Unterdessen berichteten australische Medien, daß eine der beiden schwedischen Zeuginnen gegen Assange Skandinavien verlassen hat. Der Nachrichten-Website Crikey.com zufolge hält sich Anna Ardin, die den inzwischen in London inhaftierten 39jährigen bei der Polizei in Stockholm wegen sexuellen Fehlverhaltens am schwersten belastet hatte, im palästinensischen Westjor danland auf, wo sie in einer christlichen Gruppe mitarbeite. Tatsächlich legen Ardins jüngste Beiträge auf ihrem Internetblog nahe, daß sie sich in der Nähe des palästinensischen Dorfes Yanoun befindet. Sie hat sich laut Crikey.com bereits vor Wochen geweigert, der schwedischen Polizei weiterhin bei deren strafrechtlichen Ermittlungen gegen Assange zu helfen.
Die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Ardin hat den Berichten zufolge nicht nur die Ausfertigung des von Schweden ausgestellten internationalen Haftbefehls verzögert, sondern erklärt auch, warum die britische Staatsanwaltschaft Assanges Verteidiger immer noch keine Beweise zur Rechtfertigung des Haftbefehls vorlegen kann. Dieses dürfte sich auch zukünftig als schwierig erweisen. Die schwedische Polizei ermittelt nämlich gegen den 39jährigen nicht wegen Vergewaltigung, wie fälschlicherweise berichtet, sondern wegen des Verstoßes gegen einen spezifisch schwedischen Gesetzesparagraphen: Demnach ist es verboten, ohne beiderseitiges Einverständnis beim Geschlechtsverkehr auf die Benutzung von Kondomen zu verzichten. Assange – so der ursprüngliche Vorwurf der beiden Frauen – habe sie jedoch übertölpelt. Aus Angst vor einer Infizierung mit dem HI-Virus waren sie zur Polizei gegangen und hatten Anzeige erstattet.
Da die AIDS-Tests negativ ausfielen, war die Untersuchung gegen Assange schließlich von der Stockholmer Polizei wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Erst einige Wochen später sei sie dann auf Betreiben eines Staatsanwaltes, wahrscheinlich mit der US-Botschaft im Hintergrund, wieder aufgenommen zu werden. Der Rest ist bekannt. Allerdings dürfte auf dieser Rechtsgrundlage eine Auslieferung von Assange an Schweden schwer durchsetzbar sein, da dessen Tat nach britischem Recht nicht strafbar ist.
Die USA hätten im übrigen bei einem an Großbritannien gestellten Auslieferungsantrag mit dem gleichen Problem zu tun. Offensichtlich wird versucht, dieses zu umgehen: So berichtete die New York Times (7.12.), daß das Justizministerium in Washington »kreativ« daran arbeitet, mit Hilfe eines juristischen Spionagekonstrukts den unbequemen Enthüller doch noch hinter Gitter zu bekommen.
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Erstveröffentlichung in junge Welt am 11.12.2010, Seite 2.