In einer Collage aus Grillparzertext mit englischen und deutschen Einsprengseln besingt Mewes die unheilvollen Landungen der Griechen in Kochis, berichtet von der großen Liebe zwischen Medea und Jason und stirbt blutüberströmt.
Der Geist des Absyrtus ist später noch häufig auf der Bühne anwesend, und übernimmt in einem Dialog mit Medea den Text der Amme Gora, die in dieser Inszenierung nicht mitspielt.
Die Erwartung, Absyrtus werde am Schluss noch einmal zur Gitarre greifen und mit einer weiteren Komposition von Karsten Riedel das finale Blutbad dramatisch schildern, erfüllt sich allerdings nicht.
Regisseur David Bösch und sein Dramaturg John von Düffel haben eine knappe, pointierte Textfassung erstellt als Grundlage für eine spannende, temporeiche und unterhaltsame Inszenierung, die jedoch nicht zur vorgegebenen Katastrophe, sondern zu einem seltsamen open end führt.
Am Schluss erscheint Jason mit zwei blauen Kinderkoffern und zwei Paar roten Gummistiefelchen, setzt sich, stellt Koffer und Stiefel neben sich und schaut ruhig und erwartungsvoll in die Ferne, so als habe er sich nun doch entschlossen, seine Söhne mit Medea abreisen zu lassen oder sie vielleicht sogar selbst zu begleiten.
Ermordete jedenfalls werden nicht beklagt, und nachdem das Licht ausgegangen war, verharrte das Premierenpublikum eine Weile in ratlosem Schweigen. Als das Stück dann tatsächlich nicht fortgesetzt wurde, folgten stürmischer Applaus und Bravorufe.
Medea und Jason, die zentralen Figuren des Stücks, erscheinen in David Böschs Inszenierung als die einzigen Menschen inmitten von karikaturenhaft überzeichneten Typen.
Sven Lehmann gestaltet Kreon brillant als machtbesessenen Tyrannen, doppelzüngig und gefährlich, ein groteskes Monster. Vor ihm kuscht sogar der Herold (Stephan Richter). Der Inhaber heiligen Amtes verliert seine Haltung unter Kreons befehlendem Blick, und der zunächst würdevoll vorgetragene Bannspruch über Jason und seine Familie endet in kläglichem Stottern.
Claudia Eisinger als Kreons Tochter Kreusa ist eine arglose junge Frau, die für alle Menschen Gutes im Sinn hat und für Jason, den Freund aus Jugendtagen, schwärmt. Da Kreusa selbst nicht genau weiß, was sie will, lässt sie sich widerstandslos als Ware in den Geschäften ihres Vaters vermarkten.
Zwischen Medea und Jason spielen sich Szenen einer Ehe ab, die trotz der kunstvollen Sprache von Grillparzer heutig erscheinen.
Das Paar, dereinst leidenschaftlich verbunden, hat sich auseinandergelebt, und unter dem Druck schwieriger Verhältnisse kommen längst schwelende Konflikte zum Ausbruch. Die Liebe ist den Beiden nicht ganz abhanden gekommen, wie die Umarmungen beweisen, die immer wieder die Streitigkeiten unterbrechen. Dennoch scheint die Trennung, vor allem durch den Druck von außen, unabwendbar, und die Frau und der Mann kämpfen unerbittlich um das Sorgerecht für die Kinder.
Jason (Alexander Khuon) erscheint sensibel und grüblerisch. Dass er einmal ein strahlender, unbekümmerter Held gewesen sein soll, ist fast nicht zu glauben. Allerdings hätte er seinen Ruhm ohne Medeas tatkräftige Hilfe nicht erwerben können. Nun ist die starke Frau an Jasons Seite zur Verfolgten geworden, wird als Verbrecherin geächtet, und Jason wird in diesem Sturz mit hinabgezogen.
Jason ist nicht mutig genug, um sich schützend vor die bedrohte Medea zu stellen. Er fürchtet sich davor, mit ihr unterzugehen. Sein schlechtes Gewissen beschwichtigt er mit Vorwürfen gegen Medea, die sich ihr Unglück, an dem er nicht teilhaben will, allein selbst zuzuschreiben habe.
Katrin Wichmanns Medea ist eine starke Frau. Mit ihrer Geradlinigkeit und Warmherzigkeit passt sie nicht zu den kalten, verlogenen Menschen, bei denen sie vergeblich Asyl zu finden hofft.Kostümbildner Falko Herold hat Medea unattraktiv ausgestattet mit einer Art Unterrock, unter dem der Spitzenbesatz eines weiteren Unterrocks hervorschaut und einer grauen Strickjacke. So armselig bekleidet bleibt Medea bis zum Schluss, während Jason, in Kreons Gunst aufsteigend, seine Montur aus der Kleiderkammer gegen eine schicke Hose mit Ledergürtel und ein blütenweißes Hemd austauscht.
Nicht nur Jason, auch Medeas Kinder wenden sich von ihr ab, als sie aufgefordert werden, sich für ein Elternteil zu entscheiden. Sehr ausdrucksvoll in ihrem stummen Spiel geben die Jungen Astor Schneider und Elias Abouchabaka zu erkennen, dass sie sich vor der auf den Knien liegenden, verzweifelt flehenden Mutter fürchten und sich lieber zum Vater, auf die sichere Seite, schlagen.
Der Hass Medeas auf ihre eigenen Kinder wird durch diese Szene verständlich, auch wenn dieser Frau, die alles verloren hat, die Ausführung eines geplantes Mordes kaum noch zuzutrauen ist.
Das Bühnenbild von Patrick Bannwart zeigt zu Beginn ein Firmament voller Sterne im Nebel. Dann werden die Sterne erkennbar als kleine Lampen, die in unterschiedlicher Höhe an Schnüren herabhängen. An den Rändern des riesigen Bühnenraums ist Gerümpel gestapelt: Zerbrochene Säulen, Skulpturen von Rehen, der Tiere, die Medea in Kolchis zu opfern pflegte, bis hin zu modernen Gartenstühlen. Darüber weht der Staub der Jahrtausende, den David Bösch mit seiner Inszenierung kräftig aufgewirbelt hat.
„Das Goldene Vließ“ von Franz Grillparzer hatte am 16.10. Premiere am Deutschen Theater Berlin. Weitere Vorstellungen:23. und 28.10. und 01., 03., und 30.11.2009.