Berlin, Deutschland; Moskau, Russland (Weltexpress). Eigentlich ist die Sache auf den ersten Blick einfach: Laut Umfrage ist die Mehrheit der Deutschen dafür, dass Fußball-Bundestrainer Joachim Löw seinen Posten räumt. Denn er ist, wie er selbst eingeräumt hat, der Hauptverantwortliche für das schmachvolle und überraschende WM-Aus in Russland. Als Vorrunden-Gruppenletzer ausgeschieden – das hat es in rund 80 Jahren WM-Geschichte für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) noch nie gegeben.
Auf den zweiten Blick aber ist die denkbare Trainerablösung so klar keinesfalls, weil der DFB, namens Präsident Reinhard Grindel, Löw gegen alle Gepflogenheiten des schnelllebigen Fußball-Geschäfts vor der Weltmeisterschaft 2018 eine Jobgarantie mit der Vertragsverlängerung bis zur WM 2022 aussprach. Grindel ging diesen Weg ungeachtet der Tatsache, dass der offenbar Unverzichtbare bereits seit 2004 und als Cheftrainer der A-Auswahl beim DFB angestellt ist. Daher steht automatisch die Frage nach eventuellen Abnutzungserscheinungen oder neuen Impulsen im Raum.
Pleite mehr als Betriebsunfall
Denn die Pleite von Watutinki, dem Mannschafts-Stammquartier nahe Moskau, dürfte als alles andere denn als ein unerwarteter Betriebsunfall in der Chronik des viermaligen Weltmeisters aus Deutschland vermerkt werden. Anzeichen für den Qualitätsverlust des Aufgebots unter seinen Fittichen gab es allerdings zur Genüge. Zuletzt ein überzeugendes Spiel habe man wohl im Herbst vergangenen Jahres geliefert, so Verteidiger Mats Hummels. Nicht besser gelangen die letzten Testspiele gegen Saudi-Arabien und Österreich. Der DFB wie Löw haben diese Signale ignoriert. Mit Hinweisen wie „Wir kriegen das mit der Vorbereitung schon hin – Wir sind eine Turniermannschaft – Wenn es losgeht, ist die Mannschaft bereit!“ wurden Durchhalteparolen ausgegeben. Nun sieht sich der DFB samt seiner Hofpresse Latrinenparolen ausgesetzt.
Wie auch immer, mit der voreiligen Vertragsverlängerung ist der Arbeitgeber DFB in der fatalen Lage, dass der Angestellte selbst entscheidet, ob er aufhört oder weitermacht. Es bleibt für DFB und Bundestrainer zu hoffen, dass Löw sich nicht nur mit seinem direkten Arbeitsumfeld bis zur Veröffentlichung einer ersten WM-Analyse berät. Denn dass der über die Jahre immer weiter aufgeblähte Mitarbeiterstab im Falle seines Rücktritts dann um die eigenen Jobs fürchtet, ist nachvollziehbar. Oliver Bierhoff, nominell Löws Vorgesetzter, aber eher in dessen Fahrwasser schwimmend, dürfte wohl eher an einer Weiterbeschäftigung als an einer Kündigung interessiert sein. Gleiches ist von Grindel und dem DFB-Präsidium zu erwarten. Letzteres müsste normalerweise als eine Art Aufsichtsrat des Bundestrainer fungieren, ist aber viel zu weit weg von internen Abläufen und Hintergründen in der von Nationalmannschaft zu „Die Mannschaft“ umformulierten Aushängeschild des Verbandes. Eine dürfte wohl auf Betreiben des Sportdirektors Bierhoff und dessen paar Semestern BWL-Studium initiierte Marketingmaßnahme.
Fans kritisieren auch den auf dem Bus oder auf Trikots geflockten Slogan vom Best Never The Rest (die Besten ruhen niemals aus). Oder sie ärgern sich über die maßlos teuren Ticketpreise bei Test- und Freundschaftsspielen hierzulande. Allesamt sind das umstrittene Details, wie auch das (Miss-)Management im Fall des Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Despoten Erdogan. Das trug auch zur Entfremdung von Spielern und Zuschauern, Fans bei. Ein ums andere Mal ein Malheur, keines folgenschwer, aber in der Summe unverdaulich und längst zu viel.
„Wir haben die Frische vermissen lassen und die gewohnte spielerische Klasse“, wird der Bundestrainer zitiert. Das Zitat spricht Bände. Denn die körperliche Fitness, stets ein maßgeblicher Erfolgsfaktor von deutschen Turnierformationen, sowie spielerisches Können sind Grundaufgaben eines Trainers. Das war dann – um es mit Giovanni Trapattoni zu sagen „schwach wie eine Flasche leer“.
Impulse aus der Entwicklung des Weltfußballs?
Da fragt der Außenstehende, was der Bundestrainer Löw im Vorbereitungslager – das Quartier in Südtirol war im Gegensatz zu Watutinki eine standesgemäße 5-Sterne-Anlage – in den Übungseinheiten hat üben lassen?
Nach dem WM-Triumph 2014 hatte er ein paar Tage gebraucht, um Motivation für neue sportliche Ziele zu orten. Auch noch Europameister werden und dann das seltene Kunststück, WM-Titel verteidigen, schaffen, hatte er anschließend verkündet. Und er wolle Entwicklungen im internationalen Fußball studieren und sie für sein Wirken aufnehmen. Aha.
Bekannt geworden ist indes nicht, dass er einmal bei Spitzenvereinen wie Manchester City (mit Gündogan, Sane), Real Madrid (Kroos), Juventus Turin (Khedira) den Trainingsalltag beobachtet hat. Die Zeit, sich auf den VIP-Tribünen der Bundesliga oder der Champions League einzufinden, hat er sich freilich genommen.
Goldkettchen und buddhistisches Glücksarmband
Und was er sonst die lieben langen Monate außer den seriös vorbereiteten und erfolgreich absolvierten EM- oder WM-Qualifikationsspielen gemacht hat? Spötter glauben, er habe fleißig die Sportstudios besucht, um die Oberkörpermuskulatur ein wenig auszubauen.
Was offensichtlich dank seiner Vorliebe für legere Kurzarm-Shirts auch gelungen ist. Kein anderer seiner Trainerkollegen stellt so gewollt eine betonte Lässigkeit zur Schau. Denn das dunkle Hemd wird durch ein buddhistisches Glücksarmband mit einem symbolischen fünften Stern für den angestrebten fünftem Weltmeistertitel und die unverzichtbare Goldkette ergänzt.
In Brasilien durften Kameras Fotos von seinem Barfuß-Jogging am Atlantik machen. Und in Sotschi am Schwarzen Meer ähnliche Motive von einem joggenden Bundestrainer mit verspiegelter Brille auf der Strandpromenade, einer Ruhepause am Laternenmast mit Sonne und Palmen im Hintergrund.
Jogi, wie er sich wohl am liebsten sieht, als globaler Erfolgsgarant und fotogener Flaneur des Fußballs!
Doch dieses Bild ist nun ausgetauscht durch einen Trainer, der durch den Fokus auf sich selbst den Blick verloren hat für die optimale Auswahl des Kaders, für die zielführende WM-Vorbereitung und das fehlerhafte Coaching in drei Vorrundenpartien.