Auf Regen sind die Festspiele vorbereitet. Dann werden diejenigen, deren Karten auch für das rund 1200 Besuchern fassende Festspielhaus gültig sind, in dem am Vorabend eindrucksvoll „Die Passagierin“ ihre szenische Uraufführung hatte, dann werden diejenigen also ins Innere geleitet und für die übrigen gibt’s entweder Ersatzvorstellungen oder wie heute, wo ein überwiegender Teil der Vorstellung schon geboten wurde, die nette verbale Entschuldigung der Festspiele und der Wunsch auf einen guten Heimweg. Tatsächlich war die Sturmwarnung schon nachmittags gewesen und ein heftiger Regen und ein eindrucksvolles Gewitter über dem Bodensee hatte hoffen lassen, dass der Abend klar würde und damit keine Probleme entstünden Also entschlossen sich die Festspiele – auch angesichts der erwartungsvoll angereisten Zuschauer – die Premiere der spektakulären Inszenierung von Graham Vick auf der Seebühne spielen zu lassen.
Also, wie so richtig fies inszeniert, fielen mit dem ersten Ton die ersten Tropfen und was dann passierte, ist so eindrucksvoll, dass man es berichten muß. Im Nu saßen lauter Plastikwichtelmänner und -frauen auf den mit Tüchern trocken zu wischenden Plastiksitzen der Tribüne. Das waren keine Tropfen mehr, sondern prasselnder Regen, der vor allem dort in die eigenen Kleider ging, wo der Nachbar seinen Regenschutz ableitete. Das störte dennoch nicht den Genuß, den des Sehens und des Hörens hier mitten vor der gewaltigen Seebühne, auf die wir noch zu sprechen kommen. Als es dann um 23.10 im Festspielhaus erneut mit dem dritten Akt und dem Duett von Radames und Aida losging, hatten die Musiker nicht umziehen müssen. Denn seit Jahren sitzen die Wiener Symphoniker, heute mit Dirigent Carlo Rizzi in guter Verdimanier, trocken im Festspielhaus, von wo aus der Klang mit den auf der Seebühne singenden technisch akustisch verstärkten Sänger ans Ohr der Zuhörer gelangt. Früher saßen die Musiker unter der Seebühne, beengt und feucht dazu. Erst jetzt hier im Opernhaus konnte man hören, daß die Sänger auch ohne Verstärkung wundervoll sangen, in erster Linie das Liebespaar, das gilt aber auch für die Amneris der Iano Tamar und der noch auftretenden Mitspieler. Man konnte vor allem das darstellerische Zusammenspiel sehen (szenische Umsetzung: Yuval Sharon) genießen, was auf der Seebühne durch die riesenhafte Entfernung einfach nicht zu leisten ist.
Und so gestehen wir gerne, daß die im Inneren ablaufende Geschichte – auf der Bühne nur eine schwarz glänzende Treppe, auf der alles spielte – ohne weiteren Requisiten uns außerordentlich gut gefiel und sich sowohl die Musik wie auch die traurige Innigkeit dieser Oper voll entfaltete. Wir bräuchten gar nicht mehr, dachten wir uns noch, nicht mehr als diese guten Stimmen und schwungvoll auftrumpfenden Musiker. Aber, dann könnten nicht Hunderttausende diese Oper sehen. Und natürlich ist für den Besucher, der von weither anreist, der von Graham Vick ausgedachte und die technischen Möglichkeiten dieser Seebühne ausnutzende Opernschluß schon überirdisch eindrucksvoll: wie nämlich das doch eigentlich eingemauerte und nun gemeinsam sterbende Paar hoch in die Lüfte gehoben wird und in den dunklen Himmel davonschwebt.
So war es im letzten Jahr und sicher auch heuer. Die meisten der letztjährigen Inszenierungsideen erkannten wir wieder. Damals rätselten wir noch, was es mit den zerschlagenen Teilen der Freiheitsstatue von New York auf sich hat, heute wissen wir, dass sich später die Gesichtsteile aneinanderfügen und dass sich – wirklich überraschend – dieses Ding, was urplötzlich aus dem Wasser erhebt, nicht das Ungeheuer von Loch Ness ist, sondern vollaufgerichtet zur Fackel der Freiheitsstatue wird, auf der zuvor König Ramses, hier in Gestalt des Bradley Garvin, seine wichtigen Worte laut und deutlich seinem Volk und uns zusingt. Letztes Jahr bedauerten wir noch die Sänger, die dauernd im Wasser stehen und hineinfallen und dabei singen müssen. Dieses Jahr fanden wir das exotische Wasserballett, das die Tänzer vollbringen, schon ganz normal. Gut fanden wir, dass die doch sehr oberflächlich den Ägyptern oktroyierten Anspielungen auf Abu Ghraib dezenter wurden. Ist es die Seh- und Seegewohnheit, die uns dieses Jahr gegenüber dem eigenwilligen technischen Beiwerk der Inszenierung milder stimmte. Wie auch immer, diese Aufführung auf der Bregenzer Seebühne, die nur noch dieses Jahr zu bestaunen ist, lohnt den Besuch auf jeden Fall.
Nur an einem wollen wir immer noch herumkritteln. Die Geschichte um Liebe und Macht, Neid und Militär, Vaterlands- und Vaterliebe, Liebes- und Vaterlandsverrat und Menschenwürde, ist von Verdi in so dichte Musik gesetzt worden, der man einfach im Handlungsgeschehen nur folgen muß. Diese Inszenierung erschwert dies aber. Da wird so unaufhörlich etwas Neues geboten, dauernd muß man in den gigantomanischen Kulissen von links nach rechts sehen, nach oben, nach unten und eventuell auch noch die Bildschirme verfolgen, wo der italienisch gesungene Text auf Deutsch erscheint – und man erkennen kann, wie feinfühlig die gesungenen Wort wirklich sind – , dauernd sind also alle Wahrnehmungsantennen ausgefahren, daß sich die eigentliche Kontemplation, die Sinn jeder Opernaufführung ist, kaum einstellen kann. Man kann halt nicht alles auf einmal haben, sagt man sich dann. Zu Hause inniglich hören und hier das Spektakel sehen, ist angesagt.
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Aufführungen: Bis zum 22. August 2010 fast täglich auf der Seebühne.
Weitere Aufführungen der Oper „Die Passagierin“ von M. Weinberg im Festspielhaus am 26. , 28. und 31. Juli
Die Bregenzer Produktion ist eine Koproduktion mit dem Wielki Teatr Warschau, wo Aufführungen 2010 stattfinden, der English National Opera London (2012) und dem Teatro Real Madrid (2012), auch noch an anderen Orten.
Eine weitere Oper von Weinberg „Das Porträt“ hat am 31. Juli um 19.30 im Theater am Kornmarkt Premiere. Auch symphonisch erklingt Weinberg sowie in der Reihe „Musik & Poesie“ Stimmen aus der inneren Emigration, wo Mandelstam und Brodsky, Anna Achmatowa und die Zwetajewa mit Weinberg assoziiert werden. Zudem wird vom 31. Juli bis 2. August 2010 ein Weinberg-Symposium „In der Fremde“ im Festspielhaus stattfinden.
Internet: www.bregenzerfestspiele.com