Der Mythos um die Big Four nahm seinen Ursprung in den beginnenden 1980-er Jahren, als amerikanische Jugendliche ihre Leidenschaft für harte Klänge aus Europa entdeckten – mit Black Sabbath, Judas Priest und Deep Purple schwappte die Begeisterung für die New Wave of British Heavy Metal bis weit über den Atlantik hinaus. Dutzende Bands rebellischer (und trinkfester) Teenager entwickelten unabhängig voneinander ihre eigene Vorstellung von kompromissloser, roher Musik – mit weitem Abstand am erfolgreichsten verlief jedoch die Karriere der großen Vier: Von ihnen verkaufte alleine Metallica über 100 Mio. Platten und prägte eine ganze musikalische Generation.
Die Sonisphere-Festival-Reihe bringt sie nun erstmals auf eine gemeinsame Bühne: bis Anfang August macht sie in einer Vielzahl europäischer Metropolen Station, wird weltweit in fast 1000 Kinos live übertragen. „Welch dekadenter Luxus“ mögen sich die Besucher der Auftaktveranstaltung in der Schweiz gedacht haben – denn sie waren nicht nur Zeugen eines geschichtsträchtigen Line-Ups, sondern auch einer legendären Schlammschlacht.
Pünktlich zur Öffnung des Festivalgeländes am vergangenen Donnerstag hatte Petrus seine Tore weit geöffnet. Wie aus Eimern schüttete es über der Weidewiese, die für das Festival zum Veranstaltungsgelände umfunktioniert worden war. Schon einige der ersten Besucher mussten mit ihren Autos auf den Zeltplatz geschleppt werden, weil sie sich im knöcheltiefen Schlamm festgefahren hatten, und auch der Platz vor den Bühnen glich einem großen See: Füße, Schuhe und Matsch bildeten eine perfekte Symbiose, das Wasser kam aus allen Richtungen.
Die Fans nahmen es mit einer gehörigen Portion Humor: Von Schlammcatchen über das Bauen von Matschmännern bis hin zu Matschballschlachten vertrieben sie sich die Zeit und machten gute Miene zum bösen Spiel. Bands wie Over Kill und Airbourne genossen das wirre Treiben vor ihrer Bühne und rockten bei der vorabendlichen Warm-Up-Show, was das Zeug hielt.
Doch der Regen kannte kein Erbarmen – selbst am Tag des eigentlichen Festivals goss es bis in die Mittagsstunden. Die deutschen Fußballfans vor Ort deuteten es als gutes Omen, immerhin hatte das sprichwörtliche Fritz-Walter-Wetter schon einmal Glück bei einer Weltmeisterschaft gebracht. Leider fand das Spiel gegen Serbien im sonnigen Südafrika statt, so dass eine Niederlage auf der Großbildleinwand hingenommen werden musste.
Schlamm drüber. Auf der Bühne vertrieben die Grunge-Urgesteine Alice In Chains, der Slipknot-Spinoff Stone Sour und die Rock’n’Roller Motörhead den zwischenzeitlichen Frust. Sichtlich geehrt und voller Spielfreude zelebrierten sie ihre Auftritte und bereiteten das Feld für die Hauptattraktionen des Tages: Anthrax vertrieben den Regen, Slayer und Megadeath brachten tatsächlich die Sonne zum Vorschein.
Die Begeisterung der Besucher war nun allgegenwärtig. Das Gelände füllte sich immer weiter und selbst dort, wo Minuten zuvor niemand im Dreck stehen wollte, nahmen sie gerne Platz. Als Ennio Morricones The Ecstasy of Gold, das Metallica nun seit weit über 20 Jahren als Intro begleitet, ertönte, kannte das Glück kein Halten mehr. Die Fans spürten von Beginn an, wie viel sich die Band vorgenommen hatte – ein tiefer Griff in die Geschichtskiste brachte gleich zu Beginn altbewährte Juwelen zum Vorschein: Creeping Death, For Whom The Bell Tolls, Ride The Lightning und No Remorse – wann hatte man zuletzt einen derart fulminanten Konzertbeginn erleben können?
Eine lupenreine Thrash-Metal-Setlist gab den Besuchern, was sie verlangten: keine Atempause, (mit Ausnahme des unverzichtbaren Nothing Else Matters) keine Balladen, ein hartes Brett voll auf die Zwölf. Mit gewohnt ausgiebigem Einsatz von Pyrotechnik brannten die Kalifornier im wahrsten Sinne des Wortes ein Feuerwerk ab, wie man es aus ihren besten Zeiten Ende der 1980er Jahre kannte. Das Wunder einer Band, in der niemand seine Instrumente besonders gut beherrschte und die gerade deshalb ihren eigenen, unverwechselbaren Sound kreierte, fand nun seine Vollendung – die Verpflichtung des bärenstarken Bassisten Robert Trujillo nach der Jahrtausendwende und die Rückkehr zu Rick Rubin, einem der mit Abstand besten Produzenten der Welt, hatte der Band mehr als nur gut getan.
Während sich die begeisterten Besucher noch immer die Augen ob des Erlebten rieben, wurde das – trotz Unwetter und kleinerer organisatorischer Engpässe – tolle Wochenende von weiteren Support-Acts wie Volbeat und Amon Amarth abgerundet. Pünktlich zum Abschluss setzte dann auch der unerbittliche Regen wieder ein, der den Worten des Metallica-Frontmannes James Hetfield weiteres Gewicht verlieh: „You’ve been wet, you’ve been dry, you’ve been wet again. Maybe you even made wet yourself? Know what: It’s ok. It’s a festival.”
Was gibt es dazu noch hinzuzufügen?