Kiew, Ukraine (Weltexpress). Am Dienstag, den 30. Mai 2017, wurde auf einer Veranstaltung in einem Hotel in Sichtweite der Rada, des Parlaments in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, über „das tödliche Geschäft mit der Blutwäsche“ im zweitgrößten Staat Europas informiert. Geladen hatten Aktivisten und Ärzte, Patienten und Politiker, um ihre Vorwürfe, dass tödliche Geschäfte mit der Blutwäsche in der Ukraine betrieben werden würden, zu erneuern und die Behauptungen zu belegen.
Seit Monaten beschweren sich vor allem Betroffene, Bekannte, Verwandte und Freunde von Betroffenen über tödliche Geschäfte mit der Blutwäsche. Seit Monaten richten Aktivisten ihren Protest auch gegen die B. Braun Melsungen AG.
Sie beklagen sich darüber, dass der deutsche Konzern mit Sitz im Hessischen Melsungen bei der Eroberung des ukrainischen Marktes die Samthandschuhe aus- und die Boxhandschuhe angezogen hätte und über Leichen gegangen sei.
Korruption in der Ukraine
Vorwürfe der Klüngelei und Korruption wurden erhoben. Das wundert wenig. Laut dem Internationaler Korruptionsindex für das Jahr 2016, der von Transparency International erhoben und im Volksmund prägnant Bestechungsindex genannt wird, rangiert die Ukraine auf dem letzen Platz aller Länder Europas. Außerdem wurde erklärt, dass das deutsche Unternehmen nach dem Rockefeller-Prinzip vorgegangen sei.
Das Rockefeller-Prinzip
John Davison Rockefeller soll als Mitbegründer einer anfangs kleinen Erölraffinerie, aus der 1870 die Standard Oil Company wurde, die zu ihrer Zeit der weltweit größte Erdölraffinerie-Konzern war, Öllampen kostenlos oder äußerst günstig an den Verbraucher gebracht haben, um über die unvermeidlichen Käufe von passendem Lampenöl einen dauerhaften Absatz seines Öls sicherzustellen. Rockefeller ging clever und scheinbar smart vor. Auf seine Art wurde er einer der reichsten Männer der Welt und begründete die Rockefeller-Dynastie. Sein Prinzip fand schnell Nachahmer.
Hausfrauen und Hausmänner wissen davon ein Lied zu singen. Kaffeemaschinen werden beinahe verschenkt, die Kaffeekapseln jedoch teuer verkauft. Das Geschäft mit den Maschinen und Kapseln für Kaffee bedeutet einen niedrigen Einstieg mit hohen Folgekosten für Verbrauchsmaterial. Auch in Büros kennt jeder günstige Tintenstrahldrucker und teure Patronen.
Marketingprofessor Karsten Kilian von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt erklärt das Geschäftsmodell mit einfachen Worten: „Ein Produkt wird günstig verkauft, löst aber Folgekosten aus, über die das Unternehmen einen Großteil seiner Gewinne erzielt.“ Die Liste von Produkten mit hohen Folgekosten ist lang und reicht in die Pharma- und Medizinbranche.
Die BI “Patienten der Ukraine“
Andre Chodakowski, einer der ukrainischen Aktivisten, mit dem ich in Kiew sprach, unterstellt dem Global Player B. Braun, das zur Königsklasse deutscher Unternehmen zählt, genau dieses Vorgehen. Mit seiner Sparte B. Braun Avitum sei B. Braun laut Wikipedia „einer von drei weltweit tätigen Komplettanbietern bei extrakorporaler Blutbehandlung“. Die B. Braun Avitum AG, welche diese Sparte als eine von vier Bereichen abdeckt, hat ihren Sitz im sächsischen Radeberg. Hat das tödliche Geschäfte mit der Blutwäsche in Hessen oder in Sachsen seinen Sitz? Oder machen sich beide Aktiengesellschaften die Finger nicht schmutzig, klebt an deren Händen kein Blut, weil sie diese nicht im Spiel um die Gesundheit unzähliger Menschen und gleichzeitig gigantische Geldbeträge haben?
B. Braun und dei Medical Group Ukraine
In „Junge Welt“ (11.05.2016) berichtet Yunus Cetin darüber, dass B. Braun in der Ukraine „eine Monopolstellung bei Dialysegeräten“ anstrebe. Cetin schreibt, dass der deutsche Konzern vor Ort von der Medical Group Ukraine (MGU) vertreten werde. MGU habe „Braun-Dialysegeräte kostenlos an viele Krankenhäuser der Ukraine geliefert, „um diese dann mit dem Bezug von Verbrauchsmaterial für die Blutreinigung finanziell an die Kette zu legen“.
Aufgefallen sei das, als „in der Stadt Shitomir, westlich von Kiew, nahezu neuwertige Dialysegeräte der Konkurrenz gegen die von Braun getauscht wurden und die wesentlich teureren Betriebsmittel der Deutschen plötzlich das MGU-Etikett trugen. Als „der Tod von zwanzig Patienten in Dnepropetrowsk, die mit Braun-Dialysegeräten und MGU-Verbrauchsmitteln behandelt worden waren“ bekannt wurde, engagierten sich die Betroffenen, bildeten eine Bürgerinitiative (BI). In Kiew gibt es die BI “Patienten der Ukraine“.
Die Pressekonferenz in Kiew
Vertreter dieser und weiterer BI`s aus Kiew, Saporoshje und anderen Orten der Ukraine versammelten sich am Dienstag, den 30. Mai 2017, im nahe dem ukrainischen Parlament gelegenen Hotel Kiew. Über Skype wurden BI-Vertreter aus Lwiw (Lemberg) und Krywyj Rih zugeschaltet.
Unter den Anwesenden war Andre Chodakowski aus Saporoshje, der die Veranstaltung leitete. Er verwies darauf, dass er seit zehn Jahren als Analyst und Einkäufer von Medikamenten für den ukrainischen Staat arbeite und Original- von Nachahmpräparaten zu unterscheiden wisse.
Chodakowski kennt sich also aus in der Branche und bei den Bürgerinitiativen, ist bekannt mit Ärzten und Patient, Politikern und Vertretern. Er sprach auf seine ruhige und besonnene Art von verheerenden, mutwilligen Fehlern, die im staatlichen Einkauf von medizinischen Produkten geschehen würden.
Chodakowski berichtete davon, dass die Hardware für die Blutwäsche den Einrichtungen der Dialyse geschenkt oder zu einem symbolischen Preis von beispielsweise einer Hrywnja vermietet werden würden. Das entspricht einem Preis von umgerechnet 0,03 Euro. Das ist noch nicht einmal ein symbolischer Preis. Das ist nichts.
Klassischer Kuhhandel und Nebenabsprachen
„Für die Hardware brauchen die Einrichtungen Software“, erläuterte Chodakowski. Die Einkäufer dieser Software würden ihren Bedarf ausschreiben und um Angebote bitten. Dann würden sich Firmen – Chodakowski nennt Bilimed, Topservice Medtechnika und Rumed Medical BBM beim Namen – melden und Angebote abgeben. Darunter müssten auch Garantieerklärungen sein, aus denen hervorgehe, dass der Anbieter die bestellte Ware in ausreichender Menge, fristgerecht und in entsprechender Qualtität liefern könne.
Chodakowski: „Bei diesen Ausschreibungen kommt es zum Kuhhandel.“ Nebenabsprachen würden getroffen werde, erklärt der engagierte, erfahrene und gebildete Mann, der weiter behauptete, dass sich Bewerber gegen Geld und geldwerte Leistungen von Ausschreibungen zugunsten von Konkurrenten zurückziehen würden. B. Braun würde über die GoodLuck GmbH mitmischen, die eine Generalvollmacht vorgelegt habe und in der Ukraine über Tochterfirmen agiere. Die würden nicht nur Verbrauchsmaterialien nicht wie versprochen liefern, sie würden auch die Geräte nicht wie zugesagt warten.
Handlanger von B. Braun?
Um seine Aussagen zu untermauern werden während Chodakowski ausführlich sprach mithilfe eines Beamer Unterlagen an die Wand projiziert. Chodakowski, der die ganze Zeit frei sprach, baute diese Bilder in seine Rede ein. Er erklärt, dass die handelnden Personen vor Ort als Handlanger von B. Braun wahrgenommen werden würden.
Geliefert würde beispielsweise Verbrauchsmaterial aus Ägypten und nicht aus Deutschland. Überall wo die „Handlanger von B. Braun“ auftauchten, sei früher oder später nicht zugesagtes Material „von unbekannter Herkunft“ und „schlechter Qualität“ geliefert worden. Danach sei es Patienten schlechter gegangen.
Bilder von Patienten aus verschiedenen Oblasten der Ukraine wurden gezeigt, Patienten wie Sergej Wladimirowitsch Makarenko aus Saporіschschja und Oleg Petrowitsch aus Schytomyr meldeten sich zu Wort und erzählten ihre Geschichte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde die Stimmung im Saal des Hotels Kiew bedrückend.
Von Dialysegeräten, deren Nutzung abgelaufen sei, von Verbrauchsmaterialien aus türkischen Herkunft und Filtern aus Ägypten, von Röhren, die platzen, und Blut, das fließt, war die Rede.
Belogene und Betrogene ergriffen das Wort
Patienten ergriffen das Wort und schilderten, wie sie von Juckreizen geplagt würden und sich ständig kratzen müssten. Knötchen würden sich unter der Haut bilden.
Während die einen sprechen heben die anderen ihre Hände und Arme als Beweis in die Höhe.
Von falscher Handhabung der Geräte wurde berichtet und von schmutzigem Wasser, das für die Blutwäsche benutzt würde. Das klingt bitte. Die Zustände scheinen schlimm zu sein.
„Deswegen würden die Proteste gegen die Skandale zunehmen“, resümiert Chodakowski.
Dass die Dialyse-Patienten Lösungen für die Probleme und Hilfe auch aus Deutschland, das wurde an diesem Dienstag in Kiew klar.
Was will Andre Chodakowski?
Von den Deutschen, von B. Braun erwartet Andre Chodakowski, dass sie ihre Geschäftsbeziehungen in die Ukraine in Geschichte und Gegenwart offenlegen. Er verlangt eine Liste der offiziellen Repräsentanten des Branchenriesen. Wichtig sind ihm und offensichtlich allen Anwesenden, dass für die Apparate von B. Braun auch die Verbrauchsmaterialien von B. Braun genutzt werden und keine Generika.
„Offenlegung der Strukturen und Original- statt tödlicher Billigprodukte“, darum gehe es, sagt er und erklärt den Unterschied zwischen Original- und Billigprodukten damit, dass ein Mercedes, dem man Reifen von Moskwitsch andrehe, schlechter fahren würde.
Bei der Dialyse, einem Blutreinigungsverfahren, das bei Nierenversagen als Ersatzverfahren zum Einsatz komme und umgangssprachlich Blutwäsche genannt werde, sei das nicht anders, ist sich Chodakowski sicher.
Er wünscht sich, dass B. Braun endlich Verantwortung zeigt, in Kiew mit den Betroffenen in einen Dialog tritt oder aus der Ukraine verschwindet.
Das stand auch auf einem Plakat: „B. Braun – Raus aus der Ukraine“.
Wie werden die deutschen Herren aus Radeberg und Melsungen auf die Vorwürfe und Forderungen aus der Ukraine reagieren?