Pomp and Circumstance

Berittene britische Soldaten in historischen Uniformen mitten in der City of London. Quelle: Pixabay

London, VK (Weltexpress). Was sich am Montag in London abspielte – Trauerzug und Begräbnis von Königin Elizabeth II. – verdient kein geringeres Attribut als: epochal. Ein „Jahrhundertereignis“, wie die „NZZ“ formuliert. Das Ende einer Ära, des zweiten elisabethanischen Zeitalters. Dazu kommt mir in den Sinn: Pomp and Circumstance. Die Formel stammt (von wem sonst!) von Shakespeare, Othello, Akt 3, Szene 3. Diese beginnt passenderweise mit dem Wort „O farewell“ – „O Abschied“. „Pomp and Circumstance“, von Edward Elgar 1901 komponierte, wurde unter dem Titel „Land of Hope and Glory” zur inoffiziellen Nationalhymne. Mit ihren mitreißenden Tonfolgens ruft sie bei sämtlichen Engländern kollektiven Identifikationstaumel hervor.

So und doch ganz anders war es auch bei diesem gigantischen, über zwei Kilometer langen Umzug, der sich in würdig-gemessenem Tempo durch das historische Herz der britischen Metropole bewegte. Staat chauvinistischer Begeisterung war es bei der dicht gedrängten Menge, welche die Straßen säumte, kollektive, tief empfundene (und oft tränenreiche) Trauer: Die ganze Nation verabschiedete sich von ihrer verehrten, ja geliebten Über-Mutter. Die Einzigartigkeit dieser Parade in ihrer seekundengenauen, millimeterpräzisen Perfektion mit ihren zackigen Militärmärschen und Hunderten von uniformierten Dudelsackbläsern gab dieser zunehmend von Hiobsbotschaften und Krisensymptomen gebeutelten, von unfähigen Politikern geführten, isolierten Nation für ein paar Stunden das erhebende Gefühl nationaler Größe zurück. Noch einmal durfte es aufleben, das britische Weltreich, das alte, von der Queen liquidierte und in den Commonwealth umgegossene Empire: In den Tiger- und Leopardenfellen der Offiziere, den weißen Tropenhelmen, den zähen nepalesischen Ghurka-Regimentern, Säule kolonialer Macht.

Und es war die Antithese zur ausgelassen-farbenfrohen, stundenlangen Parade zum 70. Regierungsjubiläum der Monarchin auf der Mall, die ich selbst miterleben durfte. Nur knapp vier Monate ist das her. Die Freude ist der Trauer gewichen. Mit dem entzückenden Videoclip, in dem sie die Kinderbuchfigur Paddington Bear zum Tee im Buckingham Palace einlädt, hatte die Queen die Herzen ihrer Untertanen endgültig für sich gewonnen. Noch zwei Tage vor ihrem Ableben vollzog sie – voll präsent – die Angelobung der neuen Premierministerin. Ihr Sohn und Nachfolger, König Charles III hat einen würdigen Start hingelegt. Seine Trauer über den Tod der Mutter war echt. Leider auch der kleine, von den Fernsehkameras registrierte Schnitzer mit dem höchst unwirsch und unköniglich beiseite geschobenen Füllfeder-Behälter, ausgerechnet bei seiner ersten zeremoniellen Handlung. Der Queen wäre so etwas nie passiert.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dr. Charles E. Ritterband wurde am 22.9.2022 auch in „Voralberger Nachrichten“ veröffentlicht.

Vorheriger ArtikelEssen, trinken und fröhlich sein – Auf der Piazza Giovanni Amendola in Cesena oder vorm und im Ristorante Al Sangiò – Magna e be‘
Nächster ArtikelKommentar: Die Regenten der Rußländischen Föderation werden ihren Staat mit Kernwaffen verteidigen