Wie Wainblum bin ich entschlossen, nicht mehr raus zu gehen. Ich bleibe hier im Kino. Mit meiner Arbeit lässt sich das gut vereinbaren. Während der Berlinale kommt man als Kritikerin aus den Filmtheatern praktisch nicht mehr raus. Da Heimarbeit vom Computer aus alltäglich ist, lässt sich auch eine ausgewachsene Agrophobie mit einem Vollzeitjob gut vereinbaren. „Meine Phobie hat mich zu einem perfekten Leben geführt.“, urteilt Wainblum. Dem kann ich nur zustimmen. Wie Wainblum hat man endlich eine gute Rechtfertigung dafür, sich ausschließlich von Pizza, Billig-Sushi und Gyros zu ernähren. Oder allem andern, was per Lieferservice unkompliziert in die Wohnung kommt. Wainblums Mikrokosmos wird radikal aufgebrochen, als sein alter Vermieter Grumps (Schlomo Bar Shavit) dessen Apartment neu vermieten will. Vermutlich sind potentielle Nachmieter, welche mit ihren Mikropartikeln die peinlich von Spuren Fremder sauber gehaltene Wohnung verseuchen, ähnlich verstörend, wie Kinobesucher, die vor der Matinee in meine Waschräume wollen, wenn ich mir gerade die Haare unter dem Händetrockner frisiere. Wainblums Versuche, die Nachmieter mit gespielten Gruselszenen aus Kinofilmen zu verscheuchen, scheitern kläglich. Das dergleichen Infiltrationen der Privatsphäre nicht komisch sind, weiß ich aus Erfahrung. Auch in der Komödie der Paz-Brüder ist von hier an Schluss mit lustig.
„Das Leben war perfekt, bis die Realität an die Tür klopfte.“, bringt es der Untertitel von „Phobidilia“ auf den Punkt. In Gestalt des kauzigen Holocaust-Überlebenden Grumps war die Realität noch originell. Nun aber heißt sie auf der Leinwand Daniela (Efrat Baumwald). Die sieht so aus wie Mandy aus Kaulsdorf-Nord und benimmt sich entsprechend prollig. Dass Wainblum oder irgendjemand sonst ihr gegenüber physische Begierde verspürt, scheint ausgeschlossen, von Liebe ganz zu schweigen. Beides ist jedoch bei Wainblum der Fall. Daniela wirkt in der bis dahin skurril-humorvolle Handlung so enervieren, wie diese an der Haustür klingelnden Umfrage-Mitarbeiter. Als eine solche arbeitet Daniela in „Phobidilia“ und als bete sie einen Werbetext herunter, preist sie gegenüber Wainblum die Außenwelt an: „Du sitzt und lauschst der Stille.“ Nur existiert jene Stille in dem von Blätterrauschen und Vogelzwitschern erfüllten Wald-Idyll, in welches beide sich phantasieren, nicht. Ausgerechnet diese romantische Waldlandschaft ist computergeneriert. Wie soll es ein Phobidiliker draußen aushalten, wenn selbst die Realität künstlich schön animiert werden muss? Jeder weiß doch, wie es in der Welt tatsächlich aussieht. „Es ist zu heiß, zu kalt oder man tritt auf Hundescheiße.“, beschreibt es Wainblum treffend.
Sie fragen sich, ob ich „Phobidilia“ empfehle? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich Sie in meinem Kino überhaupt möchte. Na gut, da der kleine israelische Film vermutlich nur auf der Berlinale laufen wird, mache ich eine Ausnahme. Immerhin enthält „Phobidilia“ die wohl beste Liste der Berlinale, geäußert von einer Internetbekanntschaft Wainblums auf die Frage, was sie anmache: „Wolken, Weihnachtsbäume, Schoko-Fudge und mein Gehaltsscheck am Ende des Monats.“ Besonders den letzten Punkt finde ich plausibel. Am Besten, Sie gehen nach der ersten Hälfte des Films. Dann bleibt Ihnen die krude Morallehre am Ende erspart. Und mein Wohnzimmer gehört wieder mir.
Titel: Phobidilia
Berlinale Panorama
Land/ Jahr: Israel 2009
Genre: Satire
Regie und Drehbuch: Doran Paz, Yaov Paz
Darsteller: Ofer Schechter, Efrat Baumwald, Schlomo Bar Schavit, Efrat Dor
Laufzeit: 86 Minuten
Bewertung: **