Dies durch Geradlinigkeit zu bekämpfen, sei furchtbar anstrengend. Deswegen sei er auch immer so müde und erschöpft. Wütend auf seine Mutter dürfe er nicht sein, sondern müsse auf alles mögliche wütend sein. Er wolle nicht mehr immer für andere da sein, deren Aufträge erfüllen, wie er sein und was er machen müsse. Dagegen sträube er sich, kämpfe dagegen an und schleppe ewig ein schlechtes Gewissen mit sich herum. Auf andere sei er wütend und sauer, wenn diese nicht genauso sind und ihn durch ihr Hü und Hott in Verwirrung bringen. Das bedeute, dann könne er sich nicht auf sich verlassen, das müsse etwas ganz Schlimmes sein. Aber auch Neid sei da, dass andere sich einfach so frei bewegen können und er nicht.
Als Kind sei er zu Tugendhaftigkeit erzogen worden. Später, als die Mutter gemerkt habe, dass er sich überhaupt nicht mehr traute, vor allem nicht an Mädchen, habe sie ihn aufgefordert unter die Kinder zu gehen, mit ihnen zu spielen. Aber, allein schon durch seine Existenz erlebe er sich als potentiellen Übeltäter. Diese Formung in der Kindheit, das habe wie ein Dämon von ihm Besitz ergriffen, wie eine Besessenheit. Schnell gerate er in eine Rechtfertigungssituation, das treffe auf seine Schuldbereitschaft. Sein Bestreben, doch noch die Liebe und Anerkennung der Mutter und aller Menschen zu erreichen, ihnen alles recht zu machen, um sich wohl zu fühlen und sein Selbstgefühl zu korrigieren, das erzeuge bei ihm ein Schamgefühl, Ekel, Abscheu und Aversion auf und vor sich selbst.
Er betrachte sich als lächerlich, Muttersöhnchen und Arschkriecher. Aber das sei wie eine innere Automatik. Die Aversion gegen die Verblendung anderer verspüre er regelrecht in sich, weil ihm dies als Wahrheit verkauft worden sei. Es sei wirklich so, er schleppe die Last der Welt durch sein Leben. Dann nütze auch das beste Rückentraining nichts. All das sei ihm als Geburtsgeschenk und Erbschaft mitgegeben worden. Je mehr er sich anstrenge, desto mehr sei er von Scham erfüllt, ein ewiger Kreislauf.
Dieses Fallbeispiel zeigt mehrere Folgen der Psychotraumatisierung auf. Untugenden wie Faulheit, Unanständigkeit, Schwäche, Wechselhaftigkeit und Ambivalenzen, Uneindeutigkeit stellen Bedrohungen dar, machen Angst. Andererseits ist er mit dem Versuch des tugendhaften, geradlinigen Lebensweges, den er äußerlich gut geschafft hat, total überfordert und fühlt sich gedemütigt. Innerlich tobt der Kampf, die Ohnmacht und das Chaos, die er wiederum als Bedrohung fürchten muss, und machen ihn krank.
Es findet sich eine äußere und eine innere Ebene. Als die Mutter wahrgenommen hatte, wie verunsichert ihr Sohn war, versuchte sie ihn zu pushen, endlich ein normales Leben zu führen. Infolge all seiner Ängste überforderte ihn das wiederum. Als Hintergrund wurde deutlich, dass in der Familie die Schande transgenerationell weiter gegeben wurde, gegen deren Normen auch schon die Eltern und Großeltern verstoßen hatten, und er dafür gerade zu stehen hatte.
Frühe und spätere Wahrnehmungen werden in verschiedenen Schichten eingeprägt, wobei die früheren und intensiveren eine stärkere Prägekraft und somit Macht haben als die späteren, kognitiven und emotional weniger intensiven Wahrnehmungen. So sagte mir einmal ein Patient „ich glaube Ihnen, dass Sie recht haben, aber ich weiß, tief in meinem Inneren gebe ich Ihnen nicht recht!“ Bei den frühen Engrammen spricht man gerne von Gefühl oder Bauch, bei den späteren von Verstand oder Kopf. Jedoch spielt sich alles im Hirn in verschiedenen Bereichen und Schichten ab mit Auswirkungen über das Nerven- und chemische Transmittersystem.
Widersprüchliche Ansprüche
Nach dieser Einführung sollen weitere typische alltägliche Konstellationen aus einer mannigfaltigen Palette beschrieben werden. Die Wünsche der Eltern können auf den bewussten und unbewussten Ebenen verschieden und gegensätzlich sein. Bewusst verlangt die Mutter ein braves, auf sie hörendes Kind, sodass sie keine Angst um das Kind und um sich selbst als gute Mutter haben muss, unbewusst verlangt sie ein trotziges, rebellisches Kind, so wie sie selbst es nie gewesen ist und gerne gewesen wäre, damit sie auf das Kind und somit auf sich selbst als Mutter stolz sein kann.
Diese widersprüchliche Beziehung spiegelt meist die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter wieder. Auf der bewussten Ebene muss das Kind ihre Ängste vermeiden, auf der tieferen Ebene ist das Kind ein Selbstobjekt, also das Objekt ein Teil des Selbst, und rebelliert gegen diese Ansprüche. Anpassung, Unterwerfung und Selbsterniedrigung führen oft zu Selbstverurteilung, -verachtung und Selbsthass. Die Mutter kann also auf der unteren und unbewussten Ebene ein angepasstes Kind verachten, so wie sie sich selbst verachtet, und ist auf ein trotziges widerspenstiges Kind stolz. Unter diesen widersprüchlichen Aufträgen gerät das Kind in eine innere Zerrissenheit, ebenso wie die Mutter in ihren Aufträgen zerrissen ist.
Helm Stierlin illustrierte diese widersprüchlichen Aufträge in seinen Büchern gerne in dem alttestamentarischen Gleichnis des Verlorenen Sohnes. Der eine Sohn ließ sich seinen Erbanteil auszahlen, ging in die Fremde und verprasste alles. Als er reumütig zurückkehrte, wurde er von dem Vater nicht mit Vorwürfen, sondern mit offenen Armen empfangen. Der andere Sohn beklagte sich über die Bevorzugung seines Bruders, habe er doch fleißig zu Hause entsprechend dem Auftrag des Vaters gearbeitet und Lob verdient. Anzunehmen ist, dass der Vater für sich auch eher ein ereignisreiches, lustvolles Leben erwünscht hätte, anstatt zu Hause ein fleißiges, mühsames, ereignisloses und langweiliges Leben zu führen. Er ließ sich sicherlich die Erlebnisse des Sohnes schildern und lebte mit diesen mit, während ihm der andere Sohn gar nichts Belebendes zu berichten hatte.
Unterschiedliche Aufträge
Oft ist es so, dass die widersprüchlichen Aufträge unter den Eltern, eventuell auch zwischen den Eltern und Großeltern aufgeteilt werden. Dann mag die Mutter ein braves Kind fordern und fördern und der Vater ein rebellisches Kind fordern und fördern. In dieser Aufspaltung tragen die Eltern ihre widersprüchlichen Forderungen auf dem Rücken des oder der Kinder aus, und das Kind ist innerlich zerrissen, diesen Forderungen nachzukommen. Das Kind ist in der misslichen Lage, bekommt es den Beifall von der einen Seite, erreicht es die Verurteilung der anderen Seite, egal wie es sich verhält. Ein autonomer, selbstbestimmter Mensch mit ausreichender innerer Selbstachtung hätte dann die Freiheit, sich auszusuchen, wie er sich gerade verhält. Ihm wäre nicht so wichtig, von wem er gerade geliebt oder nicht geliebt wird, da er genügend Selbstliebe und -achtung besitzt. Aber das ist nicht die Situation eines von der positiven Zuwendung und Liebe abhängigen Kindes, das die positive Zuwendung und Zufuhr sozusagen als seelische Nahrung noch dringend zur Verinnerlichung seiner Selbstachtung und positiven Identität benötigt.
Gutes und böses oder versagendes Kind
Häufig ist bei mehreren Kindern auch die Aufspaltung in ein gutes und böses oder erfolgreiches oder misserfolgreiches, versagendes Kind, die jeweils nach den verinnerlichten Bildern leben. Beides sind Botschaften und Aufträge. Es kann sogar sein, dass das Erfolgreiche nicht geliebt wird, oft auch entsprechende Verhaltensweisen zeigt, und das versagende oder auch kranke Kind geliebt wird. Aus den Predigten nach Erfolg und Leistung resultiert das Gegenteil. Wie das biblische Bild von Kain und Abel zeigt, richtet das verurteilte Kind seinen Hass, seine Wut und den Neid nicht gegen die Verursacher, nämlich die Gotteltern, hier den Gottvater, sondern gegen den Bruder oder die Schwester, da es ja noch von der Liebe der Eltern abhängig und diese unantastbar sind. Hinzu kommt noch das 4. Gebot „Du sollst Deine Eltern achten und lieben”¦“. Diese Liebe und Achtung ist auch im Interesse des Kindes, denn es lebt besser damit, seine Eltern zu lieben als zu verachten, da die Liebe eher zur Selbstverachtung führt.
Übernahme der Wahrnehmung der Mutter
Gerade zu den in der frühen Kindheit am meisten anwesenden Primärpersonen, also am häufigsten der Mutter, besteht am wenigsten Wahrnehmung. Die Mutter geht ungeprüft in das Kind über, und auf dieser inneren Ebene besteht infolge der Nähe keinerlei Wahrnehmung. Zu diesem Zeitpunkt und in dieser nahen, intimen Beziehung hat das Kind ja noch kein eigenes Weltbild als Maßstab seiner Wahrnehmung. Anders ausgedrückt, es besteht gegenüber der Mutter keinerlei Realitätsprüfung, wie die Mutter ist und sich verhält, und noch weniger, warum sie so ist und sich verhält. Die Mutter prägt das Innere des Kindes. Gegenüber weniger nahen Bezugspersonen, etwa gegenüber dem Vater und anderen entfernteren Bezugspersonen, besteht mehr Distanz und deswegen mehr Wahrnehmung, auch im negativen Sinne. Durch die fehlende Wahrnehmung hat die Mutter für das Kind eine tiefere und somit stärkere Realität. Häufig geschieht es, dass ein in der Mutter etabliertes negatives Männerbild vom Kind als negative Zuschreibung des Vaters und als Vaterbild übernommen wird und das Kind den Vater mit den Augen der Mutter erlebt. Wenn dann dem Vater von Mutter und Kind negatives zugeschrieben wird, er also der Böse ist, verhält sich dieser oft genug negativ, sodass das von der Mutter übernommene Vaterbild des Kindes sich bestätigt und bewahrheitet.
Oft heiratet eine Frau mit einem negativen Selbstbild einen zu ihr passenden Mann. Dann ist für sie die Welt in Ordnung. Er trägt dann auch durch sein Verhalten in ihren Augen die Schuld an allem Unglück, und sie ist von ihrem negativem Selbstbild erlöst. Deswegen kehren geschlagene Frauen gerne zu ihren schlagenden Männern zurück, sicherlich auch umgekehrt. Aber das ist wegen der Scham der Männer noch mehr tabuisiert.
Folgen der Negativen Projektion
Wenn etwa eine Mutter von sich selbst glaubt, dass mit ihr niemand etwas zu tun haben wolle, weil sie so unattraktiv oder böse sei, so wird sie projektiv die Neigung haben, dies in ihrem Kind zu erleben und diesem einzureden. Das Kind wird später als Erwachsener das Negative, die Verletzungen und Kränkungen aus allem heraushören, entsprechend negativ auf das Umfeld reagieren, dadurch von diesem Umfeld garstig und böse wahrgenommen. Gleichzeitig fordert die Mutter, dass es sich brav und gut verhält. Im Gegensatz zu seinem verinnerlichten Selbstbild kann das Kind versuchen, um die Verurteilungen zu vermeiden, sich besonders gut darzustellen versuchen und positiv zu den anderen verhalten, während es im Inneren glaubt, böse zu sein. Deswegen kann es normalerweise die positiven Reaktionen des Umfeldes als Folge seines guten Verhaltens nicht annehmen, da diese nicht in sein Weltbild passen.
Wird das Kind von der Mutter böse behandelt, kann es jedoch sich bemühen, brav und gut zu reagieren, so wie die Mutter es gefordert hat, und dadurch kann die Mutter in ihrer Wahrnehmung in Frage gestellt, verunsichert und verwirrt sein. Das böse Kind ist plötzlich ganz lieb. Die Verunsicherung und Verwirrung der Mutter kann das Kind als Waffe benutzen und auf Böses mit dem Guten zurückschlagen und in der Mutter etwa ein schlechtes Gewissen erzeugen.
Das liebe Kind nimmt der Mutter die Bestätigung ihrer Wahrnehmung weg. Insofern widerfährt der Mutter im Kinde das, was ihr von ihrer eigenen Mutter widerfahren ist. Sie ist die Böse und das Kind das Gute. Die Macht der Mutter über das Kind verwandelt sich in die Macht des Kindes über die Mutter. Die Welt wird sozusagen auf den Kopf gestellt. Das können die Kinder sein, die ihren Müttern auf der Nase herumtanzen. Die Tragödie kann weitergehen, indem die Mutter versuchen wird, um ihrer Verwirrung zu entgehen und wieder Eindeutigkeit herzustellen, das Kind von dem Sockel herunter zu holen, auf den es sie selbst gesetzt hat. Sie attackiert dann das Kind solange, bis es doch böse wird. Umgekehrt wird das Kind in Verwirrung geraten, sich selbst als böse und hilflos ausgeliefert erlebend, plötzlich als gut, stark übermächtig in Diskrepanz zu seinem inneren Selbstbild hingestellt zu werden.
Kontrolle und Gehorsam
Um sich vor ihrer Sorge und Ärger im Kinde zu schützen, neigt die Mutter oder die Eltern zu einer Verhinderungsstrategie und Vermeidungshaltung, indem sie das Kind in seinem Verhalten in Geboten und Verboten zu kontrollieren zu versuchen. Übertretungen der Gebote und Verbote werden bestraft, manchmal in grausamen Strafritualen, oder die Mutter wird traurig und enttäuscht sein, zu Vorwürfen neigen, wenn das Kind sich nicht nach ihren Maßgaben richtet, und im Kind Schuldgefühle produzieren. Kürzlich habe ich den Spruch gehört, die Tränen der Mutter sind wie ein Schwert, das das eigene Selbst zerschlägt. Unter Umständen verfolgen diese Tränen das Kind den ganzen Tag über, so dass für dieses wenig Raum für ein eigenes Leben besteht. Die Tränenkontrollen können als Automatismus ablaufen.
Den Eltern Sicherheit zu verschaffen, ist in ihren Augen Gehorsam. Je stärker die Bedrohung ist, desto bedingungsloser muss das Kind gehorchen bis zum blinden oder vorauseilenden Gehorsam. Oft muss das Kind schon gehorchen, ohne zu wissen in welcher Situation, wie und warum. Da sich dies bei den Eltern um Selbstverständlichkeiten handelt, können sie diese dem Kind auch nicht erklären, wie und warum, nur, dass es zu gehorchen hat. Die Gründe und Hintergründe sind unaussprechlich. Ungehorsam ist mit Bedrohungen der Folgen, für die wiederum auch oft keine Erklärung gegeben werden kann, und Strafen, die wiederum eine Bedrohung für das Kind darstellen, gekennzeichnet. Ein häufiges Muster der Drohung und Strafe ist der Liebesentzug oder, das Kind zu verlassen, wenn es nicht gehorsam ist. Für das Kind sind diese Bedrohungen oft das Schlimmste und, um diesen zu entgehen, ist es zu allem bereit, vor allem sich selbst aufzuopfern. Solche angedrohten Strafen können etwa das Kinderheim oder Internat sein.
Verwöhnung als Kontrolle
Eine wichtige Form der Kontrolle ist die Verwöhnung und Infantilisierung. In ihrem Bemühen, das Böse zu verhindern, tut die Mutter alles Gute für ihr Kind, mit dem Ziel, dass dieses ja nicht auf den Gedanken kommt, irgendetwas Böses anzustellen. Weiterhin verpflichtet die Verwöhnung zur Dankbarkeit. In der Verwöhnung schwingt jedoch immer die Bedrohung mit und wird gefürchtet. Durch die Verwöhnung und der zusätzlichen Bedrohung wird das Kind in seiner Entfaltung behindert und auf einer frühkindlicheren Stufe fest gehalten.
Die Macht des Kindes
Ist das Kind brav, richtet sich nach den Vorstellungen und Wünschen der Mutter, ist die Mutter glücklich. Verhält sich das Kind anders, ist sie unglücklich, enttäuscht und traurig. Dadurch erhält das Kind mit seinem Verhalten Steuerung und Macht über die Mutter. Diese Situationen kann das Kind, meist unbewusst, ausnutzen, sich an der Mutter zu rächen und ihr heimzuzahlen für die eigene Folgsamkeit, Anpassung und Einengung. Wenn es dem Kind in dieser Situation schlecht geht, es krank wird, kann es die eigene Misere nutzen, es der Mutter heimzuzahlen, sozusagen "geschieht ihr recht, wenn’s mir schlecht geht ".
Durch den Triumph über die Mutter und die Macht wird das Kind verführt, an diesen Mechanismen, also auch der Krankheit, fest zu halten, die ihm andererseits die Mutter in die Hand gibt. Die Rache kann der letzte eigene Bereich sein, an dem fest gehalten wird, den das Kind sich nicht nehmen lässt, bis zum tödlichen Untergang wie etwa in der Pubertätsmagersucht oder in der Drogensucht. Bedrohung, Kontrolle, Triumph und Macht kann zu einem wechselseitigen inneren Austausch und zu einer unendlichen Spirale führen.
Spontanes Verhalten als Absicht
Oft ist es jedoch vor allem im frühen Kindesalter so, dass das Kind einfach so ist, wie es ist, etwa laut und vorlaut ist, sich schmutzig macht, unhöflich ist, die Eltern jedoch im Verhalten des Kindes wahrnehmen, dass das Kind absichtlich so ist, um sie zu schädigen, auszunutzen oder über sie zu triumphieren und sich wiederum am Kind rächen, es bestrafen, und über es zu triumphieren versuchen. Durch diese Sichtweise geraten sie mit dem Kind in einem Machtkampf und versuchen es klein zu kriegen, bis manchmal überhaupt kein eigener Willen mehr übrig bleibt. Später können derartig Geprägte spontanes Verhalten anderer als böse Absicht wahrnehmen, sich dagegen wehren und sich ihre Feinde schaffen wie etwa beim Mobbing.
Sexualitätsfolgen
Wenn etwa die Mutter in der Männlichkeit und Sexualität ihres Sohnes eine Bedrohung sieht, dann erlebt der Sohn seine Männlichkeit und Sexualität als Bedrohung und wird darauf verzichten oder dagegen aufbegehren. Der Verzicht kann sich nach außen, das Aufbegehren auf einer verheimlichten Ebene zeigen. Infolgedessen wird eine doppelte Moral gelebt, nach außen der treue Ehemann, der zu Prostituierten geht, sich Pornofilme anschaut oder als Pädophiler auftritt, oder die treue Ehefrau. Je rigider die Tabus sind, desto mehr kann sich das Durchbrechen zur Obsession entwickeln.
Unter diesem Verzicht leidet oft genug nicht nur er selbst, sondern auch die Mutter. Sie leidet darunter, dass er so wenig Männlichkeit gegenüber Frauen entwickelt oder etwa nur in der Homosexualität Männern gegenüber und sie auf die ersehnten Enkelkinder verzichten muss. Positiv wird für sie bei einem homosexuellen Sohn sein, dass sie kaum Konkurrenz gegenüber anderen späteren Frauen um ihren geliebten Sohn, der ja so brav auf die Bedrohungen verzichtet, erleben muss, dafür aber neue schafft. Andererseits kann sich die Mutter und der Sohn dadurch an ihrem bösen Ehepartner rächen, der meist im Falle der Homosexualität des Sohnes im Karree springt. Er sieht sich nämlich selbst im Sohn, sieht in diesem ein erweitertes Selbst, kommt sich also vor, als ob er selbst "in den Arsch gefickt" würde, für ihn das allerschlimmste.
Kontrolle und Unterlaufen
Die Kontrolle wiederum provoziert im Kinde zur Erhaltung der eigenen Position und des eigenen Selbst Widerstand wie Trotz, Verweigerung, Rebellion und Sabotage, dies ebenfalls oft als Automatismus. Der Automatismus der Mutter dient der Verhinderung der Bedrohungen im Kinde und somit Kontrolle, und der Automatismus des Kindes, nämlich des Widerstandes und Trotzes, dient umgekehrt ebenfalls der Abwehr der Bedrohung, nämlich des Verlustes des eigenen Selbst. Der Widerstand ist normalerweise von Entwertungen des Kindes begleitet.
Die Mutter erreicht also durch ihre Kontrolle neben Anpassung und Unterwerfung oft das Gegenteil. Der Widerstand führt normalerweise zu einer Kränkung der Mutter. Sie sieht sich nicht in ihrer Position, ihren Zielen und deren Richtigkeit anerkannt, für sie eine erneute Traumatisierung. Um dieser Traumatisierung zu entgehen, verlangt sie sofortigen und unbedingten Gehorsam, das heißt, ohne zu überlegen und ohne Wenn und Aber. Dann kann die Kindheit und das spätere Leben für Mutter und Kind zu einem ewigen Kampf werden.
Eine Form des Unterlaufens der Kontrolle und der hehren Ziele erleben wir derzeitig öffentlichkeitswirksam bei der Offenlegung des sexuellen Missbrauchs an katholischen, vor allem Jesuitenschulen und Schulen der Reformpädagogik. Das hehre Ziel des Zölibats als Reaktionsform auf die Niederungen der Sexualität und des verbreiteten Inzests in Familien wird zur Erhaltung der Selbstbestimmung in der Sexualität unterlaufen.
Auch ist durch die Reaktionsform das Alte nicht verschwunden, sondern nur verdrängt, verleugnet und erlebt seine Wiedergeburt. Innerhalb einer rigiden Sexualmoral und Körperfeindlichkeit sind die Scheinheiligkeit und Doppelmoral die offenbar einzigen Möglichkeiten zur Erhaltung von Freiheit und Selbstbestimmung. Das Recht auf Sexualität ist halt nicht vollkommen zu verdrängen. Die offizielle Mutter Kirche erlebt sich ähnlich wie die Mutter beschämt und traumatisiert und muss den Kampf um die Reinheit fortsetzen, wodurch sich ein Teufelskreislauf ergibt. Innerhalb eines komplexen Geschehens ist dies allerdings nur ein zentraler Aspekt.
Oft genug glaubt die Mutter, dass der Trotz des Kindes ihr gilt, dieses also absichtlich trotzig sei, um ihr zu schaden, sie zu treffen und über sie zu triumphieren. Sie sieht nicht den Beweggrund der eigenen Selbsterhaltung, sondern den der Vergeltung, Rache und des Triumphes. Oft genug hat das schon ihre Mutter geglaubt. In der Macht und dem Triumph des Kindes erlebt sie ihre eigene Ohnmacht und Niederlage auf dem Hintergrund eigener frühkindliche Erlebnisse in der Beziehung zu ihrer Mutter. Dies wird ihre eigene Rache und Bestrafung forcieren, und das Kind sich vermehrt schuldig fühlen.
Die Gefahr der Selbstbestimmung
So ist es kein Wunder, dass in den meist gelesenen pädagogischen Büchern des Orthopäden Schreber im ausgehenden 19. Jahrhundert die Devise vertreten wird, "der Wille des Kindes ist mit allen Mitteln zu brechen". Selbstbestimmung und der eigene Wille, ähnlich wie alttestamentarisch im Paradies das Essen eines Apfels, sind also das Böse. Insofern ist es für mich gut erklärlich, dass Generationen von gebrochenen Menschen in ihrer Wut und ihren Hass nicht auf ihre Eltern, denn diese sind nach dem vierten Gebot zu ehren, sondern auf Stellvertreter und Sündenböcke wie Juden, Homosexuelle und Zigeuner losgehen.
Durch die Anleitung dieser schwarzen Pädagogik – so wird diese Form der Erziehung oft genannt – wissen die Eltern, wo sie dran sind und was sie zu tun haben, sind also der bedrohlichen Unsicherheit der Frage nach der richtigen Erziehung enthoben. Der Schreber’sche Erziehungsstil ist inzwischen verpönt. Immerhin schaffte er für die Eltern Eindeutigkeit und die Richtigkeit ihrer Erziehung, und als Kind wusste man, wogegen man sich zu wehren hatte, etwa die 68er gegen ihre Väter. Heute, in den Zeiten, wo viele Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen, aber nicht wissen – wie? – weil sie es nicht in sich haben und nach den Regeln der schwarzen Pädagogik nicht erziehen wollen, sind sie und ihre Kinder total verunsichert und überfordert, wodurch eine vermehrte Krankheitsneigung für beide Seiten resultiert.
Die weitere Tragik des Trotzes ist, dass die Inhalte und Themen durch die Eltern bestimmt werden, also fremdbestimmt sind und während des Trotzes das Kind nicht eigenen Interessen nachkommen, etwa in Ruhe spielen, kann. Der Versuch des Selbsterhaltes führt also zum Verlust eigener Wünsche und Ziele, etwa mit dem Umfeld in Harmonie und Übereinstimmung zu leben, stattdessen zu Konflikten und Spannungen. Mit dem Ziele der Selbstständigkeit und Selbsterhaltung bleibt das Kind gebunden. Wenn die Eltern etwa gebeten oder gefragt hätten, hätte das Kind ihre Wünsche oft gerne erfüllt. Aber das ist nicht ihr Erziehungsstil.
Aber auf Befehl und Anspruch sofortigen Gehorsams können die Kinder nur mit Trotz und Widerstand reagieren. Wer in einem derartigen Umfeld geprägt wurde, wird in seinem späteren Leben eine Bitte oder einen Wunsch als Befehl auffassen und entsprechend gehorsam oder trotzig reagieren. Der Wunsch oder die Frage stellt eine Triggersituation zu Trotz und Widerstand dar. Anders ausgedrückt, Bitte oder Wunsch sind mit der Erfüllung gleichgesetzt und an diese gekoppelt bzw. Automatismen, ebenso wie der dazugehörige Trotz und Widerstand. Gehorsam und Trotz können sich im zeitlichen Ablauf hintereinander abspielen. Zuerst sind das Kind oder der spätere Erwachsene bzw. das Kind im Erwachsenen zuerst gehorsam, sagt ja und gibt recht, später macht es, was es will, oder der Trotz tritt in anderen scheinbar unbegründeten Situationen zutage.
Die Gründe liegen also ganz woanders. Ähnliche Koppelungen sind Verstehen des anderen = Eingehen auf die Wünsche des anderen und somit Selbstverlust. Somit können Verständnis für den anderen, Wünsche, Erwartungen und Fragen infolge der Selbstverlustes Bedrohungen darstellen. Allein eine Frage oder eine Bitte kann dann Empörung über diesen Anspruch hervorrufen. Da diese frühkindliche Beziehungen verinnerlicht und sich zu eigen gemacht werden, werden sie im Erwachsenenalter fortgelebt.
Oft ist es in der Kindheit so, dass das Kind gegen die kontrollierende Mutter rebelliert, solange es noch Zuhause lebt. Zieht es aus, lebt es die verinnerlichten Werte und Verhaltensweisen der Eltern aus. Diese haben eine höhere Macht. So erzählte mir ein Patient, früher zuhause habe es ständig Streit um das Aufräumen gegeben, und er wäre fürchterlich unordentlich gewesen. Seit seinem Auszug sei er pedantisch und der ordentlichste Mensch. Das Innere kam erst nach dem Auszug zum Tragen.
Normalerweise beansprucht die Mutter für Ihre Bemühungen Gratifikation bzw. Dankbarkeit. In ihren Augen und ihrer Wahrnehmung hat sie sich richtig verhalten und immer nur das Beste getan. " Ich habe immer nur das Beste gewollt… und Du…?" Das Kind gerät in die prekäre Lage, das für seine eigene Entwicklung Falsche mit dem für die Mutter Richtigen zu beantworten. In dieser absoluten Welt ist es für die Mutter nicht vorstellbar und möglich, das für das Kind etwas anderes richtig ist, als sie selbst glaubt. Oft genug wird es mit dem Guten der Mutter sozusagen überrollt wie etwa bei der oben erwähnten Verwöhnung und kann sich höchstens mit Trotz und Verweigerung wehren.
Dieser zwischenmenschliche Zusammenhang verläuft oft nach unausgesprochenen, ungeprüften und wie selbstverständlichen Maßstäben, so dass von ihm sozusagen im vorauseilenden Gehorsam, oft im Wechsel mit vorauseilenden Trotz, ohne Gründe und Ziele zu kennen, das Richtige verlangt wird. Dadurch kann in dem Kind eine Angst vor Dingen entstehen, die es nicht weiß, nach Maßstäben, die es nicht kennt, vor Unbekanntem und vor Unausgesprochenem. Unbekanntes, Unausgesprochenes und Fremdes muß es als Verunsicherung besonders fürchten. Diese Verunsicherung ist es ohnmächtig und hilflos ausgeliefert. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit stellen wiederum die Bedrohung dar, und dafür muss das Kind noch dankbar sein und die Eltern ehren und belohnen.
Da das Kind der Mutter mehr glaubt als sich selbst, kann es sich nicht auf sich selbst und seine eigene Wahrnehmung verlassen. Identifiziert es sich völlig mit der Mutter, geht seine Selbstwahrnehmung verloren, und es entwickelt ein fremdes und falsches Selbst. Bleibt ein Rest Selbstwahrnehmung übrig, also wenn die Selbstwahrnehmung nicht völlig durch die Fremdwahrnehmung der Mutter ersetzt ist, gerät es in innere Diskrepanzen, innere Verwirrung und Selbstzweifel. Es besteht eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der eigenen Person und der Bezugspersonen und der Fremdzuschreibung, etwa wie die Mutter ist und wie das Kind ist. Die verschiedenen Anteile von Selbst- und eingeprägter Fremdwahrnehmung bestehen nebeneinander und können zu einer innern Zerreißprobe führen. Wie ist es selbst und wie ist die Mutter und andere Personen?
Das falsche Lob
Umgekehrt, wenn das Kind für sein Bravsein und Angepasstsein Bestätigung und Lob erhält, wird es in diesem Wege bestätigt, der unter Umständen nicht seinen Interessen entspricht. Es erhält sozusagen Beifall von der falschen Seite, nicht für seine Selbstentfaltung oder selbstbestimmte Autonomie, sondern für seine Anpassung, Unterwerfung und Fremdbestimmung. Das Kind kann aber auch ein gegenteiligen Weg einschlagen und als Erwachsener später seinen Weg und seinen Stolz darin finden, überall zu protestieren, rebellieren und alle Erwartungen nicht zu erfüllen und sich dadurch unnötige Konflikte zu schaffen. Oft wird es zwischen den gegenteiligen Positionen und Verhaltensweisen hin und her schwanken, mal angepasst und unterwürfig sich verhalten, mal trotzig und rebellisch. Wegen dieses Lenkens in die falsche Richtung reagieren viele in der Kindheit Traumaisierte auf Lob misstrauisch und abwehrend. Die Verführung durch Lob stellen für sie Unterwerfung und Demütigung dar.
Familiäre Streitigkeiten
Oft werden familiäre Streitigkeiten auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Eine typische Situation ist die, wenn ein Ehepartner in das Haus des anderen einheiratet und noch Eltern wie eine Schwiegermutter vorhanden sind. Dann kommt es oft zu Konflikten um den Einfluss. Auf wen hört der Vater oder die Mutter mehr, auf seinen Partner oder seine Mutter? Wer ist wichtiger? Werden die Aggressionen zur Wahrung der Familienharmonie unterdrückt, entsteht eine spannungsvolle, erdrückende Atmosphäre, in der ein Kind leicht ersticken kann.
Diese Erstickung kann sich als Asthmaerkrankung abspielen. Das Kind erstickt auch an seinen eigenen Aggressionen und schreit im Anfall symbolisch nach einer guten Mutter. Es stellt sozusagen einen Blitzableiter dar, und sein Asthmaanfall kann die zerstrittenen Parteien in ihrer Bemühung, das Kind zu retten, wieder zusammen führen. Diesen Sachverhalt stellte ich einem früheren Asthmatiker dar, und er erwiderte trocken „”¦und wenn sie es geschafft haben, liegen sie sich glücklich in den Armen!“. In seinem Fall wurde die Familienharmonie und das -glück durch seine Erkrankung wieder hergestellt.
Konkurrenz zwischen Mutter und Großmutter
Ähnliche Rivalitäten können sich abspielen, wenn das Kind etwa mehr bei der Großmutter aufwächst als bei der Mutter, weil die Mutter arbeiten geht. Dann hört es mehr auf die Oma. Das schafft bei der Mutter oft Aggressionen auf das Kind, die es am Kind auslässt, und das Kind verliert tendenziell seine gute Mutter. Das kann beim Kind später zu schweren Vorwürfen an die Adresse der Mutter führen. Manche Mütter lassen ihr Kind, um sich besser lösen zu können, sozusagen stellvertretend für sich selber bei ihrer Mutter. Dann mag die Großmutter die Mutterfunktion ausfüllen, und die Mutter verliert ihr Kind, worunter sie leiden, was ihr aber auch willkommen sein kann.
Widersprüchliche Erwartungen
Da das Kind es nicht anders kennt, nicht die Fähigkeit zu unterscheiden bzw. zu differenzieren errungen oder wieder verloren hat, überträgt es diese Erfahrungen und Ansprüche auf die spätere Umwelt und ist als Erwachsener ganz auf die Erfüllung der Erwartungen anderer ausgerichtet. Diese Erwartungen sind jedoch die eigenen Erwartungen an die Erwartungen anderer, die aber nicht unbedingt denen der anderen entsprechen müssen. Der Erwachsene meint also das Richtige zu tun und tut oft das Falsche, so wie seine Eltern oft im vermeintlich Richtigen das Falsche getan haben. Nicht nur durch die übernommenen Ängste von den Eltern, sondern auch durch die aktuelle Kommunikation entstehen Angst, Schuld und Scham. Dies verstärkt die Psychotraumatisierung.
In dieser Psychotraumatisierung gehen die Differenzierungen auch in der Wahrnehmung von Subjektivität und Individualität insofern verloren, dass alle Menschen in ihren Wünschen, Interessen und Ansprüchen gleichgesetzt werden, sozusagen alle über einen Kamm geschoren werden. Im Sinne dieser Gleichheit und Gerechtigkeit beansprucht der Traumatisierte, dass die anderen all seine Erwartungen und Ansprüche erfüllen, so wie er vermeintlich deren Ansprüche erfüllt. Diese haben jedoch aufgrund anderer Prägungen oft etwas ganz anderes im Kopf und handeln nach ganz anderen Maßstäben. Er muss sich folglich betrogen und, vulgär ausgedrückt, verarscht fühlen.
Will er nun eine einigermaßen harmonische Beziehung erhalten, muss er seine Enttäuschung, Empörung und Wut unterdrücken. Das kann ihm u. a. Depressionen (deprimere = unterdrücken der Aggressionen. Depressionen haben also immer mit unterdrückten Aggressionen zu tun) bereiten, an die Nieren gehen, Kopfschmerzen verursachen, die unterdrückte Wut ein Loch in die Magenwand fressen (Magengeschwür) oder durch die Anstrengungen völlig überlasten und Rückenbeschwerden bereiten. Fühlt er sich in seiner Lebensbilanz, meist nicht bewusst, völlig hilfs- und hoffnungslos, spielen das Immunsystem und die Zellen verrückt, wuchern im Körper und können als Krebs sein Leben zerstören.
Spaltung Nähe und Ferne
Allein schon in der Spaltung kommt es zu einem entweder oder wie Nähe oder Ferne und dem Verlust eines kontinuierlichen wechselhaften Ablaufs zwischen Nähe und Ferne. Der gespaltene später erwachsene Mensch verliert die Dimension des zeitlichen Ablaufes. Für ihn heißt es entweder Nähe oder Ferne, etwa Verschmelzung oder totale Trennung und er gerät in Verwirrung, versteht sich selber nicht mehr, wenn er etwa in der Ferne die Nähe oder in der Nähe die Ferne sucht. Ferne kann er nicht ertragen, da er auf zwischenmenschliche Nähe angewiesen ist, die Nähe nicht, da er dabei seine Identität und Unabhängigkeit verliert. Meiner Erfahrung nach neigt ein Mensch in derartigen unauflöslichen zwischenmenschlichen Konflikten zu schweren Herzerkrankungen.
Liegt erst mal eine kindliche Psychotraumatisierung vor, wirft der Traumatisierte die Bedrohungen in die Zukunft, erwartet diese geradezu, sodass alles Leid und Unglück, auch spätere körperliche Katastrophen nur eine Bestätigung dieser Erwartungen sein können. Die Unterschiede in dem früheren Traumatisierungsgrad erklären, dass bei äußeren Katastrophen wie Naturkatastrophen nicht alle Opfer in gleicher Weise traumatisiert sind, und manche ein analoges Ereignis psychisch unbeschadet überstehen. Oft liegt also einem späteren posttraumatischen Belastungssyndrom eine Vortraumatisierung zugrunde.
Eine Kindheit ist also nicht ohne weiteres unabhängig von den Umweltfaktoren frei und selbstbestimmt zu gestalten, da das Kind existentiell vom Umfeld abhängig und ausgeliefert ist und vieles massiv eingeprägt, unbewusst und völlig selbstverständlich ist. Viele sagen „ich bin halt so erzogen, und deswegen geht es nicht anders“. Ein traumatisierter Mensch kann meist nicht nach seinen Wünschen und Interessen handeln, von den Wünschen anderer abgrenzen, also „nein“ sagen, oder deren Interessen ernst nehmen und berücksichtigen und Kooperation, Kompromisse oder einen Konsens suchen. Dazu ist er viel zu sehr von seinen Ängsten, seinem Rechtsstandpunkt nach den wahrgenommenen Erfahrungen beherrscht. Er verliert sich selbst oder ignoriert andere völlig, lebt in den anderen oder lässt diese grenzenlos in sich leben. Sozial in seinen mitmenschlichen Beziehungen kann er zu einer Belastung und untragbar werden.
Dem bisher Geschilderten kann man entnehmen, eine traumatisierende Kindheit führt meist zu einer Kette des Unglücks und der Tragik. Dieses irdische Jammertal verlangt nach einer Erlösung. Über Erlösungsmythen und die hintergründige Scham soll im letzten Teil geschrieben werden.
Illustrationen dieser Serie: www.detleveilhardt.de