Berlin, Deutschland (Weltexpress) So sieht ein Stück typisches Berlin aus: Ein kaiserlicher Backsteinbau – und direkt benachbart die Moderne aus Beton, Stahl und viel Glas.
Wer die Landsberger Allee lang fährt, übrigens Berlins zweitlängste Straße (10,903 km) nach dem Adlergestell (13,034 km), begegnet solchem Architektur-Mischmasch mehrfach. Von Mitte kommend und damit gen Osten fahrend etwa in Friedrichshain, vor dem Klotz des Hotels Vienna House („Andels“) an der Ecke Storkower Straße. Direkt am S-Bahn-Ring und seinem Bahnhof Landsberger Allee.
Da wird an drei prächtigen Backsteinhallen (unter Denkmalschutz) gewerkelt, die im Innern nach Fertigstellung vielfache Attraktion sein werden – mit Boutiquen, Klasserestaurants und Fitnesseleganz. Dahinter, ebenso noch im Ausbau, die Moderne in Schwarz, Glas und Stahl.
Die drei bildschönen „Backsteine“ sind die letzten Überbleibsel des einst größten Vieh- und Schlachthofes Europas – und der ist einer Betrachtung wert.
Das Areal mit Schlachthäusern, Ställen, Weiden, Markthallen und riesigem Bahngelände ging im April 1883 in Betrieb. Es war ein kilometerlanges Rechteck. Seine Dimensionen belegen am besten einige Zahlen:
- an den Viehrampen konnten gleichzeitig fünf Züge mit jeweils 400 Meter Länge entladen werden,
- die Gleisanlagen waren 15,5 Kilometer lang,
- nach dem Entladen wurden pro Stunde bis zu 50 Waggons gereinigt,
- im ersten Geschäftsjahr wurden 126 347 Rinder, 392 895 Schweine, 111 937 Kälber und 650 060 Hammel verarbeitet.
Kein Zweifel: Die Bevölkerung damals war ausgesprochen „fleischfressend“. Zweifelsfrei auch ist dies: Auf diesen rund 50 000 Hektar floss unheimlich viel Blut, das Tiergebrüll und der Gestank belästigte die umliegenden Wohngebiete drastisch.
Die Geschäfte stagnierten während des Ersten Weltkriegs. Sie explodierten förmlich danach, so dass auch noch ein Areal nördlich der Landsberger Allee erworben wurde – da entstand später die Werner-Seelenbinder-Halle. Heute sind hier Velodrom und Schwimmhallen zu finden. Damit hatte das Schlachthofgelände zwei S-Bahnstationen – die Landsberger Allee und die namens „Zentralvieh- und Schlachthof“, heute Storkower Straße. Auch diese Tatsache, dass der Schlachthof zwischen zwei weit auseinander liegenden Bahnhöfen lag, spricht für die entsprechenden Dimensionen.
Im Zweiten Weltkrieg fielen große Teile der Gebäude den Bomben zum Opfer. Etwa 80 Prozent wurden zerstört. Noch intakte Hallen dienten der Roten Armee bis 1948 als Zwischenlager für Reparationsgüter – wie die auf vielen Strecken in der Sowjetzone Deutschlands abgebauten zweiten Eisenbahngleise. Auch Beutekunst wurde hier zwischengelagert. Und zwar solange, bis sie auf die zeitweise installierten Breitspurgleise der Russen nach Leningrad verfrachtet werden konnten. Zu DDR-Zeiten wurde auf dem Gelände die „volkseigene“ Fleischverarbeitung sesshaft – aber Gestank und Lärm wurden so unerträglich, auch auf den S-Bahnsteigen, so dass der Betrieb ins Umland ausgelagert wurde.
Die Wiedervereinigung machte aus dem Gelände sprichwörtlich blühende Landschaften. Es entstanden Eigentums- und Mietwohnungen, Reihenhäuser und Stadtvillen, dazu ein Park – benannt nach Hermann Blankenstein, der um 1870 als Stadtbaurat den riesigen Schlachthof konzipiert hatte.
Ende 2009 wohnten hier schon 894 Einwohner, heute zählt das architektonisch äußerst attraktive „Viertel“ mehr als 2 000 Personen. Und es wird weitergebaut – wie allein im Vorbeifahren auf der Landsberger Allee zu beobachten ist. Aus den denkmalgeschützten drei früheren Backsteinschweineschlachthöfen wird ein Shopping Center, der mehrgeschossige Glaspalast mit Tiefgarage dahinter soll nach Fertigstellung eine Dachterrasse bieten.