Die staatliche, die historische und die individuelle Auslegung von Recht, Gerechtigkeit und Gewalt stehen ebenso im Zentrum der Dokumentation wie "Die Anwälte" selbst: Otto Schily, Rechtsanwalt, Mitbegründer der Grünen, dann Politiker der SPD und als solcher ehemaliger Bundesinnenminister. Hans-Christian Ströbele, Rechtsanwalt, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen und Abgeordneter. Horst Mahler, Rechtsanwalt, Gründungsmitglied der RAF, später verurteilt wegen Volksverhetzung und Leugnung des Holocausts. Ein Linksliberaler, ein Vertreter der bürgerlichen Mitte, ein extremer Rechter. Ihre Lebensläufe kreuzten sich an einem für sie und die Geschichte der BRD prägenden Punkt. Ein gemeinsames Foto verwendet „Die Anwälte" sinnbildlich für diese Zeitspanne. Aufgenommen in den frühen Siebzigern zeigt das Bild den Angeklagten Mahler und dessen Anwälte Schily und Ströbele als Vertreter der linken außerparlamentarischen Opposition in einem Berliner Gerichtssaal. Auf den ersten Blick mag dieses Aufeinandertreffen, der Einsatz für die gleiche Sache, nämlich die Verteidigung politischer Freiheitsrechte gegenüber staatlicher Rechtseinschränkung, unwahrscheinlich erscheinen. Es ergibt sich jedoch folgerichtig angesichts der Parallelen im Werdegang der "Anwälte". Solidarisierung mit ihren Klienten ließ "Die Anwälte" ins Visier der Presse geraten. "Terroristenanwalt", zitiert Otto Schily eine auf ihn abzielende Schmähung. Der Anwalt eines Terroristen – der Anwalt, ein Terrorist. Die maßgebliche Rolle des Springer-Verlags im damaligen politischen Konflikt wird in "Die Anwälte" nicht thematisiert. Lobenswert hingegen ist die Vermeidung reißerischen Materials und tendenziöser Musikuntermalung oder Bildmontage. Sachlichkeit hat für "Die Anwälte" Priorität. Die wenigen drastischen Bilder von Polizeigewalt sind notwendig. Sie nicht zu zeigen, hieße wegsehen.
"Die Anwälte" konzentriert sich auf die politische Motivation der Interviewpartner, wie auch auf deren menschliche Beweggründe. Ein ausgeprägtes Rechtsempfinden nennt jeder sein eigen. Die Interpretation davon, was Recht, was Unrecht ist, und wie man beidem im staatlichen Rechtssystem Genüge tun kann, könnte heute für „Die Anwälte" unterschiedlicher kaum sein. Bei Schily, Mahler und Ströbele spürt man diese Vehemenz, eine feste Entschlossenheit, die eigenen politischen und sozialen Grundsätze durchzusetzen. Mahler wählte dazu schließlich den Rechtsextremismus. Er vollzog den Wechsel von der RAF zur extremen Rechten, von einer extremistischen Organisationen zur anderen. In einer intimeren Szene der Dokumentation äußert sich der extreme Rechte Mahler anerkennend über die "menschliche Wärme" Ströbeles, eines energischen linksliberalen Vertreters der Grünen. Es sind diese Momentaufnahmen, in denen Birgit Schulz der Blick hinter die schützende Fassade gelingt, die der Dokumentation Nachhaltigkeit geben. "Die Anwälte" sprechen viel über sich, wenig über die beiden anderen „Anwälte" und nie miteinander. Eine Konfrontation gibt es nicht, kann es nicht geben, so stark ist heute die gegenseitige Ablehnung. Dennoch bleiben Gemeinsamkeiten, in den Empfindungen über die Toten von Stammheim, dem einstigen Streben nach politischem Wandel, der Auffassung, sich treu geblieben zu sein.
Individuelle Persönlichkeitsprofile zu erstellen, gelingt Birgit Schulz nur bedingt. Zu distanziert und kühl erscheinen die über Tage geführten Interviews. Mehr als einer dreifachen Charakterstudie gleicht ihr Film einer Historienstunde. Bedeutsam, jedoch auch trocken und anstrengend. Ein strapaziöser Film, dennoch ein sehenswerter.
Titel: Die Anwälte
Deutschland 2009
Genre: Dokumentarfilm
Start: 19. November
Regie und Buch: Birgit Schulz
Kamera: Isabelle Casez, Axel Schneppat
Mit: Otto Schily, Hans-Christian Ströbele, Horst Mahler
94 min.
Verleih: Real Fiction
http://www.realfictionfilme.de