Die von der aufwühlenden Kraft der künstlerischen Innovation kündende, von unterschwelliger Erotik aufgeladene Anfangssequenz ist eine dramatische Verheißung, welche Kounens in kalkulierter Eleganz inszenierte Liebesepisode niemals einhält. Die aufwühlende Kraft der Musik scheint die sozialen und politischen Umstürze während der Oktoberrevolution vorwegzunehmen. Die Archivaufnahmen, welche die Kriegswirren dokumentieren, gehen mit ihrer bedrückenden Authentizität wie ein Riss durch das makellose visuelle Arrangement. Symbolisch zertritt Coco Chanel (Anna Mouglalis) diesen Realismus in ihrem an die Bilder anschließenden Auftritt in der feinen französischen Gesellschaft, der das Regime hohler Eleganz ankündigt, unter dem die Inszenierung steht. Hier wird sie den ein Jahr älteren Familienvater Stravinsky (Mads Mikkelsn), der mit seiner an Tuberkulose erkrankten Frau Catherine (Elena Morozowa) verarmt im Exil lebt, auffordern, auf ihrem Anwesen zu logieren. Der Beginn einer leidenschaftlichen Romanze, welche Leben und Schaffen beider Partner nachhaltig beeinflusst.
Nonchalant, wie sie über die Kriegsgräuel hinweg schreitet, wird Chanel später vor den Augen von Igors todkranker Ehefrau und den Kindern eine Affäre mit ihm hat. Wie eine Frau wolle sie riechen, nicht wie eine Blume, sagt sie zu einem Parfumeur. Die Kritik, mit welcher die Modeschöpferin eine Duftprobe zurückweist, trifft indirekt auch den Film. Auf der Leinwand bleibt Coco Chanel ein seelenloses Mannequin, dessen einzige Aufgabe es bleibt, ihre Kollektionen vorzuführen. Stets en vogue schreitet sie durch die sorgfältig arrangierten Planszenen, deren Ausstattung die gleiche erstickende Eleganz mit sich herumtragen wie Chanel. Auf glatten Laken, deren schwarz-weiß Muster an Notenpapier erinnert, liebt sich das Paar in leidenschaftsloser Begierde. Eine streng komponierte Symphonie der Lust, welche emotionale und physische Ekstase nur behaupten kann. Nichts darf nach dem Willen des Regisseurs diese eiskalte Zelebrierung des guten Stils stören. Nicht der Originaltitel der Romanvorlage, dessen „Coco & Igor“ ein wenig nach einer Romanze zwischen Fips, dem Affen, und Frankensteins Assistenten klingt. Noch weniger die Schattenseiten Coco Chanels. 1938 schloss sie ihre Pariser Boutique, heißt es im Presseheft, dessen in matt glänzendem Schwarz gehaltener Einband an die Eleganz des Films anknüpft. 1954 feierte Chanel mit einer Modenschau ein spektakuläres Comeback. Unerwähnt bleibt, dass die Grand Dame der Mode, die modisch die Farbpole, Schwarz und Weiß bevorzugte, politisch Braun trug. Bis nach England reiste sie, um Churchill persönlich eine Kooperation mit Nazi-Deutschland ans Herz zu legen. In der Haute Couture mag sie die Resistance vertreten haben, während der Besetzung ihres Heimatlandes stand sie auf der anderen Seite.
Doch „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ definiert die weibliche Hauptfigur wie in Filmbiografien üblich über ihre Liebschaften, anstelle ihr kreatives oder gesellschaftliches Wirken zu thematisieren. Ganz auf seine Frauenfigur konzentriert, übersieht das Melodram, dass sich Chanels Werk mit dem Stravinskys nicht messen kann. Seine Kunst lebte durch die Innovation, ihre Kreationen durch die neuartige Kombination des bereits Vorhandenen. Letztes ist der Geist der visuell kühlen, inhaltlich oberflächlichen Biografie einer Affäre. Kunsthandwerk, nicht Kunst.
Titel: Coco Chanel & Igor Stravinsky
Land/ Jahr: Frankreich 2009
Genre: Drama/ Liebesfilm
Kinostart: 15. April 2010
Regie: Jan Kounen
Drehbuch: Chris Greenhalgh
Darsteller: Mads Mikkelsn, Anna Mouglalis, Elena Morozowa, Natacha Lindinger
Laufzeit: 120 Minuten
Verleih: PA CO