„Es handelt sich hier um den bisher größten Gentechnik-Saatgutskandal in Deutschland“, sagt Alexander Hissting, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. „Drei Monate lang stauben die Untersuchungsergebnisse zum verunreinigten Saatgut schon auf niedersächsischen Behördenschreibtischen ein. Entweder wurde hier geschlampt oder aus politischer Überzeugung bewusst in Kauf genommen, dass mit der Aussaat von Gen-Mais Fakten geschaffen werden.“
Das für seinen Pro-Gentechnik-Kurs bekannte niedersächsische Landwirtschaftsministerium hatte sich bisher geweigert, konkrete Angaben zum Hersteller, der Sorte und der Menge des verunreinigten Mais-Saatgutes zu machen. Bereits im April hatte Greenpeace die Ergebnisse der jährlichen Saatgut-Analysen der Bundesländer nach dem Umweltinformationsgesetz abgefragt und veröffentlicht. In neun Bundesländern waren die Behörden fündig geworden. Bis auf Niedersachsen ergriffen alle Länder Maßnahmen, um die Aussaat zu verhindern: Sie veranlassten die Vernichtung oder den Rückruf aus dem Handel.
Die Greenpeace-Recherchen belegen, dass das Ministerium in Hannover zwar von der verunreinigten Mais-Saat wusste – dennoch wurde nichts unternommen, um die Auslieferung der Saatgut-Säcke zu verhindern. Landwirte in fünf Bundesländern kauften die betroffene Mais-Sorte von Pioneer – darunter die großen Maisanbauländer Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg – und brachten sie auf 3000 Hektar aus. Das Saatgut ist bis zu 0,1 Prozent mit dem Gen-Mais NK603 kontaminiert. Der herbizidresistente Mais darf in ganz Europa nicht angebaut werden. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Verzehr von NK603 gesundheitliche Schäden an Mensch und Tier nicht ausgeschlossen werden können.
„Schon eine Saatgutverunreinigung von nur 0,1 Prozent hat zur Folge, dass etwa 100 gentechnisch veränderte Pflanzen auf einem Hektar wachsen“, sagt Hissting. „Dieser Fall zeigt erneut: Agro-Gentechnik und gentechnikfreie Landwirtschaft können nicht nebeneinander existieren.“
EU-weit gilt ein Reinheitsgebot für Saatgut. Deshalb überprüfen die Bundesländer jedes Frühjahr die Qualität des Saatguts. Für eventuelle Verunreinigungen auf dem Acker und Schadensersatzforderungen für die Vernichtung bereits ausgesäter Gen-Mais-Pflanzen haftet allerdings der Saatgut-Hersteller. Pioneer hat sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Greenpeace fordert das niedersächsische Landwirtschaftsministerium auf, die betroffenen Landwirte umgehend zu benachrichtigen und anzuweisen, die Pflanzen auf den Feldern zu vernichten. Die Landwirte müssen von Pioneer entschädigt werden – der bereits angerichtet Schaden dürfte in die Millionen gehen. Zudem müssen die betroffenen Flächen unverzüglich veröffentlicht werden. Die niedersächsische Landesregierung muss zudem aufklären, warum der Fund von illegalem Saatgut über Monate verschleiert wurde.