Tautou ist Gabrielle Chanel, ein im Waisenhaus aufgewachsenes Mädchen aus verarmter Familie, dass mit ihrer Schwester Adrienne (Marie Gillain) in der Provinz als Näherin arbeitet. In Kneipen verdienen die Schwestern sich mit Singen etwas hinzu. Hier lernt Gabrielle den Lebemann Etienne Balsan (Benoit Poelvoorde) kennen, dessen Geliebte sie wird. Der selbstgefällige Etienne gibt Gabrielle den Spitznamen, den sie sich zeitlebens aneignet, und duldet sie als ausgehaltene unterhaltsame Gesellschaft auf seinem Anwesen. Coco Chanels Intelligenz und ihr Talent erkennt er nicht. Etiennes ehemalige Geliebte Emilienne (Emanuelle Devos) hingegen knüpft eine tiefe Freundschaft zu Coco. In dem Engländer Boy Capel (Alessandro Nivola) findet die mit ihrer extravaganten Kleidung auffallende Coco die große Liebe. Doch dies ist nicht “Der Beginn einer Leidenschaft“, von der der Titel des Dramolettes spricht. Erst kann die vom Leben ernüchterte Coco an die Liebe nicht glauben. Als sie daran glaubt, verliert sie ihre Liebe durch einen Autounfall. “Coco Chanel” ist mehr als ein Kostümfilm. Bei dem Thema Mode und Kleidung, welches einen Film über Chanel ersticken könnte, setzt Fontaine die Schere an wie ihre Hauptfigur bei den überbordenden Gewändern. Keine Varietekleidchen a la Moulin Rouge, keine romantischen Roben werden paradiert. Die Kleider der Zeit nach der Belle Epoque werden gefilmt, wie sie waren: Schnell beschmutzt, einengend, unpraktisch.
Doch, das ist sie, die Chanel, im schlecht sitzenden Glitzerkleidchen. Grand Dame der Mode, die kühle Stilikone, eine der ersten modernen Frauen. So wie man sie erinnert, zeigt Fontaine “Coco Chanel” erst am Ende. Das von Fontaine verfasste Drehbuch schildert den Prozess, in welchem die einfache Näherin Gabrielle Chanel zu der führenden Modedesignerin wurde. Im billigen roten Flitterkleid hüpft sie herum, bewirbt sich erfolglos beim Theater und singt ein albern-kokettes Lied in der Kneipe. Dem Hündchen Coco aus diesem Lied verdankt Chanel ihren berühmten Spitznamen. Wenig schmeichelhaft wirkt das zuerst. Ausgerechnet die Chanel, die selbstbewusste, die als erste Frau in eine reine Männerdomäne einbrach, ist nach einem Schoßtier benannt. Doch das Hündchen Coco des Liedes ist nie da, wo es sein soll und gehorcht nicht aufs Wort. Diese Parallele bringt “Coco Chanel” leise zur Geltung, wenn Chanels Gönner und Liebhaber Balsan sie mit einem Haushündchen vergleicht und zu spät begreift, dass er es mit einer Unzähmbaren zu tun hat. Selbstbeherrscht wie die Hauptfigur sind die Filmaufnahmen der ausklingenden Belle Epoque. Liebschaften mit Partnertausch, amouröse Landpartien und ausgelassene Vergnügungen erlebt Balsans Anwesen. Der Geist ist der der Zwanziger, nur die Mode ist aus dem vorigen Jahrhundert. Schwere Schleppen, Schleifchen, Rüschen und enggeschnürte Korsetts tragen die Damen von Welt und der Demimonde um die Hauptfigur herum. Die emotionale Selbstbefreiung Coco Chanels durch ihre Unabhängigkeit, finanziell und emotional, geht mit der Befreiung von einengender Bekleidung einher.
Nach Coco Chanel gehörte letzte der Vergangenheit an. Chanel veränderte die weibliche Erscheinung, indem sie den Frauen ihre von Korsetts eingeschnürte, unter unzähligen Lagen von Stoff verborgenen und einer Turmfrisur schier erdrückte Figur zurückgab. Durch Schlichtheit und Leichtigkeit machte “Coco Chanel” Mode tragbar. “Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft” passt sich inszenatorisch dem Stil der Modeschöpferin an. Fontaine schafft ein dezentes Charakterporträt ohne überspannte Melodramatik, dem allerdings etwas mehr Spannung nicht geschadet hätte. “Coco Chanel” steht der Leinwand gut. Die Eleganz des Originals, bei der es unter der schlichten Hülle aufregend zu knistern schien, erreicht er nicht. Es war eine weise Entscheidung der Filmemacherin, nur den Aufstieg der Coco Chanel aus schwierigen familiären Verhältnissen zu zeigen und nicht ihre späteren beruflichen Erfolge und persönlichen Mißerfolge. Denn so kann man guten Herzens mit der sozialen Aufsteigerin einverstanden sein und ihr Modewerk im Namen der Frau begrüßen. Anders sieht es mit ihren späteren Verhaltensweisen aus, wo sie selbstherrlich und mit Allüren vor allem ihre Mitarbeiterinnen schikanierte. Aber das ist ein anderes Thema. Kein anderer Film.
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Originaltitel: Cocoavant Chanel
Deutscher Titel: Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft
Genre: Biopic
Land/Jahr: Frankreich 2009
Kinostart: 13. August 2009
Regie und Drehbuch: Anne Fontaine
Darsteller: Audrey Tautou, Benoit Poelvoorde, Alessandro Nivola, Marie Gillain, Emanuelle Devos
Verleih: Warner Bros.
FSK: ab 6
Laufzeit: 110 Minuten
Internet: www.CocoChanel-DerFilm.de