In der Tat ist dieser Kriminalroman einer aus aneinandergereihten Lebensfragen, die oft mehr Antworten geben, als wir überhaupt Fragen hatten, was dazu führt, daß man noch mal von vorne liest und immer tiefer, wenn schon nicht in die Jauchegrube des Schufts, so doch in die Gehirngänge des Brenner gerät, der mehr noch als ein von den Toten wiederauferstandener Detektiv ein Alltagsphilosoph ist, der sich keiner speziellen Lehre verpflichtet glaubt, wenngleich er von sich denkt, er sei ein Hedonist, und doch die Sadomasomasche für sich persönlich durchzieht, immer wieder in das tritt, was doch eigentlich in der Senkgrube liegen sollte und dort auch besser aufgehoben wäre, als unter seinen Schuhen. Dabei befindet sich in der Grube noch so manches und nachdem man beim Lesen denkt, daß die verwirrenden Verhältnisse nie aufzuklären sind, hat, ohne daß wir’s merkten, der Brenner schon eins und eins zusammengezählt und alle Trümpfe in der Hand. Ja, beim lieben Gott!
Entschuldigung an den letzten Ersten, James Sallis mit „Dunkle Schuld“ bei Heyne, den wir nicht ausreichend gewürdigt hatten wie auch die Nummer Drei, Tana Frenchs im Scherz Verlag erschienenes „Totengleich“. Ersterer, ein Amerikaner, legt hier den ersten Band der Turner-Trilogie vor und die Engländerin serviert uns eine Doppelgängerin, der wir nicht gleichen wollen! Auch auf den nächsten Plätzen sind die bisherigen Siebten nach vorne gerückt: Warren Ellis mit „Gott schütze Amerika“ – aha, noch ein Gott im Titel – im Heyne Verlag und Friedrich Ani „Totsein verjährt nicht“ bei Zsolnay, über das wir immer noch nichts sagen können, weil uns kein Rezensionsexemplar vorliegt. Dabei hätte der Verlag doch bei der Konkurrenz allen Anlaß, daß man über diesen guten Autor auch Inhaltliches schreiben könnte.
Mit Ulrich Ritzel „Beifang“ bei btb, ist der erste Neue auf Platz 6. Wir finden das gut, daß auch immer noch unaufgearbeitete deutsche Geschichte – natürlich der Nationalsozialismus – zunehmend in Krimis thematisiert wird, vor allem, wenn das so informativ wie hier geschieht. Ein Volk von Dieben, Räubern, Erpressern, Schwindlern, allesamt Betrüger diese Deutschen früher und heute auch, wenn es nicht auch die Ausnahmen gäbe, die das Vaterland dennoch nicht reinwaschen können. Es geht nicht um den Judenmord, aber es geht um Vermögen und Sachwerte der Juden – nicht immer nur Bilder, auch Schmuck! – im Dritten Reich, deren Verschwinden in den Konzentrationslagern ja angeblich im kleinsten Dorf und der größten Stadt niemand mitbekam, deren leerstehende Wohnungen aber sofort entdeckt und geräubert wurden, bzw. schon vorher mit ihrer Todesangst Schindluder getrieben wurde.
Auch David Peace arbeitet mit „Tokio im Jahre Null“ Geschichte auf. Gleich doppelt. Er entwirrt eine Geschichte in der Historie. Denn unter den Toten im Jahre 1946, die man kriegstot glaubt, befinden sich ermordete Mädchen. Ein Frauenschänder ist unterwegs. Kein Spaß und harte Kost, aber glänzend geschrieben und gerade wegen der Andersartigkeit der Gesellschaft, die in ihren Strukturen uns absolut fremd anmutet, sind dann Überschneidungen mit menschlichen Grundstrukturen umso deutlicher. Da gibt es viel zu lesen vor der Buchmesse, auf der auch Krimilesungen stattfinden werden, denn das Genre hat sich zu einer ganzen Leselandschaft ausgedehnt, wo den Überblick zu behalten, kaum mehr möglich ist, angesichts so vieler Neuerscheinungen. Die Jury der Bestenliste versucht es und wir versuchen es auch, deren Auswahl zu kommentieren, mit der wir auf dem ersten Platz so völlig einverstanden sind, auch wenn wir die neuen Kriminalromane aus dem Suhrkamp Verlag vermissen.
Aufmerksam machen wir Sie auf die Veranstaltung „Aus der KrimiWelt“: am Freitag, 16. Oktober, um 14 Uhr am Stand von ARTE redet Lore Kleinert von Radio Bremen mit den beiden Autoren Uta-Maria Heim und Wolf Haas. Sie sind herzlich eingeladen.
Die „Bestenliste“ wird im Hörfunk immer am letzten Wochenende des Monats: Samstag 8.05 – 9.00 Uhr; Sonntag 15.05 – 16.00 Uhr in der „Literaturzeit“ des NordwestRadio vorgestellt. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem letzten Samstag im Monat geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker
Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Sven Boedecker, Zürich, Sonntagszeitung
Kathrin Fischer, Frankfurt/Main, Hessischer Rundfunk
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Ekkehard Knörer, Berlin, Perlentaucher, Crime Corner
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Jochen Schmidt, Düsseldorf, elder critic
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Hendrik Werner, Bremen, DIE WELT
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer
Alle weiteren plazierten Krimis entnehmen Sie bitte den Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur.Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die diesmal Ende Januar herauskommt.
Internet:
krimibestenliste@togohlis.de