Am stärksten unter ihnen sind die Kinder. Die kleine Azy (Elika Bozorgi) und ihr Bruder Arman (Sina Saba), die ihr Onkel Ali und dessen Freund Merdad über die iranische Grenze schmuggeln, um sie zu ihren Eltern nach Österreich zu bringen, und Kian (Kamran Rad). Seine Eltern Lale (Behi Djanati Atai) und Hassan (Payam Madjlessi) fahren im selben Auto wie Ali und die anderen in die Türkei nach Ankara. Sie kommen in demselben schäbigen Hotel unter wie der lebensfrohe Kurde Manu (Fares Fares) und dessen stoischer Freund, der politische Flüchtling Abbas (Said Oveissi). Die sicher geglaubten Visa erweisen sich als schwer zugänglich. Das Ersparte der Flüchtlinge schwindet rasch, ebenso ihre Hoffnung. Manu schwindelt seinen Verwandten vor, er lebe gutsituiert in Deutschland, Hassan bringt es nicht über sich, seiner Frau von der Ablehnung ihres Einreiseantrags zu erzählen.
Dem Leben in Angst vor dem Staat im Iran folgt ein Leben in Angst vor der Ausweisung im Gastland. Pointiert visualisiert “Ein Augenblick Freiheit” diesen Schwebezustand durch die Schwanenfeder. Sie weht durch den Raum, in dem Manu und Abbas aus Hunger einen Schwan geschlachtet haben. Die Polizei durchsucht die Wohnung nach Hinweisen auf die unerlaubte Schlachtung und wedelt unbemerkt die Feder herum. Eine Feder genügt dem intensiven Drama, um ein Höchstmaß an Spannung zu erzeugen. In der Anschlußszene sitzen die Kinder in einer Schwanengondel auf einem Rummelplatzkarussell. Freude und Leid lösen einander ab. Zufall und günstige Umstände entscheiden über das Schicksal der Menschen. Melodramatik und Sentimentalität spielen in “Ein Augenblick Freiheit” keine Rolle. Nur um die titelgebenden Worte geht es, die verzweifelte Suche nach diesem besonderen Gut, und um das innere Zerbrechen, welches die Vergeblichkeit dieser Suche für manche der Charaktere nach sich zieht.
Die gelungensten Momente sind jene, in denen Arash T. Riahis in “Ein Augenblick Freiheit” das Geschehen aus Sicht der drei Kinder visualisiert. Der Regisseur und Drehbuchautor verzichtet klugerweise auf abgeschmackte Kulleraugengroßaufnahmen. Stattdessen betont er die hintergründige, reflektierende Interpretation der Ereignisse durch die Kinder. Halb wissend, halb unverständig sind sie selbstbewusst, wenn die Erwachsenen sich fürchten und kritisch, wenn die Erwachsenen optimistisch sind. Geschickt hält Riahi in seiner Inszenierung die Balance zwischen Komik und Tragik. “Super”, sagt der kleine Arman, als der iranische Geheimdienst den mit Merdad inhaftierten Kindern droht, sie seien als nächste dran. Darf ein Teil der Protagonisten nach langem Kampf schließlich in ein westliches Land einreisen, murrt eines der Kinder, es wolle wieder nach Hause. In solchen realistischen Szenen, hebt “Ein Augenblick Freiheit” mit leisen Tönen die Zwiespältigkeit der Gefühle der Immigranten hervor. Der Preis für das sichere Leben in der Freiheit ist die Sehnsucht nach der Heimat und den zurückgebliebenen Verwandten. Das Ausmaß der Unterdrückung, welche die Protagonisten im Iran erdulden mussten, vermittelt sich in ihrer Reaktion auf den Alltag in der liberaleren Türkei. Von der Verhüllten wird Lale zur attraktiven Frau, die erst ihr Haar enthüllt und schließlich eine figurbetonte Bluse anprobiert. Ihr Mann ist glücklich, sie auf offener Straße küssen zu dürfen, ohne verhaftet zu werden. Musik hören, tanzen, eine Freundin haben, bedeutet für Merdad eine neue Welt.
Ob die Neuankömmlinge in Europa das “Leben ohne Sorgen”, wie es Hassan seiner Frau verspricht, erwartet, zeigt “Ein Augenblick Freiheit” nicht. Dieses ersehnte unbeschwerte Dasein ist eher ein Konstrukt, an welches sich die Auswanderer klammern, um die psychischen und emotionalen Strapazen ertragen zu können. Trotz der Tragik spricht keine Hoffnungslosigkeit aus “Ein Augenblick Freiheit”. Das Flüchtlingsdrama beruft sich nicht auf die Flucht als einzigen Ausweg, sondern schließt mit trotzigem Mut, der Flucht nach vorn in dem Entschluss, für die ersehnte Freiheit in der iranischen Heimat zu kämpfen. “Eine Liebeserklärung an das Leben”, nennt Riahi seinen Film “Ein Augenblick Freiheit“ : “Denn Freiheit bedeutet Leben.”
Titel: Ein Augenblick Freiheit
Start: 13. August
Regie und Drehbuch: Arash T. Riahi
Darsteller: Navid Akhavan, Pourya Mahyari, Elika Bozorgi, Sina Saba, Payam Madjlessi
Verleih: Film Kino Text
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