Beide Stile vereint, dass sie Vertreter des Lowbrow, der Gegenströmung der etablierten “Highbrow” – der „intelligenten“ – Kunst, sind und oft als vermeintlich kunsthandwerkliche Ausdrucksformen in der Kunstkritik vernachlässigt werden. “Juxtapoz Illustration” führt in eine beunruhigende Fantasiewelt frühreifer Kindlichkeit. Sarkasmus und melancholische Naivität prallen in den dynamischen Motiven aufeinander. Jeden Werkkomplex stellt eine knappe Einleitung vor. Die Kunstwerke entfächern eine visuelle Welt fern der konventionellen Illustration. 23 Künstlern stellt “Juxtapoz Illustration” in 150 Kunstwerken auf 192 farbigen Seiten vor. Illustration wirkt wie ein heimlicher Vorgänger des Pop-Surrealismus. Per Definition ist Illustration das Bebildern eines vorgegebenen Themas. Doch die Künstler in “Juxtapoz Illustration” füllen nicht nur den vorgegebene Rahmen aus, sondern sprengen ihn mit ihrer Kreativität. Klassische Maler beeinflussten die populäre Vorstellung historischer und biblischer Gestalten. Illustratoren bestimmen die Vorstellung literarischer Figuren. Ihre Bilder verleihen den Charakteren neue Facetten oder scheinen sie zu komplettieren. Ohne Deerstalker – Kappe und Pfeife ist Sherlock Holmes nicht Holmes. Die unverzichtbaren Attribute gab ihm nicht Arthur Conan Doyle, sondern der Zeichner Sidney Paget. Alice im Wunderland trägt für immer Haarband und Schürze, obwohl Carroll nie davon schreibt. Zeichner John Tenniel stellte sich die Romanheldin so vor.
Eine Schwalbe mit gebrochenem Hals, die Eingeweide herausgerissen, lässt die Skizze David Choes auf Seite 19 erahnen. Mickey Duzyjs Bilder (S. 24-31) vermögen eine komplette Erzählung in einem Motiv zu bündeln: von Erfolg, Ruhm und dem großen Geld oder bizarren Experimenten an Rockmusiker Iggy Popp. Bei Jeremy Fish erkennt man erstmals eine klassische Literaturgestalt. Seinem Kapitän Ahab schwimmt der totenköpfige Moby Dick im Bauch (Seite 33). Hermann Melvilles weißer Wal wird als todbringende Manie Ahabs interpretiert, die aus dem Meer des Unterbewusstseins auftaucht. Fishs andere Bilder gleichen ornamentalen Tier-Mensch-Figuren. Die Künstler in “Juxtapoz Illustration” verzieren Plattenhüllen, Plakate, Buchumschläge, Postkarten und Gebrauchsartikel. Eine laszive Lehrerin, erzählt bei James Jean (S. 79) von Blüten und Bienen, geisterhafte Fußgänger wandern bei Kozy n Dan durch eine Winterstadt (S. 88-89). Andere Motive gleichen Tätowierungen, die Mike Giants Nadel auf die schwarze Haut der Seiten gestochen hat (S. 38-47). Tätowierkunst ist ein prägender Einfluss des Lowbrow, ebenso Graffiti, Pulp-Kultur und Werbung. Letzte beeinflusst die Zeichner Doug Cunningham und Jason Noto, die hinter dem Markennamen Morning Breath stecken. Sie zeigen Druckgrafiken zwischen Comic und Reklame der fünfziger Jahre. “Sensational new”, “Amazing”, “The Flashiest” versprechen grelle Zeilen um einen Schwertschlucker im Anzug (S. 114). Frustrierte Büroangestellte und Arbeiter stellen Morning Breath vor billige Telefonsex-Reklame, deren Sprüche sich von den üblichen Reklameansagen kaum unterscheiden. William Borroughs schneidet sich auf der Zeichnung des Künstlöerduos gegenüber der Inhaltsangabe von “Juxtapoz Illustration” ein Glied seines kleinen Fingers ab, als hätten den “Junkie”-Autor/ Junkieautor die Werbedroge umnebelt.
„Wo ist die Hoffnung hin?“, fragt Eduardo Recife in einer seiner Collagen. “Power of Love” wird in seiner Kunst zu einer aus der Zeitung gerissenen Phrase, Schönheit stumpft zum Allgegenwärtigen ab: “really beautiful today – everyday”. Hinter dem Pseudonym Grotesk (S. 48-53) verbirgt sich der Schweizer Künstler Kimou Meyer, dessen Kunst an virtuose Straßenschilder und Reklametafeln erinnert. In einem elegischen Japanmärchen könnten die Pastellmädchen Amy Sols (S. 156-165) wandeln. Kuscheltierartige Fabelwesen begleiten sie, riesengroß oder winzigklein. Zauberäpfel und magische Vogeleier tragen Sols Wanderinnen durch ihre blass-braunen Traumwelten. Tomer Hanuka skizziert mit feinen Linien erotische Alptraumfantasien. Nicht nur der Roué, der eine barocke Grazie umfasst, auch die Gäste der Cocktailparty (S. 54) und die blutmäulige Hyäne (s. 57) vermitteln bedrohliche Sexualität. Andere Bilder Harukas erforschen die Kinderperspektive im Krieg. Kinder in Ruinenstädten, als Flüchtlinge, als Vertriebene. Eine anarchische Pippi Langstrumpf lässt James Jean (S. 77) mit dem Tod ringen. “Juxtapoz Illustration” erinnert mit seinen anspruchsvollen Abbildungen daran, dass gute Kindergeschichten wie Märchen Erzählungen für kleine Erwachsene sind, welche die Leser auf die Unbarmherzigkeit der Welt vorbereiten.
Frühreife Kinder sind die Helden einer neuen Künstlergeneration, auch im Band „Juxtapoz Poster Art“. Der maskierte Junge mit Cowboyhut auf dem Umschlag von “Juxtapoz Poster Art“ könnte symbolisch für diese unerschrockene moderne Kunstszene stehen. Der Londoner Plakatzeichner Paul Insect, dessen collagenartige Gemälde aus realistischen Silhouetten, Tierköpfen und Knochen zu den brillantesten Werken des Bildbandes “Poster Art” zählen, lieferte das Titelmotiv des 202 Seiten langen Exkurses in die Plakatkunst. “Juxtapoz Poster Art” kündet vom radikalen Wandel der Kunstpräsentation. Das Museum des 21. Jahrhunderts ist die Straße. Leinwand ist überflüssig geworden. Eine Häuserwand genügt, um Kunst nicht allein an prominente Käufer, sondern unter die Menschen zu bringen. Mit der veränderten Repräsentationsfläche geht ein verändertes Selbstverständnis der Künstler einher. Viele der in “Juxtapoz Poster Art” vertretenen Künstler unterstellen ihre Werke dem Urteil der Masse, nicht einer elitären Kennerjury aus Kritikern und Galleristen. Shephard Faireys Arbeiten auf den Seiten 52 bis 57 enthalten nicht dessen ikonisches Obama-Plakat mit dem fett gedruckten “HOPE”. Stattdessen zeigt “Juxtapoz Poster Art” weniger bekannte Arbeiten des durch das Präsidenten-Plakat vom Underground-Künstler zur Berühmtheit aufgestiegenen Fairey. “Enjoy a cheap holiday in other people ´s misery”, lädt der klein gedruckte Text auf dem im Postkartenstil gestalteten Poster einer Bombenexplosion über der Irakischen Wüste ein. Seine Poster zählen zu gefragten Sammlerstücken, wie die in ihrem ornamentalen Reichtum schier erstickenden Fantasiebilder Michael Motorcycles (Seite 150-155) oder Rocky Grimes Fotomontagen von verzerrten Gewaltausbrüchen.
Die aggressivere, frontale Posterkunst ist die Kehrseite der Illustrationen. Ebenso fantasievoll wie variationsreich in ihren Techniken wie die Illustratoren, legt das Künstlerensemble in “Poster Art” den Finger in die Wunden der Zeitgeschichte. Politik, Gesellschaft und Kommerz sind die konfliktreichen Themengebiete, auf welche der Fokus der Werke gerichtet ist. Brandy Flower, Jason Munn, Tyler Stout, und viele andere sind geküsst von der Muse, deren Lippenstiftabdruck The Decoder Ring Design Covern (Seite 35) abbildete: ein winziger Totenkopf verbirgt sich im Kussabdruck. “The Good Times are killing me”, steht darunter. “Juxtapoz Poster Art” erzählt davon in Bildern.
Titel: Juxtapoz Illustration/ Herausgeber: Juxtapoz Magazine/ Verlag: Gingko Press/ Jahr: 2009
Titel: Juxtapoz Poster Art/ Herausgeber: Juxtapoz Magazine/ Verlag: Gingko Press/ Jahr: 2009
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