Für Netanjahu ist das natürlich etwas völlig anderes. Er wuchs in den US auf (wo er Romney 1976 kennen lernte), und rühmte sich ein großer Experte Amerikas zu sein. Es war einer seiner Haupt- Publikumsmagneten, da die Beziehungen zu den USA für Israel so lebensnotwendig sind. Jetzt steht er zusammen mit seinem von Adelson empfohlenen Botschafter in Washington DC als Troddel da.
Beschädigt dies Netanjahus Chancen bei den bevorstehenden israelischen Wahlen? Vielleicht. Aber nur, wenn ein glaubwürdiger Gegenkandidat gefunden wird, der die Beziehungen mit Barack Obama wieder herstellen kann.
Ehud Olmert stellt sich als solcher dar und mag sich jetzt dem Wahlkampf anschließen. Einige träumen davon, dass Shimon Peres seine Präsidentschaft aufgeben und Kandidat werden würde. (Er ist zwei Wochen älter als ich.) Er hat in seinen 50 Jahren als Politiker nie eine Wahl gewonnen. Aber es gibt immer ein erstes Mal, nicht wahr?
Die Israelis sind natürlich vor allem an den jüdischen Stimmen interessiert. Das ist tatsächlich aufschlussreich.
Netanjahu machte kein Geheimnis daraus, dass er Romney voll und ganz unterstützt. Den US-Juden wurde gesagt, wenn man für den republikanischen Kandidaten stimmt, dann wählt man für Israel.
Taten sie dies? Nein.
Noch hab ich die Statistiken nicht im Detail vor mir, aber aus den Ergebnissen in Florida und anderen Staaten zu schließen, scheint mir, dass die große Mehrheit der Juden den demokratischen Kandidaten unterstützt hat, wie sie es immer getan hat.
Was bedeutet das? Es bedeutet, dass eine der wichtigsten Behauptungen von Netanjahu & Co sich als Trugschluss herausgestellt hat.
Netanjahu erklärt fast täglich, Israel sei der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“. Das heißt, Israel gehört allen Juden der Welt und alle Juden der Welt gehören zu Israel. Er spricht nicht nur für die sechs Millionen jüdischen Bürger Israels, sondern für alle 13 Millionen Juden rund um den Globus (vorausgesetzt, dass auf dem Mars keine Juden entdeckt werden).
Auch dies hat sich wieder als Fiktion erwiesen. Die amerikanischen Juden ( oder besser: die jüdischen Amerikaner) stimmten als Mitglieder der amerikanischen Nation, nicht als Mitglieder für die nicht existierende jüdische Nation. Sicher sympathisieren viele von ihnen mit Israel, aber wenn es zur Wahl kommt, wählen sie als Amerikaner. Israel spielt eine sehr kleine Rolle bei ihren Erwägungen.
Sie mögen Netanjahu stehende Ovationen geben, wie amerikanische Katholiken dies gegenüber dem Papst tun, aber sie ignorieren seine Anweisung, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen.
Dies ist von großer Bedeutung für die Zukunft. Bei jedem Zusammenstoß zwischen vitalen amerikanischen und israelischen Interessen, sind jüdische Amerikaner zuerst Amerikaner. In so einer zukünftigen Situation könnte eine Fehleinschätzung Netanjahus oder seines Nachfolgers sich als fatal erweisen.
Zum Beispiel was den Iran-Krieg betrifft. Die israelischen Falken können ihm Adieu sagen.
Ich bezweifle, dass sogar Romney, wenn er gewählt worden wäre, Netanjahu erlaubt hätte anzugreifen. Reden bei Wahlkampagnen würden nicht die vitalen Interessen der USA übertrumpft haben.
Auch er würde einen Blick auf die Karte mit der Meerenge von Hormuz geworfen haben und hätte geschaudert.
Wie dem auch gewesen sein mag, es gibt keine Chance, dass Obama jetzt einen israelischen Angriff tolerieren würde. Es würde einen großen Krieg mit unberechenbaren Konsequenzen für die Weltwirtschaft entfacht haben .
Die Amerikaner wünschen keinen weiteren Krieg. Sie wollen aus dem Irak und aus Afghanistan herauskommen, praktisch beide Länder ihren Feinden überlassen. Noch einen, weit größeren Krieg im Iran zu beginnen, ist undenkbar.
Dies könnte für uns das wichtigste Ergebnis dieser Wahlen sein.
Und wie ist es mit dem israelisch-palästinensischen Frieden?
Zweifellos haben sich die Chancen verbessert.
Ich will nicht zu optimistisch klingen. Das übliche Klischee sagt, dass US-Präsidenten in ihrer zweiten Amtsperiode nicht so unter politischem Druck stehen und endlich nach ihrem Gewissen handeln können. Das stimmt sicher – bis zu einem gewissen Punkt.
Der Präsident ist auch der Führer einer Partei; und vom ersten Tag nach den Wahlen denkt die Partei an die nächsten Wahlen. Mächtige Lobbys wie die AIPAC hören nicht auf, zu existieren und werden weiter eine Menge Druck auf die israelische Rechte ausüben. Großzügige Sponsoren werden noch benötigt. In zwei Jahren sind die Zwischenwahlen.
Aber ich hoffe, Obama wird zu seiner anfänglichen Haltung zurückkommen und versuchen, beide Seiten zu ernsten Verhandlungen veranlassen. Der bevorstehende palästinensische Antrag bei der UN-Vollversammlung, ihn als einen Staat (mit Beobachterstatus) anzuerkennen, mag ein Test sein. Seine Annahme ist von großer Bedeutung, da sie die Zweistaatenlösung wieder direkt auf den internationalen Tisch legen würde. Die US hat dort kein Vetorecht, und es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob Druck auszuüben ist oder nicht.
Die US sind wie ein großer Flugzeugträger. Um sich zu drehen, benötigt er eine Menge Zeit und Raum. Aber selbst ein kleiner Kurswechsel kann einen großen Einfluss auf unser Leben haben.
In Israel lautet die größere Frage: Wird er sich rächen?
Zweifellos, Obama hasst Netanjahu – und mit gutem Grund. Netanjahu wird im Weißen Haus nicht willkommen sein.
Aber Obama ist ein kalter Fisch. Er wird seine persönlichen Gefühle unter Kontrolle haben.
Aber wie weit? Wird er seine Haltung gegenüber Netanjahu und seiner Politik genügend ändern, um die israelischen Friedenskräfte zu ermutigen und sogar zu unterstützen? Wird er die israelischen Wahlen beeinflussen, so wie Netanjahu versuchte, die amerikanischen zu beeinflussen?
Offen gesagt, hoffe ich es – um Israels willen.
Obamas Sieg wird den liberalen, demokratischen, säkularen, sozial-gesinnten, weniger militanten Geist in aller Welt stärken. Wenn die israelische Regierung mit ihrem jetzigen Kurs fortfährt, wird ihre Isolierung in der Welt gefährlich zunehmen. Wenn wir Netanjahu gegenüber nicht das tun, was die Amerikaner gerade jetzt gegenüber Romney taten.
Wie jedermann weiß, gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen den USA und Israel.
Beide sind Einwanderungsländer. Beide wurden von weißen Siedlern aufgebaut, die ethnische Säuberungen durchführten. Beide rühmen sich ihrer riesigen Errungenschaften, während sie über die dunklen Seiten ihrer Vergangenheit ganz still sind.
Die Wahlen in beiden Ländern zeigen noch eine andere Ähnlichkeit: die sich weiter entwickelnde Kluft zwischen verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft. Weiße männliche Amerikaner versammelten sich hinter Romney, farbige Amerikaner und Frauen hinter Obama. Demographische Faktoren spielen eine größere Rolle. In gewisser Weise war es eine Nachhut-Aktion der dominanten weißen männlichen Elite gegen die neue Mehrheit der Schwarzen, der Hispano-Amerikaner, der Frauen und der Jugend.
Die Tea-Party-Fanatiker haben die Spaltung noch verschlimmert. Es scheint, als ob die amerikanische Nation alle paar Generationen von einer neuen Wahnsinnswelle befallen wird – die anti-anarchistische Hysterie nach dem 1. Weltkrieg, der McCarthyismus nach dem 2. Weltkrieg und jetzt die Tea-Party . Zu Amerikas Ehre muss gesagt werden, es hat eine Fähigkeit, mit diesen Wellen fertig zu werden. Aber die Tea-Party legte Romney um – trotz all seines verzweifelten Gesinnungswandels.
In Israel gibt es eine ähnliche Spaltung. Die Gesellschaft ist in Sektoren aufgeteilt, die ihre Stimme nach den Linien der Sektoren abgibt: Die Weißen (Ashkenazim), die Orientalen, die Ultra-Orthodoxen (Haredim), die National-Religiösen, die russischen Immigranten, die Araber. Der Likud ist eine Partei der Orientalen, die aber von weißen Männern dominiert wird. Lieberman gehört zur Partei der „Russen“. Zusammen mit den Religiösen verschiedener Richtungen sind sie eine mächtige Koalition. Die israelische Linke war bis jetzt nicht – wie Obama – in der Lage, eine effektive Gegen-Koalition zu bilden.
Wir brauchen einen israelischen Obama, der mit dem amerikanischen Obama für Frieden arbeitet.
Bevor es zu spät ist, bitte!
Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 12.11.2012. Alle Rechte beim Autor.