Mit beißendem Spott enthüllt das Regie- und Autorenduo Glenn Ficarra und John Requa Stevens Verhalten als verdiente Antwort einer Gesellschaft, welche insgeheim im Privaten die gleichen Lügen und Betrügereien pflegt, die Steven im großen Stil durchzieht. Das Lügen wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Seine Pflegeeltern haben ihn auf einem Parkplatz seiner leiblichen Mutter abgekauft. Die wohnt in der gleichen biederen Wohngegend und verleugnet den ungewollten Sohn. „Besonders“ sei Steven, weil sie ihn ausgewählt haben, behaupten seine Eltern. Sein halbes Leben versucht er, als Mustermensch dem äußeren Schein zu entsprechen, bis er erkennt, dass „besonders“ auch „besonders“ schlecht sein kann. Erst der drohende Tod führt dem passionierten Betrüger seine Selbstverleugnung vor Augen. Ein Tod, dem er immer wieder von der Schippe springt, freiwillig oder nicht. Sogar dem Sensemann ist Steve Russel immer einen Schritt voraus. Nur der Polizei nicht.
Brillant, durchtrieben und charmant inszenieren Ficarra und Requa ihre bitterböse Komödie an der Grenze zur Gesellschaftssatire. Lustvoll provozieren sie ihr Publikum mit einem am Rande der Geschmacklosigkeit balancierenden Humor.Statt die inszenatorischen Freiheiten der auf dem Tatsachenroman Steve McVickers basierenden Geschichte zu verschleiern, überspitzen die Autoren sie ironisch. Der Schriftzug „This really happend“ ersetzt das konventionelle „Nach einer wahren Geschichte“. Es klingt wie eine weitere Beteuerung Stevens, der die Ereignisse aus seiner Perspektive erzählt. Unglaublich, aber fast wahr. Einzig in seiner Liebe zu Phillip Morris ist der notorische Lügner aufrichtig. Jim Carrey ist es zu verdanken, dass das titelgebende Liebesbekenntnis des Anti-Helden trotz dessen permanenter Schwindeleien glaubhaft bleibt. Vor allem die explizite schwule Liebesgeschichte ist der Grund dafür, dass „I love You, Phillip Morris“ erst nach einem Neu-Schnitt einen Verleih fand. Ficarraas und Requas Steven Russell ist das Gegengift zu den angepassten Gentleman-Ganoven, wie Leonardo DiCaprios Frank Abagnale in „Catch me if You can“. Er findet nicht zurück in den erstickenden Schoß der Familie. Er verhöhnt zwar nicht Jesus, jedoch all jene, die dessen Absichten zu kennen meinen. Er wird nicht geläutert, sondern bleibt unverbesserlich.
Stevens Kriminalität und der beißende Spott der Komödie treffen eine heuchlerische Bourgeoisie, welche, ohne zu hinterfragen, nach dem äußeren Schein urteilt. Das System, geschaffen um Menschen wie ihn zu stigmatisieren, richtet Steven gegen es selbst. Mehr als durch Verschlagenheit zeichnen sich die Schliche des hochintelligenten Betrügers durch Dreistigkeit aus. Innerlich nutzt der selbstsicher auftretende Steven das professionelle Verstellen zur Flucht vor sich selbst. In der heimlichen Überzeugung des Hauptcharakters, um seiner selbst willen nicht geliebt werden zu können, liegt die leise Tragik der Komödie. Die letzte Szene ist eine letzte cineastische Verneigung vor dem geborenen Lügner, der beschirmt von einem Regenbogen ungebrochen seiner Berufung folgt. Leider nur im Wunschdenken Stevens – noch.
Titel: I love You, Phillip Morris
Land/ Jahr: USA 2009
Genre: Komödie
Kinostart: 29. April 2010
Regie und Drehbuch: Glenn Ficarra, John Requa
Darsteller: Jim Carrey, Ewan McGregor, Leslie Mann, Rodrigo Santoro
Laufzeit: 98 Minuten
Verleih:Alamode Film