Ohne Sprengkraft – Kathryn Bigelow inszeniert den Irakkrieg als Actionthriller in “Tödliches Kommando – The Hurt Locker”

Szene

Den Krieg schildert “Tödliches Kommando” als adrenalintreibendes Abenteuer für große Jungs. “In den Krieg ziehen ist eine einmalige Erfahrung , weiß der Vorgesetzte Colonel Reed (David Morse) der Irakkriegssoldaten William James (Jeremy Renner), Sanborn (Anthony Mackie) und Thompson (Guy Pearce). Einmalig ist Krieg besonders für die, welche darin umkommen oder so schwer verletzt werden, dass sie nie wieder an die Front müssen. Doch davon erfährt man nichts in “Tödliches Kommando”. “Das muss keinen schlechte Zeit für dich sein.”, rät Reed stattdessen. “Es könnte Spaß machen.” Glaubt man der rudimentären Filmhandlung um den leichtsinnigen Führer eines Bombenentschärfungstrupps, trifft dies zu. “Tödliches Kommando” ist kein Kriegsfilm, sondern ein Actionfilm. Wenn überhaupt geht es ums Krieg spielen. Nikotinkonsum, brutale Computerspiele spielen und laute Rockmusik hören sind in “Tödliches Kommando” Ausdruck einer verqueren Soldatenpsyche. Im Alltag bezeichnet man dergleichen als gewöhnliches Verhalten besonders im Jugendalter. Solch harmlose Auffälligkeiten inszeniert “Tödliches Kommando” anstelle realistischer Gewalthandlungen im Krieg wie Folter, Vergewaltigung und Mord an Zivilisten. Letzte sind in “The Hurt Locker” praktisch abwesend. Jeder Iraker ist eine Gefahrenquelle, in dessen Hand Autowerkzeug, Handy und Videokamera zur Waffe werden können. In einer geschmacklosen Szene verbirgt sich ein Sprengsatz im Körper eines irakischen Kindes, welcher unter voller Ausschöpfung des Ekelpotentials aufgeschnitten wird. Ja, so weit müssen die guten Amerikaner wegen der bösen Iraker gehen! Tatsächlich enthüllen die Bilder die Pietätlosigkeit des eindimensionalen Films. 

Im Actiongenre lieferte Regisseurin Kathryn Bigelow leidliche Unterhaltungswerke ab. “Near Dark” oder der Endzeitkrimi “Strange Days” konnten als mäßige Zerstreuungsfilme genügen. Nach über einem Jahrzehnt schien Kathryn Bigelow dem Kinomarkt verlustig gegangen. Kein großer Verlust, muss man nach “Tödliches Kommando” urteilen. Kriminelle im Surfermillieu, Vampire im Campingmobil, Drogenkuriere in Computerwelten, das waren harmlos-unsinnige Themen vergangener Bigelow-Filme, welche die Regisseurin getrost verwursten konnte. Mit dem Irakkrieg vergreifen sich Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal an hochbrisanter und tragischer Zeitgeschichte. “Tödliches Kommando” ist in mehrfacher Hinsicht geschmacklos. Selbst den Ansprüchen des puren Actionkinos kann “Tödliches Kommando” nicht genügen. Das endlose Heranpirschen an Bomben wird mal zu mal enervierender. Zieht ein Soldat an einem Drahtgeflecht gleich ein halbes Dutzend Sprengkörper unter dem Sand hervor, windet man sich im Kinosessel. Nicht vor Nervenkitzel, sondern weil man nun der peniblen Entschärfung jeder einzelnen Sprengladungen zusehen muss. Als Zuschauer betet man intensiver als die Frontkämpfer: Nicht schon wieder eine Bombe, nicht noch mal die gleichen Szenen. Menschliche Anteilnahme kommt von vorneherein nicht auf. Ausgefeilte Charaktere existieren nicht. Schutzanzüge und Uniform machen die Personen austauschbar. Ob einer der Schützen in die Luft fliegt oder nicht, interessiert letztlich niemanden.

Der Originaltitel “The Hurt Locker” bezeichnet eine Kiste, in welcher die Besitztümer eines gefallenen Soldaten aufbewahrt werden. Das klingt bedrückend, irgendwie tiefsinnig. So viele gute Jungs mussten im Irak dran glauben und nur die Schmerzkiste mit ihren Habseligkeiten erhielten ihre Familien zurück. Nur einmal werden ein paar banale Gegenstände aus der titelgebenden Kiste gekramt, ansonsten erscheint der Filmtitel willkürlich. Oder bezieht sich die “Schmerzkiste” vielleicht auf den Kinosaal, den man beim Ansehen des Films als solche empfindet? Der deutsche Verleihtitel “Tödliches Kommando” wird in seiner aktionsbetonten Oberflächlichkeit dem Geist Bigelows kruden Machwerks gerechter. Kriegstraumata, psychologische Konflikte, Zweifel – keines der sich aufdrängend Themen wird gestreift. Bei einem Film, welcher einen der umstrittensten Kriegseinsätze der USA behandelt, ist diese inhaltliche Verflachung schlicht ignorant. Das einzige Kommandomitglied, welches den Dialog mit den Irakern sucht, anstatt drauflos zu schießen, wird umgehend in die Luft gesprengt. Die Szenen changieren zwischen sadistische Belehrung und grotesker Komik. Daß es dem Friedfertigen so ergehet, ist angesichts des militaristischen Untertons abzusehen. “Woher hast du deine Kampferfahrung? Aus Yale?”, fragt einer der Soldaten. Bildung ist in “Tödliches Kommando” nicht nur überflüssig, sondern verachtenswert ebenso wie Bedächtigkeit. Ihre Fronterfahrung hat Bigelow vermutlich in Hollywoods Kommerzfilmschmiede gemacht. Die würde ihr für “Tödliches Kommando” eine Ehrenmedaille verleihen.

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Titel: Tödliches Kommando – The Hurt Locker

Originaltitel: The Hurt Locker

Genre: Kriegs-Actiondrama

Land/Jahr: USA 2008

Kinostart: 13. August 2009

Regie: Kathryn Bigelow

Drehbuch: Mark Boal

Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Guy Pearce, Ralph Fiennes, David Morse

Verleih: Senator

Laufzeit: 131 Minuten

FSK: ab 12

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