main.