Wie man die Romantik schon mit dem Bühnenbild austreibt – Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ in der französischen Originalfassung an der Frankfurter Oper

Wie ein ganz gewöhnlicher Alkoholiker, der nie mehr trocken ist, torkelt Alfred Kim (Hoffmann) vor der kalten, rechteckigen Bar umher.

Es geht nämlich in dieser opernhaften Verarbeitung tatsächlich um den dunkelgründigen Romantiker E.T.A. Hoffmann, der hier die Person verkörpert, die er in seinen Erzählungen: Der Sandmann, Rath Krespel und Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild agieren läßt, was einfach in ein Libretto umzusetzen war, denn meist sind es Ich-Erzähler, die Hoffmann sprechen läßt. Das Libretto basierte übrigens auf einem Theaterstück von Jules Barbier und Michel Carré, das schon 1851 aufgeführt wurde und die zerrissenen Innenwelten des romantischen Hoffmann wie in einem Zerrspiegel zeigten.

Hier aber auf dieser sauberen, meist leeren Bühne mit einer kalten rechteckigen Bar im Hintergrund, an der die Personen, die gerade nicht singen, sich aufhalten und einen heben, wo farbige Leuchtröhren für uns unmotiviert an- und ausgehen, wird überhaupt nicht mehr deutlich, was es ist, das den Hoffmann im Trunk enden läßt. Wie ein ganz gewöhnlicher Alkoholiker, der nie mehr trocken ist, torkelt Alfred Kim umher, die Personen kommen und gehen, sie singen gut, aber sie verbreiten nicht die Atmosphäre, die das Zwielichtige, das Schillernde, das Sehnsuchtsvolle, auch das Psychopathische dieser Oper ausmachen, mit der der absteigende Pariser Opernstar Jacques Offenbach (1819-1880) noch einmal das Ruder herumreißen und das beliebte Sujet „Romantik“ nutzen wollte und darüber starb. Denn die Oper wurde nie vollendet und in diesem Zustand 1881 an der Opéra Comique in Paris uraufgeführt.

Die Oper Frankfurt hatte sich für die Fassung entschieden, die Fritz Oeser 1977 aus mehr als tausend Funden zusammenstellte, wobei das Hauptproblem bleibt, was Offenbach und was von ihm ist. In Frankfurt klingt es nach großer Oper, es ist eine schwelgerische Musik, so daß die Leute in der Pause sagten, sie wußten gar nicht, daß Offenbach ein Wagneranhänger war, denn so klang die Musik vor allem im dritten Teil. Aber man konnte auch italienische Oper wiedererkennen. Gleichzeitig hat diese Aufführung aber Teile der oeserschen gekappt, was insbesondere bei Nebenrollen auffiel, die in der Oper das Gleichgewicht gegenüber dem Hofmann und den jeweils vier Gegenspielern halten soll. Schade ist es auch um Hoffmanns Gegenfiguren des Lindorf, Coppelius, Doktor Miracle, Dapertutto, die ebenfalls nach dem offenbachschen Konzept von einem Sänger zu besetzen sind, hier Giorigo Surian. Die sollen das Prinzip des Bösen in der Welt verkörpern, was aber wenig luziferisch und abgründig geriet, wenngleich er verläßlich sang.

Die interpretatorischen Fehlstellen und weggelassenen Teile aber bemerkt der normale Opernbesucher, der „Hoffmanns Erzählungen“ zum ersten Mal sieht, nicht, weil er nicht davon weiß. Und auch nur noch die Älteren wissen um die bisherigen Hoffmann-Aufführungen im Frankfurt der Nachkriegszeit. Vor 25 Jahren hatte Herbert Wernicke zum letzten Mal in Frankfurt „Hoffmanns Erzählungen“ inszeniert, wobei der unvergessene William Cochran den Hoffmann als verpupptes Genie gab, der durch seine Frauenleidenschaft vom Schöpferischen abgelenkt wird, weshalb die Muse ihn zu ihr zurückführt und die drei Erinnerungen vergeblicher Lieben: Olympia, Antonia und Giulietta nur die Funktion haben, ihn vom nächsten Fehltritt mit Stella, deren Zimmerschlüssel er hatte, abzulenken. Eine analytische Trauerarbeit, die die Muse dirigiert, die hier Jenny Carlstedt in der Doppelrolle mit Niklaus sehr im modernen Kunden-Kanzleistil gibt. Noch erinnern können wir uns an die junge Anja Silja, die unter Georg Solti des Komponisten Absicht wahrmachte, alle drei Frauenrollen mit ein und derselben Person zu besetzen. Denn es geht um das Prinzip Weib als Ablenkung für den künstlerischen Schaffensprozeß und die Loslösung von Weib, Wein und Gesang.

Die konnte man auch nicht dadurch herstellen, daß man die drei Lieben von Anfang an an der Theke stehen ließ. Es sind überhaupt immer wieder Regieeinfälle zu sehen, die neu sind und erst einmal wirken, aber für uns keine Funktion haben, weil sie an den Außenstellen der Oper herumhantieren, aber nicht in ihr Zentrum gelangen. So geriet diesmal auf die Frankfurter Opernbühne mehr glänzender Schein als wirkliches Sein. Aber, das muß man dem Ensemble attestieren, mit hohem Aufwand und technisch brillant, so daß man einen richtig guten, ja einen geradezu opulenten Opernabend erleben kann, mit wirklich hervorragenden Sängern. Halt nur keinen Hoffmann. Und Herz fehlt auch.

Weitere Aufführungen am 7., 10., 14., 23. und 29. Oktober, 6. November, 11., 19. und 26. Dezember 2010, 9., 15., und 23. April 2011.

www.oper-frankfurt.de

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