Also nicht als Widerständler gegen seine Zeit, sondern doch eigentlich ziemlich angepasst an die Antiautoritären. Zuvor hatte er nach der Militärzeit bei der Deutschen Wehrmacht in Wien Geschichte und Deutsch studiert, auch abgeschlossen, er arbeitete als Zeichenlehrer und als Zeichentherapeut und hängte ein Kunststudium dran. 1961 begegnet er Hermann Nitsch. Und das war`s dann. Seine eigenen Gedanken und künstlerischen Umsetzungen treffen auf die von Nitsch und Frohner und alle drei lassen sich im 20. Bezirk einmauern und verfassen das gemeinsame Manifest „Die Blutorgel“. Ein Jahr später wird in seinem Atelier die erste Öffentliche Veranstaltung des Wiener Aktionismus mit dem „Fest des psycho-physischen Naturalismus“ gefeiert, das die Polizei abbricht und ihn vierzehn Tage in Arrest steckt.
Wir machen einen Sprung. Otto Muehl wird einer der bekannten österreichischen Aktionskünstler, seine Werke werden gut verkauft und er umgibt sich im Burgenland mit von ihm Abhängigen, Kindern und Frauen und devoten Männern, die zum Guru aufschauen. Nicht alle. Denn zunehmend wird die Kommune von „Abtrünnigen“ angeschwärzt, wie die Befürworter meinen. Heute ist es schmählich, in welchem Ausmaß das öffentlich toleriert wurde – oder noch schlimmer, als ’freie Sexualität` bezeichnet wurde -, wessen Muehl dann erst 1988/89 angeklagt wird und nach 21 Jahren Kommune – diese wird aufgelöst – am 4. November 1991 verurteilt wird: sieben Jahre Haft wegen „Unzucht mit Unmündigen“, „Beischlaf mit Unmündigen“, „Vergewaltigung“ und „Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses“. Nach sechseinhalb Jahren wird er entlassen, ungebeugt, wie er findet, ohne Unrechtsbewusstsein und ohne Entschuldigung gegenüber seinen Opfern, meinen andere. Seit 1998 lebt Muehl mit rund 20 Anhängern dann in Portugal.
Gemalt hat er immer, Aktionstheater weitergeführt und seit dem Jahr 2002 mit der Computermalerei angefangen. 2004 findet dann im Wiener MAK eine Retrospektive „Leben/Kunst/Werk Aktion Utopie Malerei 1960-2004“ statt. Muehl arbeitet in Portugal weiter und bevorzugt auch weiterhin trotz oder wegen einer fortschreitenden Parkinson-Krankheit die „Electricpainting-Filme“, wo er am Computer bemalte Digitalfotos von Aktionen zu Filmen schneidet. Thema: Er selbst und sein Alltag in der Gruppe. Dieses Jahr wurde nun Otto Muehl 85 Jahre alt und das Leopold Museum zeigt aus seiner eigenen Sammlung die angekauften Werke. Warum dieser ganze Sermon vorangestellt ist, statt mit dem Eigentlichen bei Kunstausstellungen, den Werken zu beginnen? Weil die Ausstellung mit einer Vorbemerkung an der großen Eingangswand anfängt, derzufolge sich Otto Muehl – endlich und erstmalig– bei seinen Opfern entschuldigt. Das hat uns ins Grübeln gebracht. Nämlich darüber, wem damit geholfen ist. Denn ernstgemeint, kann dies nicht in Form eines Briefes erfolgen, der dann an der Museumswand hängt. Ernstgemeint kann man sich für das, was Otto Muehl jahrzehntelang mit Menschen veranstaltete, gar nicht entschuldigen. Die Frage ist ganz einfach die, ob die Kunst des Otto Muehl es aufwiegt, mit seinen moralischen und strafrechtlichen Verwerfungen zur Tagesordnung überzugehen. Und in dieser Frage kann es keine Mehrheitsmeinung geben, die kann nur jeder für sich selbst beantworten.
Kunst hat mit kriminellem Handeln meist mehr zu tun, als die Leute ahnen. Und wer Künstler kennt, ihre Eitelkeiten, ihre Empfindlichkeiten, woher sie unter Umständen den Kick beziehen, aus dem heraus ihr schöpferisches Tun resultiert, der läßt eh die Finger davon, Kunst und Leben eines auf einen bürgerlichen Nenner zu bringen. Auch auf einen unbürgerlichen. Uns hat immer das Leben des Benvenuto Cellini unter diesem Aspekt fasziniert. Und da meinen wir ganz offen, dass man den Menschen als Verbrecher bezeichnen kann und seine Kunst genial. Hier reden wir von Cellini. Diese Qualität kann Muehl nicht bringen. Wird endlich Zeit etwas über die Ausstellung zu sagen, in der rund 100 Werke zu sehen sind, fast alle aus der 240 Exponate umfassenden Privatsammlung von Rudolf Leopold. Zusammengekommen sind so unter der zeitlichen Maßgabe „1962-2000“ achtzig sehr großformatige Öl- und Acrylgemälde sowie ca. 20 Papierarbeiten, von denen das Museum darauf aufmerksam macht, „daß die Otto Muehl-Ausstellung offen sexuelle Motive und Darstellungen von Perversionen sowie von brutalster Gewalt enthält, und darüber hinaus bei zwei Exponaten die Gefahr besteht, auch religiöse Gefühle zu verletzten.“ Fortsetzung folgt.
Bis 4. Oktober 2010
Katalog: „Otto Muehl. Sammlung Leopold“, Christian Brandstätter Verlag 2010. Wer Kataloge kauft, weiß meist warum. Die einen wollen ihr Erlebnis konservieren, auch Dingen nachspüren, Bilder vertiefen oder eben die wissenschaftliche Aufbereitung der künstlerischen Werkes dessen, um den der Katalog kreist, verfolgen. Bei diesem Katalog und bei diesem Künstler kommt noch dessen Skandallebensweg dazu, wobei auch auf den Anlaß der Gefängnisstrafe, der Mißbrauch von Kinder, Jugendlichen, Frauen, überhaupt Menschen eingegangen wird, vor allem aber versucht wird, davon das Künstlerische abzutrennen. Was nicht einfach ist, weil ja das Sexuelle auch Thema der Kunst bleibt. Uns hat vor allem interessiert, was Diethard Leopold über die Motive des Sammlers Leopold schreibt und was dieser alles unternommen hat, um Muehls Werke für seine Sammlung sichern zu können.
Die Gemälde und Drucke selbst sind hervorragend wiedergegeben, wobei das alte Problem bestehen bleibt, dass die Größe auf dem DIN A 4 Blatt keine Vorstellung über die tatsächliche Größe imaginieren kann, weshalb es wichtig ist, sich die hinzugefügten Angaben der Zentimeter zu Gemüte zu führen. Ganz sicher leben Muehls Bilder auch von ihrer Größe, denn im kleinen Format verlieren selbst die Farben ihre Gewalt.
Reiseliteratur:
Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!
Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.